Zwei Seiten hat die Medaille - Das Verhältnis von Sternenflotte und MACOs
Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Last Full Measure (Das Höchste Maß an Hingabe), Cross Cult 2011.
Seit jeher wird im Star Trek-Fandom lebhaft über die Frage diskutiert, ob die Sternenflotte eine militärische Institution ist. Gibt es dort so etwas wie Marines? Die Einen blicken auf Beispiele wie Colonel West (vgl. ST VI: Das Unentdeckte Land), die Auftritte besonders hartgesottener Sondereinheiten von Sternenflotten-Offizieren im Dominion-Krieg (vgl. DS9 5x04: Die Schlacht um Ajilon Prime; 7x08: Die Belagerung von AR-558) oder die Aussagen von Miles O’Brien über seine Zeit im Konflikt mit den Cardassianern (vgl. TNG 4x12: Der Rachefeldzug) und werten all das als genuine Ausdrücke des Soldatesken. Die Anderen verweigern sich grundsätzlich der Einsicht, dass es mit Gene Roddenberrys Zukunftsvision konformgehen könnte, wenn dort eine militärische Sternenflotte gezeigt wird.
Welcher Standpunkt ist nun näher an der Wahrheit dran? Wahrscheinlich keiner und beide zugleich. Denn am Beispiel der MACOs, die in der dritten Staffel anlässlich der Xindi-Krise auf die Enterprise kommen, und ihrem nicht immer einfachen Verhältnis zu ihren Kollegen von der Sternenflotte sehen wir das tiefe Spannungsverhältnis, das die Föderationstruppen von Anfang an begleitet. Oder um mit Goethes Faust zu sprechen: „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust.“
Neue Wirklichkeit, neue Crewzugänge
Mit dem Angriff der Xindi auf die Erde scheint ein alter, lange gehegter und sehr romantischer Traum auf lange Zeit vor die Hunde zu gehen: die friedliche Erforschung des Weltraums. Niemand anderes verkörperte diesen Traum so entschlossen und durchhaltestark wie Jonathan Archer, der, inspiriert durch das Werk Zefram Cochranes und die Vorleistungen seines Vaters, stets dafür kämpfte, eines Tages an Bord des ersten Warp-fünf-Schiffes Platz zu nehmen und die große Reise beginnen zu lassen.
Nach gerade einmal zwei Jahren, in denen die NX-01 Sternenstaub und neue Welten geschnuppert hat, wird sie vom Oberkommando zurückbeordert. Mit dem riesigen, sieben Millionen Tote schweren Graben der Vernichtung vor Augen muss sich Archer den Vorwurf gefallen lassen, dass die Erde vielleicht mehr in ihren Verteidigungsperimeter hätte investieren sollen als idealistische Träume vom ‚Aufbruch ins Unbekannte‘ zu träumen.
Es ist ein schneller Abgang, den das sehnsüchtig gehegte Ideal der noch blutsjungen Sternenflotte macht, denn die Zeit drängt: Mit einem Mal hat die Enterprise eine neue Mission bekommen. Sie muss in die Delphische Ausdehnung aufbrechen und diejenigen finden, welche das Todeswerk zu verantworten haben. Zum ersten Mal lastet das potentielle Überleben einer ganzen Welt auf Archers Schultern, und er beginnt zu erkennen, dass der Warp-fünf-Antrieb seines Vaters mehr wird als nur ein Türöffner zu fernen Welten. Er wird zur einzigen Hoffnung auf den letztendlichen Sieg, das dunkle Vorhaben der Xindi zu vereiteln.
„Whatever it takes, whatever it costs…” – in diesen Worten, die der vormals so stolze und nun verbitterte Captain mehr als einmal in Anbetracht des drohenden Untergangs seines Volkes ausspricht, spiegelt sich ein Paradigmenwechsel (vgl. ENT 2x26: Die Ausdehnung). Nicht nur ein Paradigmenwechsel im Hinblick auf Jonathan Archers Leben, das plötzlich zur Speerspitze eines interstellaren Kriegs zu werden droht, sondern die Sternenflotte insgesamt.
