Live by the Code

Autor: Christopher L. Bennett
Erscheinungsjahr: 2016
Seitenzahl: 350
Band: 6.4

Zeitraum: 7/-12/2165

 

Inhalt

 

Überall in der bekannten Galaxis macht sich die Ware breit, ein hochintelligentes Computernetzwerk vollautomatischer Raumstationen (bekannt aus der Episode Todesstation). Es ködert andere Welten, indem Dienstleistungen angeboten werden, die mehr Wohlstand, Lebensqualität und technologischen Fortschritt verheißen, doch der Preis, den die Völker dafür zahlen müssen, ist dauerhaft und – von außen betrachtet – schrecklich. Sie müssen eine unterschiedlich große Anzahl an Individuen bereitstellen, deren Gehirne von der Ware zur Erweiterung ihrer Prozessorleistung benötigt werden. Inzwischen sind viele Zivilisationen von der Ware abhängig geworden, obgleich zu ihrem Betrieb die Opferung von Teilen ihrer Bevölkerung notwendig ist.

 

Die Sternenflotte sieht die sich stetig ausbreitenden Ware-Stationen als Bedrohung an und geht – auch im Namen der Befreiung der von ihr ergriffenen Völker – gegen sie vor. Doch als ein andorianisches Raumschiff namens Vol’Rala eine Kultur (genannt ‚die Partnerschaft‘) von dem vermeintlichen Joch der Ware befreit, führt dies zu einer Katastrophe unter der Bevölkerung, deren gesamte Entwicklung überhaupt nur dank der Ware möglich war. Daraufhin wird die andorianische Besatzung festgenommen und vor ein Tribunal der Fremdweltler gestellt.

 

Die U.S.S. Pioneer eilt zur Hilfe, und Captain Reed erhält die Möglichkeit, die Verteidigung der Andorianer zu übernehmen. Im Zuge dessen muss Reed erkennen, dass die besten Absichten der Föderation – und andere Völker zu ihrem Glück zwingen zu wollen – nicht immer zum bestem Ergebnis führen. Eine wichtige Lektion in punkto ‚Einmischung in andere Kulturen und Angelegenheiten‘!

 

Die Pioneer und die Endeavour geben indes nicht auf, die Geheimnisse der Ware zu erforschen und deren Ursprung zu finden. Ziel ist es, die Erschaffer der Raumstationen zu alternativen ‚Zahlungsweisen‘ zu bewegen. Der Verlauf dieser Mission stellt sich jedoch ernüchternd dar, auch wenn letztlich das Geheimnis um die Entstehung der Ware gelüftet werden kann. Ein Unternehmen schuf sie aus Profitgründen und erlangte ein Monopol auf alle Produkte, wurde jedoch bald so besessen von Profit, dass sie keine Ingenieure ausbilden konnten, um sie zu warten. Die Ware folgte ihrer Programmierung buchstabengetreu und begann damit, Personen zu entführen, um ihre Funktionen zu erweitern bzw. zu beschleunigen, und zerstörte schließlich die Zivilisation.

 

Unterdessen brodelt es im Innern des Klingonischen Reichs, wo es um die Nachfolge des verstorbenen Kanzlers M’Rek geht sowie um den künftigen Umgang mit der expandierenden Föderation, die von manchem Mitglied im Hohen Rat als veritable Bedrohung wahrgenommen wird. Darüber hinaus stößt ein marodierender Haufen QuchHa' - glattstirnige Klingonen, deren politischer und sozialer Status inzwischen einer Unterschicht im Reich gleichkommt, die nach Willen einiger Aspiranten auf die Kanzlerschaft nicht weniger als ausgerottet werden sollen! - auf die Ware-Stationen, mittels derer sie versuchen wollen, die zerstrittene und wackelige Regierung auf Qo’noS zu stürzen. Letztlich verbündet sich die Partnerschaft mit der abtrünnigen klingonischen Fraktion und stattet sie mit einer Ware-Drohnenflotte aus, um sowohl gegen die Sternenflotte zu kämpfen als auch einen Aufstand im Imperium zu starten. Es riecht nach einem blutigen Bürgerkrieg.

 

Eine Nebenhandlung spielt auf Denebula, wo die Tochter von Schiffsarzt Phlox einen antaranischen Mann ehelichen möchte (mit den Antaranern befanden sich die Denobulaner lange im Krieg). Von der Föderation sind neben Admiral Jonathan Archer auch T‘Pol und andere Weggefährten des Doktors anwesend, als Phlox‘ politisch irregeleiteter Sohn Mettus – der aus seiner Abneigung gegen die Antarianer keinen Hehl macht – für einen Eklat sorgt...

