Wer ist schuld am Krieg? – Eine alternative Betrachtung

 

„Beziehungen mit dem Dominion können sehr gefährlich sein.“

- Eris in Der Plan des Dominion

 

Kriege sind nicht gleich Kriege, und die Gründe, weshalb aus allgemeinen Bedrohungslagen offene Gewalteskalationen werden, sind äußerst vielfältig. Unsere klassische Vorstellung von Krieg basiert auf der Annahme, dass eine Macht Ansprüche auf ein Land oder Territorium einer anderen Macht erhebt, und tatsächlich entspricht dieser Trend auch wieder jüngeren Entwicklungen in unserer Zeit. Oft genug kommen kriegerische Auseinandersetzungen aber durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zustande, sodass (latente) Konfliktkonstellationen in eine verhängnisvolle Dynamik geraten, bis schließlich die sprichwörtliche Lunte am Pulverfass brennt.

 

Der sich zunächst langsam anbahnende und dann schrankenlos tobende Krieg gegen das Dominion ist möglicherweise ein gutes Beispiel hierfür. Er bricht nicht vom einen Tag auf den anderen Tag aus, sondern hat einen längeren Verlauf, entwickelt sich in Phasen und Schüben. Wenn wir uns die Konfliktursachen ansehen, stoßen wir nicht nur auf ein durchaus komplexes Gemisch an Faktoren, die ihren Anteil am letztendlichen großen Knall haben, sondern auch auf reichhaltige Bezüge zu unserer eigenen geschichtlichen Realität. Gehen wir der Sache also einmal nach: Bei wem liegt die Verantwortung für den Ausbruch des Dominion-Kriegs, wer hat sich schuldig gemacht? Könnte es womöglich sogar sein, dass die Föderation die Gründer in irgendeiner Weise provoziert hat? Und was sagt die Betrachtung besagter Faktoren darüber aus, wie unabwendbar dieser fürchterliche Krieg im Star Trek-Universum wirklich war?

 

Schurkischer Masterplan oder in den Krieg hineingetaumelt?

 

Wenn man eine Umfrage unter DS9-Fans starten würde, so würde die einhellige Meinung über die Konfliktursachen sicherlich lauten, dass das Dominion die Schuld am Krieg trägt. Kann es daran überhaupt einen ernsthaften Zweifel geben? Das Dominion mag vielleicht nicht von vorneherein auf einen umfassenden Krieg gegen den Alpha-Quadranten abgezielt haben, aber es nahm ihn jedenfalls bereitwillig in Kauf, um seine Herrschaftsansprüche zu verwirklichen. Odo und Dutzende andere Formwandler wurden kurz nach ihrer Geburt ausgesandt, um entlegene Teile der Galaxis auszukundschaften und mit Informationen zurückzukehren, damit die Gründer eines Tages dort leichter die Kontrolle würden übernehmen können. Aus Perspektive der Föderation und ihrer Alliierten war der Krieg gegen das Dominion stets ein Verteidigungskrieg, dessen Ausbruch sie an verschiedenen Punkten tatsächlich zu verhindern suchte. Aber macht man es sich mit dieser dichotomen Verteilung der Schuldfrage nicht etwas zu einfach? Womöglich stellt sich die Lage differenzierter dar, wenn wir tiefer schürfen.

 

Denn der Dominion-Krieg ist bei Lichte betrachtet eine Melange unterschiedlicher Variablen und Einflüsse, die sich in einer Art Eskalationsspirale miteinander vermengen. Wichtige Faktoren sind dabei Ideologie, Angst, Misstrauen, Machtstreben und Ignoranz. Betrachtet man den Konflikt nämlich von hinten nach vorne, so besteht zwar kein Zweifel, dass die Supermacht aus dem Gamma-Quadranten von Anfang an als Antagonist gesetzt war. Zweifellos spielte sie mit dem Gedanken, dem Alpha-Quadranten früher oder später in irgendeiner Weise ihre Vorstellungen von Ordnung aufzuprägen, ja die dortigen Völker in irgendeine Form der Abhängigkeit und Gefügigkeit zu drängen. Allerdings können wir wenigstens hinterfragen, inwiefern sie von vorneherein im Sinn hatte, die ganz große Eskalation herbeizuführen, die auch für das Dominion einen existenziellen Konflikt bedeutete. Immerhin wissen wir aus Überlieferungen in verschiedenen DS9-Folgen, dass das Dominion nicht zwangsläufig mit Kriegen als Mittel der Politik agiert, sondern hier durchaus variabel vorgeht.

