Day of the Vipers

Autor: James Swallow
Erscheinungsjahr: 2008
Seitenzahl: 520
Band: Pre-DS9

Zeitraum: 2318-28

 

Inhalt

 

Deep Space Nine begann und endete mit dem Schicksal des Planeten Bajor. Kaum eine andere Welt im Star Trek-Universum bekam eine so große Bühne bereitgestellt, auf der wir die paradiesgleiche Idylle Bajors ebenso erlebten wie den schier unerschütterlichen Glauben seiner Bewohner. Vor allem aber erhielten wir immer wieder Einblicke in die fünfzig Jahre währende Leidensgeschichte der Bajoraner während der Besatzung durch die Cardassianische Union. Darüber wurde jedoch nie erzählt, welche historischen und politischen Umstände zur Einnahme Bajors führten und welche Gestalten darin verwickelt waren. Eine umfassende Trilogie nimmt sich unter dem Label der Lost Era nun dieser epischen Thematik an.

 

Der erste Roman stammt aus der Feder des britischen Autors James Swallow und trägt den verheißungsvollen Titel Day of the Vipers. Die Schlangenart, auf die hier angespielt wird, neigt dazu, sich in hohem Gras an ihre Beute heranzupirschen. Und genau so gingen die Cardassianer bei der Eroberung Bajors vor – nicht direkt, sondern geduldig und heimtückisch. Bereits zu Serienzeiten hörten wir Andeutungen, die militärische Präsenz der Union auf dem Planeten am Rande des Wurmlochs sei der offiziellen Einnahme mehrere Jahre vorausgegangen. Jetzt wissen wir auch, wie sich die Ereignisse konkret zugetragen haben.


Alles beginnt anno 2318 mit einer sogenannten diplomatischen Mission eines cardassianischen Kreuzers unter dem Kommando des schmierigen Gul Kell. Er und sein Erster Offizier Skrain Dukat – ein junger, patriotischer und äußerst ehrgeiziger Soldat – sollen auf Geheiß des Detapa-Rats Kontakt mit den Bajoranern aufnehmen. Bei dieser Gelegenheit sollen gleich ein von den Cardassianern gefundenes bajoranisches Schiff und dessen tote Crew übergeben werden.


Kell erachtet die Mission zunächst als Zeitverschwendung, zumal er sich weder als Diplomat noch als Handlanger der demokratischen Ratsinstitution auf Cardassia sieht. Obendrein muss er noch eine Delegation Kleriker des Oralianischen Wegs – der auf Cardassia heimischen Religion – befördern, die mit den Bajoranern ins Gespräch kommen sollen. Trotzdem führt er den Einsatz wie angeordnet aus und knüpft erste Bande mit der planetaren Regierung. Dabei bestätigen sich seine Vorurteile über das friedliebende Volk schnell: Kell hält die Bajoraner für primitive Kinder, deren jahrtausendealte Kultur keine nennenswerten Fortschritte produziert hat. Er schiebt dies insbesondere auf ihre Gläubigkeit und sieht Parallelen zum Oralianischen Weg auf Cardassia – mit dem bedeutenden Unterschied, dass dort das Militär in den zurückliegenden Jahrhunderten immer mehr die Oberhand gewann und die Spiritualität Stück für Stück zurückgedrängt hat.


Am liebsten würde Kell die rohstoffreiche bajoranische Heimatwelt für die Union über den Weg der Waffengewalt einnehmen, doch er kann nicht: Cardassia hat sich in den vergangenen Dekaden an seiner raschen machtpolitischen Ausdehnung in sämtliche Dimensionen des Weltraums verhoben und ist nun darauf angewiesen, mit den Bajoranern ökonomisch zu kooperieren. Leider ist deren Administration vom ersten Angebot einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit nur wenig begeistert. Lediglich Kubus Oask, ein einflussreicher Geschäftsmann, und Minister Jas, der seine Flottille modernisieren möchte, signalisieren Gesprächsbereitschaft; die überwiegende Mehrheit der Führungselite bleibt indes skeptisch. Erst die Gespräche, die die oralianischen Kleriker mit dem Kai und den Vedeks führen, wecken mehr Interesse auf Seiten der Bajoraner. Die Geistlichen entdecken viele Parallelen in ihrer religiösen Weltanschauung und eröffnen einen intensiven Dialog.