Unter dem Druck, die Massenvernichtungswaffe der Xindi zu stoppen, muss die Enterprise in eine vollkommen fremde und feindselige Raumgegend aufbrechen. Diese Mission macht es zum ersten Mal in der Geschichte erforderlich, neuartige Waffensysteme nachzurüsten und die Mannschaft bestmöglich zu schützen. Geboren aus der höheren Not, nimmt die NX-01 auf Anforderung Archers hin einen Trupp Elitesoldaten mit in die Delphische Ausdehnung, kommandiert von Major Joss Hayes. Mit dem ersten MACO (Abkürzung für ‚Military Assault Command Operations‘), der das Deck betritt, verändert sich aber auch die innere Tektonik der bisher nur aus Sternenflotten-Offizieren bestehenden Besatzung.
Zwei verschiedene Kulturen
Was bei den MACOs einen militärischen Impetus hat, ist nicht nur das Haifischabzeichen, das sie tragen. Es ist nicht nur die Felduniform und es sind nicht nur die Ränge, die an die US-Army erinnern. Sieht man sich die hartgesottenen, oftmals etwas steifen und wortkargen Charaktere an, die die Militärs unter dem Oberbefehl von General Casey auszeichnen, so wird das Vorbild der derzeitigen U.S.-Marines schnell offenbar. Während die Sternenflotten-Offiziere in erster Linie zur Mündigkeit und zum Umgang mit dem Unerwarteten erzogen werden, sind die MACOs auf ihrem Gebiet Pflicht- und Routinearbeiter, die Disziplin mit der Muttermilch aufgenommen zu haben scheinen.
Zweifellos: Es ist eine völlig andere Kultur von Crew, die nun auf der NX-01 dient. Die erste Befremdungserscheinung der Sternenflotte dahingehend zeigt sich bereits in der Reaktion Admiral Forrests kurz vor Abflug der Enterprise. „Werden Sie sich denn mit Militär an Bord wohlfühlen?“, fragt er Archer. Und die Befremdungen gehen weiter: Als die erste Rettungsaktion in einer Alienmine ansteht, geraten Sicherheitschef Reed und Major Hayes prompt aneinander. Hayes misstraut dabei nicht nur den taktischen Kompetenzen des Sternenflotten-Sicherheitspersonals, sondern verspürt auch einen geradezu Sternenflotten-untypischen Drang, sich ins Kreuzfeuer zu stürzen (vgl. ENT 3x01: Die Xindi).
Diese Konfliktlinien setzen sich fort und steigern sich besonders zwischen den beiden Figuren Reed und Hayes ins Persönliche. Hayes‘ zunehmende Einmischungen in die Sicherheitspolitik des Schiffes empfindet Reed als Affront gegen seine Autorität an Bord, und das angespannte Verhältnis ufert in eine offene Prügelei aus (vgl. ENT 3x15: Der Vorbote). Dass es auch über das Verhältnis dieser beiden Männer hinaus zunächst mindestens eine große Distanz zwischen beiden Crewteilen gibt, zeigt Hayes‘ Äußerung in einer der letzten Folgen der dritten Season: „Als wir ursprünglich an Bord kamen, haben wir uns wie Außenseiter gefühlt“ (vgl. ENT 3x23: Countdown).
Trotzdem hat es offenbar im Laufe der Mission in der Ausdehnung Annäherungen gegeben. Davon erzählt u.a. auch das vorliegende, zu Beginn des Xindi-Arcs angesiedelte Romanabenteuer Das Höchste Maß an Hingabe, in dem einerseits die Härten im Leben eines MACO thematisiert werden, andererseits auch die ersten Zeichen der Aussöhnung und Vertrauensbildung zwischen beiden Mannschaften. Nach der Rückkehr der Enterprise kann jedenfalls kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sich das Modell ‚Sternenflotte plus MACO‘ bewährt hat: Auf allen Sternenflotten-Schiffen werden fortan MACOs stationiert sein (vgl. ENT 4x03: Zuhause).