 

Im Folgenden möchte ich – durchaus ein wenig provokant und zugespitzt – der These nachgehen, dass nicht nur das Dominion für den Kriegsausbruch verantwortlich zeichnete. Wenngleich in unterschiedlicher Form und Gewichtung, trugen wissentlich wie unwissentlich auch die Föderation und andere Großmächte der ‚südlichen‘ Galaxis ihren Teil dazu bei, dass sich der kalte in einen heißen Krieg verwandelte.

 

Legitime Sicherheitsinteressen auf der anderen Seite der Galaxis?

 

Im Grunde war der Boden für den Konflikt mit dem Dominion von dem Zeitpunkt an bereitet, als die Sternenflotte das Wurmloch entdeckte. Denn kaum war die Anomalie bekannt und DS9 an ihre Mündung im Denorios-Gürtel verlegt worden, begann sehr rasch die Erforschung des Gamma-Quadranten. Relativ schnell begannen Gerüchte über eine dort beheimatete Supermacht zu kursieren, die sich ‚Dominion‘ nennt. Alleine der Name – Herrschaft, Herrschaftsgebiet, Machtanspruch – hätte aufhorchen lassen müssen. Dann waren es noch die Dosi, die aus offensichtlicher Furcht vor dem Dominion ein Handelsabkommen mit den Ferengi platzen ließen; die Skrreea berichteten, vor dem Dominion geflohen zu sein, und dass dessen Macht hauptsächlich militärischer Natur sei; dies wurde auch von Rurigan, einem Flüchtling von Yadera Prime bestätigt, dessen Heimatwelt von den Truppen des Dominion erobert worden war. Allerdings führten solche Informationen und teils auch Warnungen in keiner Weise dazu, dass die Föderation und andere Mächte aus dem Alpha- wie Beta-Quadranten ihr Forschungsfieber drosselten. Im Gegenteil, es wurden besiedelbare Planeten ausgekundschaftet und sogar in einzelnen Fällen Koloniestandorte begründet, insbesondere von den Bajoranern (mit aktiver Unterstützung der Föderation), da diese das Wurmloch als Verkörperung ihrer Propheten begreifen.

 

Neben der Föderation schickten alle anderen Großmächte des Quadrantengefüges – die Cardassianer, die Klingonen und möglicherweise auch die Romulaner – Schiffe in diesen bisher noch nicht erkundeten Teil der Galaxis. Ihre Präsenz stieg stetig, und da es sich um einen weit entfernten Bereich der Milchstraße handelt, konnte man relativ ungestört und ohne größere Rücksichtnahme seine eigenen Interessen verfolgen. Eben hierin liegt die erste Ursachenschicht für den Konflikt zwischen den Mächten des Alpha-Quadranten und dem Dominion. Die Gründer definierten den Gamma-Quadranten als ihren Einflussbereich, auch wenn nicht alle seine Gebiete dem unmittelbaren Hoheitsraum des Dominion angehören. Entsprechend fühlten sie sich von vorneherein durch die fremde Präsenz in ihrer Sphäre herausgefordert und bedroht. Inwiefern diese Bedrohung durch vereinzelte Schiffe aus der anderen Hälfte der Galaxis wirklich objektiv-handfest war, kann trefflich angezweifelt werden, doch hier geht es um die subjektive Wahrnehmung der Gründer aus ihrem eigenen soziokulturellen Kontext heraus. Wir wissen nämlich, dass es sich per se um ein zurückgezogenes, xenophobes und äußerst paranoides Volk handelt. In ihrer übersteigerten Wahrnehmung waren die zahlreichen unautorisierten Forschungs- und Kolonisierungsexpeditionen ein Beleg dafür, dass das Dominion von den Mächten jenseits des Wurmlochs in seiner Autorität angegriffen wurde. Mehr noch: Die Ferengi-Allianz stellte auf eigene Faust wirtschaftliche Beziehungen mit den Karemma, einem Mitglied des Dominion, her, sodass später Informationen über die Binnenstruktur des Gründer-Imperiums an die Föderation weitergegeben werden konnten. (Wir wissen nicht, welche Kontakte andere Mächte herstellten und welches Wissen sie ggf. über das Dominion erwarben.)

