Von Utopien und Feindbildern - Das Borg-Kollektiv

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Resistance (Widerstand), Cross Cult 2009.

 

Gene Roddenberry gerierte sich stets gern als überzeugter Pazifist. Mit Star Trek entwarf der Urvater eines ganzen Genres eine Zukunftsvision, die die Menschheit im Angesicht der Sterne vereint zeigte, frei von Armut, Krankheit oder Krieg.

 

Trotzdem pflegte Roddenberry bereits in seiner klassischen Serie Schurken wie kein zweiter. Die Rede ist von wilden, heißblütigen, territorialen Spezies, mit denen die utopische Föderation in ständige Konflikte verwickelt ist. Damals, in den späten sechziger Jahren, stachen vor allem die kriegerischen Klingonen und die intriganten Romulaner hervor, und man fragte sich oftmals, von welchem Feindbild in der Realität sie inspiriert worden waren.

 

Roddenberry legte sich, wann immer er danach gefragt wurde, nicht fest. Er machte zwar einige vage Andeutungen, doch letztlich boten die antagonistischen Völker in Star Trek immer Versatzstücke ganz unterschiedlicher Vorstellungen. So gaben die Romulaner auf der einen Seite mit ihrer Doppelwelt, ihrer Kultur und Ästhetik das Bild eines postmodernen Roms ab. Auf der anderen Seite stammt von Roddenberry die Bemerkung, die Romulaner könnten eine Anspielung auf das entfesselte China sein.

 

Neue Zukunft, neue Gegner

 

Wie auch immer: Gerissene, bedrohliche Gegner mit eigenen Ehrenkodexen und Weltbildern standen bei Star Trek – entgegen aller anders lautender Behauptungen – schon immer hoch im Kurs. Und als das Franchise nach zwei Jahrzehnten Ruhepause in eine neue Runde ging, war der Bedarf nach neuen, aufregenden Antagonisten für die Föderation groß. The Next Generation zeigte die Zukunft von Star Trek selbst – ein gewaltiger Sprung nach vorn.

 

Deshalb bedurfte es eines Erzfeindes, der seinerseits hoch stapelte. In den Abenteuern von Captain Jean-Luc Picard und seiner Besatzung spielen Klingonen oder Romulaner weiterhin eine nicht unbedeutende Rolle, gehören allerdings auch zum Common Sense des Star Trek-Kosmos dazu, zum geerdeten Standard. TNG sollte indes nicht dort stehen bleiben, sondern mit einem neuen Widersacher aufwarten. Etwas nie da Gewesenem.

 

Die ersten beiden Staffeln verbrachten Roddenberry, Rick Berman und das Team damit, ein wenig zu experimentieren. Frühe Episoden wie Der Wächter oder Die Schlacht von Maxia versuchten, die Ferengi als neue Gegner aufzubauen. Tatsächlich sollten die verschrobenen Aliens schon sehr bald ihren spezifischen Reiz in anderen Bereichen entfalten und sich bis zum Start von Deep Space Nine deutlich wandeln. Einen weiteren Anlauf auf der Suche nach neuen Gegenspielern unternahm deshalb die Folge Die Verschwörung. Sie etablierte eine außerirdische Parasitenspezies, die sich gewalttätig die Gedankenkontrolle hochrangiger Sternenflotten-Offiziere sicherte, indem sie sich an die Nervenstränge des entsprechenden Wirtes heftete. Nach einem 45-Minuten-Abenteuer schien der Stoff aber bereits verbraucht. Die Idee mit den Parasiten wurde ihrerseits verworfen.

 

In der zweiten Hälfte der zweiten Season (Zeitsprung mit Q) brachte Roddenberry dann die Borg ins Spiel – und schien ein Thema gefunden zu haben, das das Potential zur Wiederkehr besaß. Gewissermaßen spielte Star Trek, als es ein kybernetisches Volk auf die Leinwand hievte, mit sich selbst. Denn bislang hatte die Technologieeuphorie der Serie keine Grenzen gekannt. Für jedes nur erdenkliche Problem schien es in der Zukunft des 24. Jahrhunderts ein Gerät zu geben, das wunschlos glücklich machte.

 

Fremde Zivilisationen und unbekannte Lebensformen

 

Das Auftauchen der Borg setzte aller Fortschrittsmythisierung ein vorübergehendes Ende. Wir bekamen eine Spezies gezeigt, die so vernarrt war in das Aufsaugen neuer Daten und Techniken, dass es dafür sogar die eigene Individualität und den freien Willen geopfert hatte – ein Konzept, das eine regelrechte Anti-Föderation beschreibt. Auch sonst waren die Borg ganz und gar fremd; so fremd, dass sie es zur Geißel der Galaxis bringen konnten. Sie besaßen keinen Sinn für Ästhetik; es gab nur ein zweckrationales Verhältnis zur eigenen Umwelt, schrankenlose Expansion war Programm, und der Zweck heiligte immer die Mittel. Auch pflanzten sich die Borg nicht auf natürlichem Wege fort, sondern assimilierten andere Spezies in ihr Kollektiv. Widerstand war dabei schon immer zwecklos.