Kell und Dukat sehen ein Einfallstor, doch noch zu ihrer anvisierten Kooperation zu kommen, und beginnen, sich eine List auszudenken. Sie instrumentalisieren die Oralianer – die auf Cardassia aufgrund der Verfolgung durch das Militär – immer mehr um Leib und Leben sowie ihren Fortbestand als Bewegung fürchten müssen, um die Bajoraner zur Einrichtung einer dauerhaften cardassianischen Präsenz auf Bajor zu überreden. Diese solle ausschließlich dem spirituellen Austausch dienen. Auf diese Weise gelingt es den Cardassianern erstmals, Fuß auf Bajor zu fassen.


In den kommenden Jahren werden die Cardassianer immer einfallsreicher und perfider, um ihre Präsenz unter dem Deckmantel der Völkerverständigung und -freundschaft auszubauen. Gekonnt inszenieren sie eine vermeintliche Bedrohungskulisse durch die Tzenkethi, errichten um die oralianischen Niederlassungen ganze Militärstützpunkte und erzwingen Ausnahmeregelungen im bajoranischen Gesetz für ihre Aktivitäten. Eine der treibenden Kräfte in dieser schleichenden Eroberung ist Dukat, der schnell ein Verständnis dafür entwickelt, wie die Bajoraner ‚ticken‘. Obwohl einige Bajoraner von Anfang an misstrauisch gegenüber den neuen ‚Mildtätern‘ geblieben sind, erliegt die Politik des Planeten schließlich den cardassianischen Intrigen, die sie lange genug hinhalten und lähmen, bis es letztlich zu spät ist und eine Flotte den Planeten einnimmt. Die dunkelsten Jahre der bajoranischen Geschichte nehmen ihren Lauf – und zwar in den beiden Folgebänden.

 

 

Kritik

 

Mit fünfhundert Seiten ist Day of the Vipers alles andere denn kompakt verfasst. Es jongliert mit einer Vielzahl von Figuren, Schauplätzen und symbolträchtigen Aspekten, und das fördert nicht unbedingt die Übersichtlichkeit des Werks. Was das Buch eigentlich erst interessant macht und seine Länge legitimiert, ist aber die Bestrebung zu zeigen, dass mit dem Versuch der Cardassianer, Bajor in ihre Gewalt zu bringen, auch massive Umwälzungen auf der cardassianischen Heimatwelt zusammenfallen, die nicht nur das Ende des (ohnehin schon marionettenhaften und vom Militär unterhöhlten) Detapa-Rats bedeuten, sondern auch die Erstickung der letzten Reste der religiösen Bewegung zur Folge haben. Cardassia schliddert vollends in die Diktatur. Es ist also auch eine finstere Zeit für diese Welt, nicht nur für Bajor.