 

Aus Sicht der Formwandler konnte also kein Zweifel bestehen: Die Föderation und andere Mächte ‚wilderten‘ im Gebiet des Dominion. Damit waren die Weichen bereits auf einen Grundkonflikt hin gestellt. Das Dominion fühlte sich nicht bloß in seiner Einflusssphäre verletzt, sondern beobachtete eine Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Dies zeitigte Ende 2370 ein erstes dramatisches Resultat: Um ein Exempel zu statuieren, das Abschreckungscharakter hatte, zerstörten die Jem’Hadar u.a. die Kolonie New Bajor sowie den Sternenflotten-Kreuzer U.S.S. Odyssey und weitere Schiffe, die im Gamma-Quadranten unterwegs waren.

„Das Dominion wird nicht länger tatenlos mitansehen, wie Schiffe von Ihrer Seite vorsätzlich unser Territorium verletzen. […] Hier ist eine Liste der Schiffe, die wir wegen Verletzung unseres Territoriums zerstört haben. […] Ich hoffe, wir müssen diese Lektion nicht wiederholen.“ (Talak‘talan in DS9 2x26 Der Plan des Dominion)

 

Als Commander Benjamin Sisko Anfang 2371 mit der U.S.S. Defiant aufbrach, um die Gründer davon zu überzeugen, dass die Föderation keine Gefahr für das Dominion darstellte, war es eigentlich zu spät, um die Wogen noch zu glätten. Zudem konterkarierte die Föderation die Demonstration ihrer vermeintlich friedlichen Absichten damit, dass sie zum einen ein experimentelles Kriegsschiff der Sternenflotte in den Gamma-Quadranten entsandte (man wollte zugleich Stärke vermitteln), und die Art und Weise der Kontaktaufnahme war nicht unbedingt vertrauenserweckend (zugegeben, es gab nicht viele Möglichkeiten, als über die Karemma zu gehen und eine Relaisstation anzuzapfen). Zum anderen war die Föderation trotz ihrer Bemühungen, ‚good will‘ zu demonstrieren, nicht wirklich bereit, auf die Befindlichkeiten des Dominion einzugehen. So stand zu keiner Zeit ernsthaft zur Diskussion, die Erforschung des Gamma-Quadranten vorerst auf Eis zu legen oder mit dem Dominion Zonen auszuhandeln, die für die Föderation und andere Mächte tabu waren. 

 

Verhielt sich die Föderation fahrlässig?

 

Der Grund, dass die Föderation jenseits der Bekundung friedlicher Absichten nicht gewillt war, etwas an ihrem Kurs zu ändern, wurzelt meines Erachtens in der Annahme, moralisch-juristisch im Recht zu sein, wenn sie darauf beharrte, den Gamma-Quadranten weiter erforschen zu wollen. Sie berief sich dabei auf interstellares Recht (analog zum Völkerrecht der Gegenwart) und die Idee eines Selbstbestimmungsrechts jener Welten und Zivilisationen, mit denen sie Kontakt herstellte. Das mag soweit nachvollziehbar sein, allerdings besteht ein großes Problem darin. Warum? Im Alpha- und Beta-Quadranten mag es aufgrund der zahlreichen Abkommen und Konventionen unter den dortigen Machtblöcken eine Art interstellares Recht geben. Demzufolge könnte man, mit Ausnahme der Territorien souveräner Mächte, den Gamma-Quadranten als ‚open space‘ (ähnlich internationalen Gewässern bei uns) definieren, was im Umkehrschluss bedeutet, dass das Dominion nicht das Recht besitzt, den Völkern des Alpha-Quadranten Forschungsexpeditionen zu untersagen. So weit, so gut.

 

Allerdings gilt dieses Regelwerk definitiv nicht für andere Teile der Milchstraße. Das Dominion ist demnach nicht Teil jenes Regimes, welches das interstellare Recht im Umfeld der Föderation fundiert. Entsprechend fühlte es sich auch nie an derlei Vorgaben, welche VFP, Klingonen, Cardassianer und Romulaner ausgehandelt haben mögen, gebunden. Wie legitim ist also der Anspruch der Föderation, sich im Gamma-Quadranten auf ein höheres Recht zu berufen? In meinen Augen agierte die Planetenallianz gegenüber dem Dominion so, als stülpe sie ihm die eigenen Weltanschauungen und Verhaltenskoordinaten auf. Defacto aber kann sich die Föderation hinsichtlich ihres Anspruchs auf Erforschung des Gamma-Quadranten nur auf eigene Wertvorstellungen und das im Alpha- und Beta-Quadranten geltende interstellare Recht berufen. Das Dominion sieht das indes völlig anders und betrachtete demgemäß das Vorgehen der Eindringlinge mindestens als Affront.