 

 

Kritik

 

Zwar bleibe ich dabei, dass es sicher reizvollere Gegner hätte geben können als einen größenwahnsinnigen Computer. Rückblickend betrachtet ist es aber schön zu sehen, wie viel Bennett aus der Ware-Bedrohung gemacht hat. In ihrem Bestreben, die Ware aufzuhalten, begehen die Schiffe der Sternenflotte einen fatalen Fehler, was fast zur Auslöschung einer ganzen Zivilisation führt. Im Grunde ist dies das Hauptthema des Buches und gar nicht mal so sehr der Kampf gegen das Computernetzwerk an sich. Fans ahnen schon, worauf es am Ende hinaus laufen wird: die Einführung der Ersten Direktive, über die Archer und die Sternenflotte tatsächlich am Ende von Live by the Code nachdenken müssen (nicht bei jedem in seinem Umfeld stößt dies auf Gegenliebe).

 

Das Buch mag die andorianische Crew zu Beginn etwas übertrieben, betonköpfig und rücksichtslos in Szene setzen, wie es gegen die Partnerschaft vorgeht, um diese von der Ware zu befreien (unbelehrbare andorianische Rambomentalität!). Von Fingerspitzengefühl, wie man es bei neuen Kontakten erwarten sollte, ist man hier Lichtjahre entfernt. Dennoch führt dieses Szenario schön an das Leitthema heran und konfrontiert den Leser mit ethisch-moralischen Fragen. Denn ohne die Ware wären einige der Spezies nie zu Raumfahrern geworden; ja, manche sehen die Ware gar als Segnung ("unser Geschenk, unser Schutz") und sind eine Art von Symbiose mit ihr eingegangen (neumodisch würde man auch von 'Deal' sprechen), bei der allzu negative Auswirkungen für diejenigen, die ihre neuralen Bahnen zur Verfügung stellen, vermieden werden können.

 

Wie geht man damit um? Kann und sollte man sich einmischen, sich wohlgar paternalistisch und besser wissend über andere Völker erheben? Oder sollte man diese Leute einfach ihrem Schicksal überlassen, auf die Gefahr hin, dass die Ware eines Tages ganze Zivilisationen verschlingt? Und kann man im Fall einer Einmischung sicher sein, dass die Konsequenzen kontrollierbar sind, dass wir das bewirken, was wir bewirken wollen, oder wird etwas anderes daraus?

 

Unter der Lupe des Afghanistan- und Irak-Desasters wird eine äußerst kritische Lesart des westlichen Interventionismus daraus, ohne zu verleugnen, dass es durchaus Situationen geben mag, in denen Einmischung geboten ist. Tatsächlich könnte die Entwicklung der Ersten Direktive mit diesen Fragen vor Augen ähnlich vonstatten gegangen sein, nämlich unterfüttert durch einschneidende Präzedenzfälle wie diesen.

 

Auch die Lüftung der Ware-Entstehung selbst besitzt durchaus düsteres Anspielungspotenzial auf einen ausufernden Kapitalismus, der – ähnlich wie in unserer Zeit – unglaublich mächtige Digitalkonzerne hervorbringt, an dessen Ende möglicherweise ein sich verselbstständigender Algorithmus steht.  

 

Sehr positiv fällt auf: In diesem Roman sind gleich mehrere Handlungsfelder intelligent miteinander verwoben. Da wäre das Bemühen der Föderation, den Ursprung der Ware herauszufinden; ihr Konflikt mit der Partnerschaft, die die Ware bewusst nutzen, und Reeds Bemühen, die andorianische Besatzung zu befreien; die klingonischen Fraktionen mit gänzlich unterschiedlichen Zielen sowie der Kontakt der Klingonen mit der Ware-Technologie; Trip Tuckers Erkenntnis, dass Sektion 31 wieder einmal in schwerwiegender Weise die Finger im Spiel hat… Das ist komplexer Stoff.

 

Einzig schade: Am Ende löst sich die moralische Frage rund um das Thema Einmischung und Umgang mit der Ware buchstäblich in Luft auf, denn die Entscheidung wird der Sternenflotte von den Klingonen abgenommen, welche die Ware-Bedrohung letztlich final auslöschen. Das macht es zum Schluss etwas holzschnittartig.