 

Die Idee des Kollektivs weckte natürlich Assoziationen. Sie war der Anlass, für Fans und Wissenschaftler darüber nachzudenken, von welcher Quelle das Roddenberry-Team den Anstoß für die halborganische Gesellschaft bezogen haben mochte. Da die Borg dem Zuschauer in TNG noch als durch und durch gleichgeschaltete Drohnengemeinschaft mit gemeinsamem Bewusstsein präsentiert wurden, kam die Spekulation auf, Star Trek würde hier auf seine ureigene Weise mit dem Thema Kommunismus umgehen (beim Ludwig-Verlag erschien das zweibändige Sachbuch Faszinierend. Star Trek und die Wissenschaften), indem es eine hochtechnologische Schreckensvision dessen darbot. Roddenberry zumal hatte bei mehreren Gelegenheiten keinen Zweifel daran gelassen, was er vom real existierenden Sozialismus hielt. Aber im Grunde genommen war die Darstellung des Kollektivs mindestens genauso stark eine Symbolik für einen ausufernden Kapitalismus, denn die Borg konsumierten die Welt und uniformierten sie, machten sie sich mit einer uneingeschränkten Verwertungslogik untertan.

 

Später wandelte sich der Eindruck, den man vom Kollektiv bekam. Der Kinofilm Der Erste Kontakt führte eine Königin ein, der eine gewichtige Rolle bei der Verwaltung der Borggemeinschaft zukam. Sofort befeuerte das Debatten, ob die Borg nicht vielmehr eine knallharte Diktatur anstatt eines Verbundes darstellten. Der restriktive Einfluss des so genannten Hivebewusstseins, das Star Trek: Voyager in den kommenden Jahren weiter erforschen sollte, bestätigte das eher: Die Borg werden von einem unerbittlichen Zwangs- und Ordnungsgeist zusammengehalten, der daherkommt als Lied hinter der Stirn des Einzelnen und dem man sich unbedingt zu fügen hat.

 

Das Bild der „kybernetischen Zombies“, wie sie einmal genannt wurden, hatte sich gewandelt. Pünktlich zum Ende des Kalten Kriegs zwischen zwei unterschiedlichen Weltanschauungen hatte es sich möglicherweise ein Stück weit entideologisiert, zumal die Borg nun als eine Mischung aus totalitärer Herrschaft und Insektenstaat daherkamen. Hier bleibt das Ganze indes nicht stehen. Der Abschluss von Voyager (Endspiel) zeigte uns die Zerstörung des Hauptquartiers der Borg im Delta-Quadranten. Doch ist das mitnichten das Ende für ihr Volk.

 

Das Abenteuer geht weiter

 

Weil die Borg in den Star Trek-Romanen immer etwas stiefmütterlich behandelt worden waren, entschied sich die Editorenabteilung bei Pocket Books um Margaret Clark, sie in den Mittelpunkt der literarischen TNG-Fortsetzung zu stellen. In einem Interview des Communicator-Magazins sagte Clark, sie wolle die Regeln umwerfen, nach denen Borgabenteuer bislang funktioniert haben, um wieder den Albtraumcharakter dieser Bedrohung zu betonen. Widerstand, nach Tod im Winter das zweite Buch des TNG-Relaunch,unternimmt da nur den ersten Schritt in eine Richtung, die die Natur der bionischen Wesen einer scharfen Zäsur unterziehen wird – und sogar das ganze Star Trek-Universum des 24. Jahrhunderts.

 

Nebenbei geht es um Fragen, über die uns die Serien und Kinofilme bislang keinen Aufschluss geben konnten. Fragen wie: Wie alt sind die Borg wirklich? Was hat es mit der Borgkönigin hinter nebulösen Phrasen wie „Ich bin das Kollektiv“ eigentlich auf sich? Woher kommen die Borg ursprünglich? Oder: Warum waren die Borg von Anfang an so besessen, sich ausgerechnet die Menschheit einzuverleiben?

 

In einer lang angelegten Reihe, die 2010 in die Destiny-Trilogie einmünden wird, bringt uns der Cross Cult-Verlag nun die Abgründe der Borg auf Deutsch näher. Man darf gespannt sein, welche Geheimnisse Picard und seine Crew den Hightechschurken entlocken werden. Denn weiter hat jener Satz uneingeschränkt Gültigkeit, den Editorin Clark prägte: „Star Trek war immer dann am stärksten, wenn es um alles oder nichts ging“.

 

Und um ein paar böse Jungs.