„Ihre widerrechtliche Festnahme von Commander Sisko wird die weitere Erforschung des Gamma-Quadranten durch uns nicht verhindern.“ (Jadzia Dax  in DS9 2x26 Der Plan des Dominion)

 

Die Föderation lässt es darauf ankommen…

 

Vielleicht noch bemerkenswerter als die Phase zwischen 2369 und Ende 2370 ist der Abschnitt zwischen 2371 und Ende 2373, wo die Lunte am Pulverfass definitiv Feuer fing. Denn in dieser zweiten Phase zeigte sich, dass die Föderation ihren Kurs des Eindringens in den Gamma-Quadranten keineswegs revidierte und überdachte. Im Gegenteil, sie drang weiterhin regelmäßig und proaktiv auf die andere Seite des Wurmlochs vor und sorgte für einige höchst bedenkliche Konfrontationen mit dem Dominion, die aus dessen Sicht nur als aktive Einmischung in seine Belange interpretiert werden konnten (und das nachdem bereits das besagte ‚Exempel‘ statuiert worden war). Um einige Beispiel zu nennen:

  • Auf der Gamma-Quadrant-Seite des bajoranischen Wurmlochs wurde eine Überwachungs- und Subraumkommunikationsstation eingerichtet (Trekors Prophezeiung).
  • Die Sternenflotte flog mit der Defiant bis zur (nun verlassenen) Gründer-Heimatwelt, um Odo und Garak zu retten. Dabei wurde sie nicht nur Zeuge, wie die kombinierte romulanisch-cardassianische Streitmacht vernichtet wurde, sondern die Defiant zerstörte selbst mehrere Jem’Hadar-Schiffe – ein offen feindseliger Akt (Der geheimnisvolle Garak).
  • Auch nach 2371 drang die Defiant in den Gamma-Quadranten vor. Dabei wurden weitere, aus Sicht des Dominion illegale Kontakte mit den Karemma hergestellt und die Wirtschaftsbeziehungen gepflegt (Das Wagnis).
  • Dr. Bashir hatte gleich zwei Aufenthalte im Gamma-Quadranten, die politisch brisant waren. So versuchte er auf Merik III eine Gruppe Jem’Hadar, die unter Ketacel-White-Entzug litten, von ihrer Abhängigkeit zu heilen (Der hippokratische Eid). Später bekämpfte er aus humanitärem Antrieb das ‚Quickening‘, eine genetisch designte tödliche Krankheit, mit der die Teplaner vom Dominion für ihren Widerstand gegen eine Eroberung ihrer Welt bestraft wurden (Hoffnung). Sein Agieren stellte aus Sicht des Dominion einen Affront, da es in dessen Politik und Machtstruktur potenziell hineinintervenierte.
  • Worf und Dax begaben sich auf die Suche nach dem Schwert des Kahless in den Gamma-Quadranten (Das Schwert des Kahless).
  • Weitere Exkursionen in den Gamma-Quadranten erfolgten, z.B. nach Torga IV, wo die Crew der Defiant Cormalinvorkommen vor Ort begutachtete, um festzustellen, ob sich eine Ausbeutung der Rohstoffe des Planeten lohnte. Nach Absturz eines Jem’Hadar-Jägers versuchten Sisko und seine Offiziere, diesen zu bergen und in den Alpha-Quadranten zu bringen, was letztendlich auch gelang (Das Schiff).

 

Insoweit muss man jenseits (völker-)rechtlicher und moralischer Aspekte die unverblümte Frage stellen dürfen, ob die Föderation wirklich politisch klug gehandelt hat. (Lassen wir hier einmal außen vor, dass es nicht zu Unrecht die Oberste Direktive gibt, die die Sternenflotte dafür sensibilisieren soll, Einmischungen zumindest genau abzuwägen.) Offensichtlich hatte sich für die Föderation ein diplomatischer Ansatz im Umgang mit dem Dominion schnell erledigt – ihre Handlungen sprechen jedenfalls dafür. Einmal angenommen, es hätte spätestens ab Anfang 2371 ein vorübergehendes Aussetzen aller Expeditionen auf die andere Seite der Galaxis gegeben: Vielleicht hätte dies deeskalierend gewirkt. Weitere diplomatische Initiativen hätten womöglich zumindest die allgemeine Lage ein Stück beruhigen können. Mit Odo hätte man dafür sogar einen potenziellen Unterhändler in den eigenen Reihen gehabt.