 

Die Klingonen-Handlung hätte es für mich nicht unbedingt gebraucht (vermutlich sind mir die Klingonen schon in der Serie zu oft aufgetaucht), aber trotzdem ist es interessant zu sehen, wie sich die Klingonen mit glatter Stirn einen Platz im Rat erkämpfen. Vor allem letzteres ist konsistent mit der späteren Classic-Serie und räumt weitere Missverständnisse aus dem Weg.

 

Lediglich die Handlung rund um Phlox und den denobulanisch-antaranischen Konflikt ist losgelöst vom Rest des Romans und kann wenig überzeugen. Ja, auch sie transportiert eine für Star Trek typische Botschaft, nämlich dass Rassismus nichts bringt. Im großen Geflecht mit der Ware-Story wirkt dieser Strang aber wie ein störender Fremdkörper. Abgesehen davon finde ich es etwas aufgesetzt, dass Phlox‘ Tochter unbedingt einen Antaraner ehelichen muss. Hier ist die Anspielung auf die entsprechende Folge in der zweiten Season von Enterprise (Böses Blut) doch etwas platt geraten.

 

Diskussionswürdig sind einige Szenen gegen Ende des Romans, denn Sektion 31 tritt mir hier – wieder einmal – für das 22. Jahrhundert viel zu dominant und mächtig in Erscheinung (sie ist es, deren Handlungen letztlich die Ware beseitigen). An dieser Stelle sind mir – nicht zum ersten mal im Enterprise-Relaunch – die Anleihen in Richtung Deep Space Nine eindeutig zu ausgeprägt, aber diese Problematik war bereits in der entsprechenden Doppelfolge der vierten Staffel (Die Heimsuchung/Die Abweichung) angelegt worden. Ich finde, man hätte die S31-Sache auf kleinerer Flamme kochen können und sollen. Immerhin findet Trip zur Erkenntnis, dass er seine Karriere bei der zwielichtigen und ruchlosen Geheimorganisation an den Nagel hängen sollte. Das birgt die Möglichkeit, ihn anders in die Handlungen zu implementieren. Ich sehe es als schwere Altlast aus der Martin/Mangels-Phase der Enterprise-Fortsetzung an, dass Trip und Sektion 31 so lange miteinander verbandelt waren. (Die Sektion erscheint mir inzwischen ähnlich abgelutscht wie die Borg durch Voyager, und hier denke ich noch nicht mal an den Nonsens, den die neue Serie Discovery mit der Agententruppe angestellt hat!)

 

Bennett beweist insgesamt wieder einmal, dass er ein Kenner und Könner des Worldbuildings ist. Die Welten und Spezies der Partnerschaft sind wie von ihm gewohnt fantasievoll und doch authentisch geschildert. Auch für die Figuren fällt eine Menge ab. In Live by the Code gibt es ein Wiedersehen vieler alter Führungscrewmitglieder der Enterprise. Die Zusammenarbeit der Endeavour und der Pioneer ermöglicht es auch T’Pol und Trip (der sich unter falscher Identität auf der Pioneer aufhält), sich endlich wiederzusehen, wenngleich dieses Wiedersehen nicht frei von Sorge ist: Wie sich herausstellt, hat sich die mentale Verbindung, die zwischen den beiden seit Jahren bestand und es ihnen erleichterte, einen Fernbeziehung zu führen, verflüchtigt.

 

Auch neue bzw. bislang nur nebenbei erwähnte Charaktere rücken ein wenig auf. Das gilt etwa für die bunte Brückencrew der Vol’Rala, aber auch für ein paar klingonische Figuren, die wir auch schon aus der Serie kennen und die eine wichtige Rolle spielen, die klingonische Gesellschaft in der Ära zwischen Enterprise und The Orginal Series zu prägen.

 

 

Fazit

 

Ein handfestes moralisches Dilemma à la Star Trek, eingebettet in eine durchaus interessante Handlung, die lediglich durch die etwas billige Auflösung ein Stück getrübt wird. Mal abgesehen von einem schwachen Denobula-Plot erweist sich dieser Spross des zweiten Enterprise-Relaunch-Zyklus als vielschichtig, unterhaltsam und knifflig, mit vielen spannenden wie dramatischen Ereignissen. Bennett glänzt erneut mit Canonreferenzen und der Erschaffung neuer Welten.   

 

7/10 Punkten.

10-2019