Was konnten beide Besatzungen also voneinander lernen? Die Sternenflotte lernte von den Marines, dass sie jederzeit bereit sein muss, auch den unschönen Seiten des Lebens ins Gesicht zu sehen, dass sie mitunter noch professioneller zu werden hat, was ihre Kampftaktiken anbelangt und man manchmal den rauen Weg beschreiten muss, um etwas letztendlich Gutgemeintes zu tun. Die MACOs wiederum erfuhren, dass es nicht immer nur auf blinden Gehorsam und Disziplin, sondern auch den inneren Zusammenhalt einer Mannschaft ankommt, auf die Personen, die tagtäglich miteinander arbeiten – und in entscheidungsrelevanten Situationen auch auf ein Bauchgefühl, das in keiner noch so eingedrillten Statute zu finden ist (vgl. ENT 3x17: Brutstätte).
Quo vadis, MACOs?
Enterprise endet im Jahr 2161. Was passiert danach mit den MACOs? Finden sie ihren Weg ins 23. und 24. Jahrhundert? Tatsächlich erwähnt sie weder die Classic- noch eine andere Serie explizit. Allerdings spielen, wie schon gesagt, Sonderkommandos immer wieder eine Rolle in Star Trek. In der Fangemeinde nicht unpopuläre Annahmen lauten, dass deshalb die MACOs mit der Sternenflotte verschmolzen wurden, vielleicht in jenen Jahren nach der Föderationsgründung, als sich die Raumflotte grundlegend neu aufzustellen begann.
Dafür immerhin spricht einiges: Infolge von Xindi-Krise, irdisch-romulanischem Krieg und der Etablierung des interstellaren Völkerbundes erfährt der Kompetenzbereich der Sternenflotte sukzessive eine Ausweitung. In Erweiterung der ursprünglichen Wissenschafts- und Entdeckerrolle, deren Wurzeln eher bei NASA oder Europäischer Weltraumbehörde liegen, ist sie nun auf durchschlagstarke Streitkräfte angewiesen, um den Schutz der Föderationskolonien – ein Verfassungsauftrag – zu gewährleisten.
Eine solche Machtfülle zu verkörpern, erwächst schlicht zu einem notwendigen Übel. Die neue Sternenflotte im Zeichen der Föderation entwickelt und verbaut insofern stärkere Waffen- und Verteidigungssysteme für ihre Armada und trainiert ihr Personal härter, wovon man Versatzstücke v.a. in DS9 sehen kann. So wird Captain Kirk später einmal mit Fug und Recht behaupten können, die Sternenflotte sei zu einer „kombinierten Streitkraft“ gewachsen (vgl. TOS 1x19: Morgen ist Gestern).
Um hier nichts Missverständliches zu behaupten: Wenn die Sternenflotte ganz sie selbst sein will, dann träumt sie auch Jahrhunderte später immer noch von den Verheißungen hehrer Forschungsflüge mit friedlichen Erstkontakten. Aber was ist, wenn sie auch einmal mit den schmutzigen Jobs konfrontiert wird? Zeiten wie der Dominion-Krieg belegen eindrucksvoll und erschreckend zugleich, dass man manchmal die Galauniform gegen einen Kampfanzug eintauschen muss.
Und so hat die Sternenflotte nun einmal zwei Gesichter. Im Faust‘schen Sinne mag man es als innere Gespaltenheit auslegen können, weithin ist es jedoch ein Umgang mit der nicht immer zwangfreien Realität. Diese Realität nahm mit der Xindi-Krise ihren Ausgang. Als eine Gruppe MACOs Bestandteil einer Mannschaft von Sternengängern wurde.
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