 

Wobei man natürlich anzweifeln kann, ob die Gründer aufgrund ihres Mindsets überhaupt zu ernsthaften Verhandlungen bzw. vertrauensbildenden Maßnahmen bereit gewesen wären. Allemal hätte eine solche Unterbrechung der Reisen in den Gamma-Quadranten Zeit verschafft anstatt die Eskalationsspirale in kurzer Zeit weiterzudrehen, und die Föderation hätte für sich in Anspruch nehmen können, wirklich im moralischen Recht zu sein, wenn vonseiten der Gründer dann Provokationen und Bedrohungen erfolgt wären. Doch ein solches ‚Appeasement‘ wurde nie ernsthaft ins Auge gefasst.
Nun mag man erwidern, dass die Handlungen, die das Dominion ab 2371 an den Tag legte, dafür sprechen, dass es nie ernsthaft eine friedliche Konfliktbeilegung und Koexistenz im Sinn gehabt hatte. Immerhin mischt es sich relativ rasch und dann ab 2372 noch intensiver in die Angelegenheiten des Alpha-Quadranten ein, versucht zu manipulieren und in seinem Sinne andere Mächte zu schwächen. Wir können indes nicht genau rekonstruieren, ab wann das Dominion in den Modus der aggressiven Intervention im kalten Krieg schaltete. Vielleicht geschah dies erst in Reaktion auf die fortwährenden Exkursionen der Föderation und anderer Mächte in den Gamma-Quadranten.

 

Das bunte Treiben der lieben Nachbarn

 

Womit wir beim Stichwort wären. Es gibt nämlich jenseits der Föderation noch andere Player, die das allgemeine Geschehen durch ihr erratisches Verhalten anfachen. Ich denke hier v.a. an die Geheimdienstaktion des cardassianischen Obsidianischen Ordens und des romulanischen Tal Shiar. Eigenmächtig setzten diese sich zum Ziel, die Gründer-Heimatwelt in einem Präventivschlag auszulöschen und damit dem Dominion-Imperium den Kopf abzuschlagen. Es ist von einer gewissen traurigen Ironie, dass die innere Verfasstheit zweier nicht-demokratischer Großmächte mit entfesselten, autarken Geheimdiensten letztlich einen zentralen Beitrag zum Überlaufen des sprichwörtlichen Fasses leistete. Das Dominion bekam bekanntermaßen frühzeitig Wind von der geheimdienstlichen Verschwörung, die von Enabran Tain ausging, und stellte den beiden Organisationen eine tödliche Falle. Doch spätestens nach dieser Aktion dürfte sich die Bedrohungswahrnehmung der Gründer ins Unermessliche gesteigert haben. Ab da dürfte festgestanden haben, dass sie aggressiv gegen den Alpha-Quadranten würden vorgehen müssen. Entsprechend begann hier die ‚Gegenkampagne‘: Das Dominion entsandte Agenten, die die politischen Verhältnisse im Alpha-Quadranten manipulierten. So versuchte man, die Föderation und die Tzenkethi in einen Krieg zu verwickeln; auch bewegten die Gründer über die gezielte Ersetzung von General Martok durch einen der ihren den klingonischen Kanzler zu einem verhängnisvollen Feldzug gegen die Cardassianische Union.

 

Zu allem Überfluss waren die durch Dekolonisierung, Maquis-Rebellion und klingonische Offensive schwer gebeutelten Cardassianer ein zentrales Puzzleteil in der Eskalationsspirale, die das Dominion nun aktiv vorantrieb. Das Dominion machte sich geschickt die Multipolarität im Alpha- und Beta-Quadranten mit all ihren machtpolitischen Ambitionen, Spannungen und Bruchlinien zunutze, instrumentalisierte sie aktiv. Nicht nur schuf es sich mit dem Bündnis mit Cardassia einen Brückenkopf im Alpha-Quadranten, sondern es konnte auch kleinere Mächte und letztlich sogar die mächtige Breen-Konföderation zur Kooperation bewegen.

 

Ideologie und Kontrollwahn der Gründer

 

Davon unbenommen: Die fanatische und xenophobe Ideologie der Gründer ist eindeutig die größte Barriere, die einer Vermeidung des großen Kriegs im Wege stand. Daran lässt sich nicht vorbeikommen. Man muss es klar betonen: Die Gründer sind Totalitaristen im schlimmsten Sinne. Sie haben ein durch und durch autoritäres interstellares Imperium geschaffen, das von aggressiver Unterjochung und Einschüchterung lebt. Im Extremfall schreckten die Gründer auch nicht vor Völkermord zurück (Hoffnung; Das, was du zurücklässt), um ihren Willen durchzusetzen. In chauvinistischer Manier halten sie sich zum Herrschen über vermeintlich geringerwertige Lebensformen auserkoren.