So bekommt der Prolog des Romans, in dem der oralianische Cardassianer Bennek einem bajoranischen Mönch eine Glaubensmaske übergibt und ihn bittet, die Hinterlassenschaften des Oralianischen Wegs zu schützen, eine besondere Bedeutung. Die nämlich lautet: Es gibt nicht nur das eine Cardassia, das in DS9 dominant war (nämlich das totalitäre), und es hätte (über den Weg des Geistlichen) durchaus eine aufrichtige Freundschaft zwischen beiden Völkern geben können. Vor allem aber macht der Roman damit authentisch deutlich, dass die Schicksale Cardassias und Bajors weit mehr miteinander verschmolzen sind als nur durch eine Beziehung zwischen Herrschern und Beherrschten (darauf ist übrigens auch Hadlos missverstandene Vision durch den Drehkörper der Wahrheit ein Hinweis). Tatsächlich wird es am Ende des Dominion-Kriegs fast fünfzig Jahre später Bajor sein, dass – welche Ironie der Geschichte – die Grundlagen bereithalten wird für ein neues, demokratisches und friedliches Cardassia, denn es hütete die Überbleibsel des Oralianischen Wegs, jenen Ölzweig, der beide Völker irgendwann zusammenführen wird. So bleibt trotz aller Dunkelheit und Verzweiflung, die das Buch meisterhaft säht, doch noch Hoffnung für die Zukunft. Es ist diese bittersüße Melodie, die Day of the Vipers zu einem ausgesprochen epischen Buch macht.


Trotzdem möchte ich auch mit etwas konstruktiver Kritik nicht hinterm Berg halten: So tragisch und minutiös auch geschildert wird, wie die Cardassianer vor der eigentlichen Okkupation die Bajoraner mit ihrer falschen Freundschaft vergiften, so irritierend erscheint mir der Umstand, dass es geschlagene zehn Jahre dauert, bis überhaupt größere militärische Gewalt über den Planeten ausgeübt werden kann. Auch, wenn die Begründung dafür im Buch unter fernerliefen genannt wird – nämlich die militärische Überdehnung des cardassianischen Reichs –, erscheint mir das Vorgehen der Cardassianer (man denke nur daran, wie Dukat sich über verschiedene Tricksereien den Kopf zerbricht) unauthentisch. Einen Planeten wie Bajor hätte man im Handstreich schnell auch mit nur wenigen Schiffen erobern können, und selbst wenn man berücksichtigt, dass die Cardassianer vielleicht nicht direkt das ganze bajoranische Volk durch einen allzu offensichtlichen Eroberungsfeldzug gegen sich aufbringen wollen, hätten sie doch von Anfang an sehr viel mehr Druck ausüben können, frei nach dem Motto: ‚Wenn Ihr Bajoraner nicht mit uns Handel treibt und Eure Rohstoffe herausrückt, dann wird es ungemütlich.‘

 

Das Szenario, welches Swallow über die Vorgeschichte zur eigentlichen Besatzung entwickelt hat, macht dieser Kritikpunkt nicht automatisch schlecht, denn wir werden hier wirklich von der Art und Weise, wie Cardassia vorgeht und die Bajoraner im Grunde fortlaufend austrickst, überrascht. Der Autor hat die entstandene Komplexität der Situation genutzt, um auch etwas Wichtiges über die innere Zerrissenheit der cardassianischen Gesellschaft (nämlich unter anderem das Verhältnis zur Religion) einfließen zu lassen. Dennoch erscheint es bei einem Reich, das mindestens seit Jahrzehnten fremde Welten erobert, ausplündert und gewaltsam in sein Territorium eingliedert, ein kleinwenig unrealistisch, dass es geschlagene zehn Jahre Intrigen spinnen muss, bis es einen landwirtschaftlichen Planeten, der von keiner Großmacht protegiert wird, tatsächlich kontrolliert.

 

 

Fazit

 

Nichtsdestotrotz würde ich Day of the Vipers ein rundum gutes Zeugnis ausstellen, denn es bereichert die DS9-Saga und stellt einmal mehr unter Beweis, dass es sich eben um ‚Star Trek with an edge‘ handelt. Wir sehen den Beginn der Besatzung, der so ganz anders ist als man vermutlich gedacht hatte. Das bietet einen Mehr- und Eigenwert des Buches. Es ist nicht zuletzt eine wunderbare Vorlage für spätere Bücher des DS9-Relaunch, in denen die allmähliche Wiederannäherung zwischen Cardassia und Bajor erfolgen wird...

 

8/10 Punkten.

4-2012