„Die Gründer betrachten es als ihre heilige Pflicht, Ordnung in die Galaxis zu bringen, und zwar ihre. Denken Sie, dass sie untätig herumsitzen werden, während Sie Ihr chaotisches Imperium neben ihrer perfekten Ordnung weiterführen? Nein!“ (Benjamin Sisko in DS9 6x19 In fahlem Mondlicht)

 

Zudem unterliegen sie chronischem Misstrauen und einem äußerst aggressiven Kontrollwahn. Dieser führte mitunter dazu, dass die Föderation in ihrer Wahrnehmung anders ‚geframet‘ wurde als diese sich selbst sah und präsentierte. Die Planetenallianz erschien aus Sicht der Gründer als Wolf im Schafspelz, der zwar wohlwollende Absichten heuchelte, aber dahinter eiskalte Machtpolitik betrieb und es auf das Leben der Formwandler abgesehen hatte. Und die vermeintliche Leichtfertigkeit und Sturheit, mit der sich die Föderation auf die Erforschung des Gamma-Quadranten eingelassen hatte (mit allen größeren und kleineren Einmischungen, die dazu gehörten), bestätigte in den Köpfen der Gründer so etwas wie verkapptes Expansionsstreben und kulturellen Imperialismus.

 

Nichtsdestotrotz sollte man auch die Frage in den Raum stellen, ob die Furcht der Wechselbälger vor den ‚Solids‘ tatsächlich so unbegründet ist. Natürlich bleibt es in der Serie im Reich der Erzählungen und Überlieferungen angesiedelt, doch an verschiedenen Stellen hören wir von den Gründern, welches Martyrium ihre Vorfahren durch Humanoide erleiden mussten, ehe sie sich (angeblich) unter dem Schutzschirm des Dominion versammelten. Diese Erzählung impliziert, die Gründung des Formwandler-Imperiums sei ursprünglich nichts anderes als ein zutiefst defensiver Akt gewesen.

„Die Große Verbindung sagt uns, dass unser Volk vor vielen Jahren, und zwar auf der Suche nach anderen Rassen, die Sterne besucht hat, damit wir unser Wissen über die Galaxis erweitern konnten. Wir wollten den Frieden, aber all zu oft empfing man uns mit Hass, Gewalt und Misstrauen. […] Die Solids fürchteten unsere metamorphischen Fähigkeiten. Also wurden wir von ihnen gejagt und dann getötet. Schließlich sind wir hier gelandet. Und hier, in der Sicherheit der Isolation, fanden wir eine neue Heimat.“ (Gründerin in DS9 3x02 Die Suche, Teil 2)

 

Man könnte es so interpretieren: Die Gründer waren womöglich einst tatsächlich Opfer, erlebten eine schwere Traumatisierung, wurden dann aber in längerfristiger Perspektive zu Tätern. Vor allem verstiegen sie sich in eine totalitäre Ideologie und den Wunsch, das All nach ihren Vorstellungen neu zu ordnen. Am Ende steht eine toxische Mischung aus einer geschlossenen, schwer änderbaren Weltanschauung und ständiger Paranoia, existenziell bedroht zu sein und daher alles unter Kontrolle behalten zu müssen.

„Wir gehören nicht zum Dominion. Die Wechselbälger sind das Dominion. […] Wenn das keine Ironie ist: Die Gejagten kontrollieren jetzt das Schicksal von Hunderten anderer Rassen. […] Vor vielen Jahrhunderten stellten wir uns die Aufgabe, in einem chaotischen Universum Ordnung zu schaffen. […] Die Solids waren für uns stets eine Bedrohung. Eine andere Rechtfertigung brauchen wir nicht. […] Die Solids sind nicht wie wir.“ (Gründerin in DS9 3x02 Die Suche, Teil 2)

 

Die gefährliche Mischung aus chronischer Furcht und ideologisch überhöhtem Superioritätsdenken diktierte den Wechselbälgern von vorneherein die Notwendigkeit, sich nach der Entdeckung des Bajoranischen Wurmlochs früher oder später jedenfalls machtpolitisch in den Alpha-Quadranten auszubreiten, entsprach es doch ihren seit Jahrhunderten gehegten Vorstellungen. Tatsächlich hatten die Gründer stets ein Interesse am besonders dicht besiedelten Alpha-Quadranten gehabt, allerdings damit gerechnet, ihn erst im 27. Jahrhundert zu erreichen. Das vermeintlich defensive Bedürfnis, die Föderation und weitere Mächte aus dem Gamma-Quadranten herauszuhalten, war somit vielleicht mehr Verschleierung der wahren Absichten, um sich leichter als Opfer darstellen zu können. Denn wirklich attackiert wurde das Dominion von der Föderation zu keiner Zeit.

„Irgendwie tun sie [die Solids] mir leid.“ – „Sie brauchen unsere Führung, Odo, nicht unser Mitleid.“ – „Ihre Freiheit bedeutet ihnen viel.“ – „Das werden wir ihnen abgewöhnen.“ (Odo und Gründerin in DS9 6x05 Ein kühner Plan)

 

Ein Betriebsunfall der Geschichte?

 

Das Zustandekommen des Dominion-Kriegs kann nicht auf eine einzige, isolierte Ursache zurückgeführt werden. Vielmehr sind viele Faktoren an seiner Entstehung beteiligt, und keine der Mächte auf beiden Seiten der Galaxis ist hierbei komplett ohne Verantwortung.
Allem voran ist der aus chauvinistischer Ideologie, Xenophobie und permanentem Bedrohungsgefühl erwachsene Kontroll- und Missionierungswunsch der Gründer zu nennen, der, wenn auch nicht in direkter Linie, zumindest indirekt auf eine Konfrontation zusteuerte. Denn grundsätzlich konnten es sich die Gründer in ihrer Weltanschauung nicht leisten, einen freien – aus ihrer Sicht chaotischen – Alpha-Quadranten zu tolerieren.

 

Die Föderation wiederum tat allerdings nur sehr wenig, um die Bedrohungsperzeption der Gründer abzuschwächen. Im Gegenteil, im Licht der Rückschau beschleicht einen der Eindruck, die Planetenallianz habe die Befindlichkeiten der Dominion-Herren in naiver, teils selbstgerechter Weise fortwährend ignoriert und dadurch für ernsthafte Provokationen gesorgt. Dies gilt allem voran für die ständigen Expeditionen in den Gamma-Quadranten – später mit dem hochgerüsteten Kriegsschiff Defiant –, die teils aus Sicht des Dominion einen offen interventionistischen Charakter hatten. Womöglich wäre eine (zumindest temporäre) Politik der Zurückhaltung gegenüber dem Dominion gepaart mit intensiveren diplomatischen Bemühungen hier die bessere Alternative gewesen. Da die Föderation über den Wechselbalg Odo in den Besitz des kollektivpsychologischen Profils der Gründer gelangte, hätte doch ein Ansatzpunkt für eine längerfristige Kriegsverhütung darin bestehen können, auf die (vermeintlichen) psychischen Traumata dieses Volkes mit deutlich mehr Sensibilität einzugehen.

 

Dass die Föderation die Bedrohung durch das Dominion nicht ernst genommen hätte, kann ausgeschlossen werden. Gerade Staffel drei zeigt, dass das Dominion mit seiner Masse gezüchteter Soldaten und dem technologischen Entwicklungsstand als extreme, ja beispiellose Gefahr wahrgenommen wird, und die anfänglichen Erfahrungen mit den Jem’Hadar belegten dies. Umso mehr kann man also die Frage stellen, weshalb die Planetenallianz die diplomatischen Optionen so schnell aus der Hand gegeben hat. Es deutet einiges darauf hin, dass sie sich moralisch im Recht wähnte, den Gamma-Quadranten zu besuchen und ihrem hehren Forscherkredo nachzugehen. Dass sie dabei selbst ideologisch oder zumindest in einem sehr eigenen Gedankengebäude handelte – nämlich auf Basis ihrer institutionellen Vorstellungen von Richtig und Falsch und auf Grundlage dessen, was im Alpha- und Beta-Quadranten interstellares Recht sein mag – scheint ihr entweder nicht recht bewusst gewesen zu sein oder sie scheint ganz bewusst so gehandelt zu haben, weil sie sich nicht von den Machtprojektionen einer autoritären Supermacht beeindrucken lassen wollte (eine Lehre aus früheren Konflikten mit anderen Großmächten?). Offenbar war für sie indiskutabel, zumindest vorübergehend auf die freien Zufahrtswege in den Gamma-Quadranten zu verzichten. Sie hat immer wieder deutlich gemacht, dass ihre Erforschung auf der anderen Seite der Galaxis weitergehen werde.

 

Dies bestärkte ohne Zweifel die Vorurteile der Gründer in Bezug auf die Solids. Zugleich können wir darüber diskutieren, ob die Dominion-Propaganda nicht vielmehr einen Vorwand suchte, sich als Opfer der ‚falschen Schlange‘ Föderation zu inszenieren, um einen legitimen Grund für eine Gegenreaktion zu haben. Das Argument, einen Verteidigungskrieg zu führen, haben auch aggressiv-revisionistische Mächte wie die Russische Föderation angebracht, um einen Quasi-Kolonial- und Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verbrämen und sich ein rechtschaffenes Image zu verschaffen.

 

Der Konflikt hat schließlich auch sehr viel mit Machtpolitik und den damit verbundenen Interessen und Machtansprüchen der verschiedenen Großmächte des Alpha- und Beta-Quadranten zu tun. Die Multipolarität des 24. Jahrhunderts erwies sich als Verhängnis für den galaktischen Frieden.  Gerade die Romulaner und Cardassianer mit ihren eigenmächtig agierenden Geheimdiensten haben sich als stark unberechenbare Akteure erwiesen. Mit ihrem konspirativen Verhalten haben sie die (bestenfalls zaghaften) diplomatischen Bemühungen der Föderation konterkariert und vollends Öl ins Feuer gegossen. Spätestens das Vorhaben einer präventiven Ausrottung der Gründer dürfte das Dominion davon überzeugt haben, dass längerfristig nur eine gewaltsame Lösung in seinem Sinne sein konnte. Man kann also sicherlich behaupten, dass spätestens ab dem Ende von Staffel drei die Weichen auf Krieg gestellt waren.

 

Der Historiker Christopher Clark hat 2012 in seinem vielbeachteten Buch Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog rekonstruiert, in welchem Kausalitätsgeflecht der Erste Weltkrieg entstanden ist und welche Rolle die einzelnen Machtzentren Europas dabei gespielt haben. Dabei schlussfolgerte er, dass die Julikrise von 1914 ein komplexes Ereignis mit zahlreichen Interaktionen, Zwischenfällen und spezifischen Wahrnehmungen der beteiligten Akteure gewesen sei. Obwohl lange Zeit niemand bewusst auf einen großen Krieg hingearbeitet hatte, trug jede Großmacht dazu bei, dass er entstand – durch Unvorsichtigkeit, Fahrlässigkeit, Egoismus, Kurzsichtigkeit. All diese Zutaten vermengten sich letztlich zum perfekten Sturm.

 

Gab es auch in Deep Space Nine so etwas wie Schlafwandler auf den unterschiedlichen Seiten? Im Fall des Dominion würde ich dies eher verneinen, denn der Spielraum, mit den Gründern zu einer friedlichen, stabilen Übereinkunft zu finden, war von vorneherein aufgrund deren Prädispositionen beschränkt. Aber möglicherweise sind gerade die Mächte des Alpha-Quadranten in den Krieg hineingetaumelt, indem sie unüberlegte und unabgestimmte Fehlentscheidungen trafen, die besagten Spielraum schließlich vollends zunichtemachten. Das ist keine Relativierung der enormen und primären Kriegsschuld der Wechselbälger. Ich würde nur behaupten, dass so, wie die Dinge ihren Lauf nahmen, nicht einmal ein winziges Fenster für eine ernsthafte Friedensoption da war, und hier haben sich gerade Föderation, Cardassianer und Romulaner alles andere als mit Ruhm bekleckert.
Trotzdem erscheint angesichts einer Macht wie dem Dominion in meinen Augen eher unwahrscheinlich, dass dauerhaft die Gefahr eines offenen Kriegs hätte gebannt werden können. Der Ausbruch einer großen militärischen Konfrontation hätte aber durch kluges diplomatisches Handeln womöglich wirksam verzögert werden können. Appeasement, so sagt man, kann eine Art von Doppelstrategie sein. Einerseits gilt es, schwerwiegende Konflikteskalationen wenigstens vorübergehend zu vermeiden und alle sich bietenden nicht-letalen Möglichkeiten zu nutzen. Andererseits erkauft eine intelligente Appeasementpolitik mitunter auch die nötige Zeit, um sich bestmöglich verteidigen zu können, sollte es zum Äußersten kommen. In dieser Hinsicht wäre es allemal wünschenswert gewesen, wäre der Alpha-Quadrant anders gegenüber dem Dominion aufgetreten.

 

Hinweis: Sämtliches in diesem Artikel verwendetes Bildmaterial entstammt www.trekcore.com (öffentlich verfügbare Screencaps)

 

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