Hoffen oder forschen?

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Sword of Damocles (Schwert des Damokles), Cross Cult 2009.

 

Star Trek stand, seit es existiert, immer für die Vereinbarkeit unterschiedlicher Kulturen – ein Thema, das aktueller ist denn je. Aber wie verhält es sich mit der Vereinbarkeit von Glauben und Weltlichkeit, von Glauben und Wissenschaft?


Die Originalserie sparte bewusst eine dialektische Stellungnahme zu diesem Spannungsverhältnis aus, weil es Gene Roddenberry nicht behagte, Ideologien oder Religionen in sein Bild von der Zukunft zu integrieren. Aus seiner Sicht stellte etwas wie der Glauben an einen Gott ein Relikt aus der Vergangenheit dar; ein Zustand, der schlicht überwunden werden müsste. So nimmt es kaum Wunder, dass TOS-Episoden wie Der Tempel des Apoll oder Die Stunde der Erkenntnis dazu dienten, eine Speerspitze gegen die Religion auszusenden. Beide Folgen postulierten in ihrer Schlussmoral, dass Gottheiten – so es sie überhaupt geben sollte – selbst nur makelbehaftete Lebewesen sind, mit Macht, Großmütigkeit oder Versklavung im Bunde. Demgemäß braucht die Menschheit sie auch nicht als Vormünder anzubeten. Der fünfte Kinofilm Am Rande des Universums schlug in dieselbe Kerbe, indem ein Wesen dargestellt wurde, das sich selbst Gott nannte, aber weder allmächtig noch rechtschaffener Motive war.


Das waren die späten 1960er Jahre. Seitdem ist einiges passiert. Längst vollzog auch das Star Trek-Franchise einen bedeutenden Richtungswechsel. Heute erkennt es an, dass der moderne Mensch in einem ideellen Vakuum existieren würde, würde er sich ausschließlich den Prinzipien um materiellen Fortschritt und wissenschaftliche Entdeckung verschreiben. Mehr noch: Technik, Logik und Rationalität können ohne einen festen normativen Bezugspunkt nicht allein die Toleranz gewährleisten, auf die eine aufgeklärte Gesellschaft wie die Föderation angewiesen ist, um Kontakte und friedliche Koexistenz mit anderen Völkern herzustellen.

 

Philosophen, Romanisten und andere Autoren, die sich mit der Analyse dieses Zusammenhangs in späteren Star Trek-Serien befasst haben, konstatieren, das Franchise sei erwachsen geworden: Gerade für die betonte Interkulturalität einer Föderation könne die pure, von aller Metaphysik gelöste Rationalität nicht genügen; es sei vielmehr eine weite Rationalität nötig, die Gott in der Einheit mit der Vernunft sehe. Welches sind die prominenten Beispiele für einen Star Trek-Kosmos, der den alten Widerstreit von Spiritualität und Szientismus, von Diesseits und Jenseits beendet?

 

Himmlische Tempel

 

Der dritte Spross der Trek-Saga, Deep Space Nine, war nach der Ausstrahlung der ersten Folgen nicht unumstritten im Fandom. Denn es ging nicht lediglich darum, dass nun eine Raumstation und ein schwarzer Commander im Vordergrund der Handlung standen, sondern erstmals in größerem Stil auch das Thema Religion, das in der Serie zum überwiegenden Teil mit dem Planeten Bajor verknüpft wurde. Wer DS9 weiter verfolgt, wird schnell zur Erkenntnis finden, dass die weit ausgedehnte Geschichte über den Konflikt mit dem Dominion nur vordergründig dominiert.

 

Im Hintergrund steht immer wieder Benjamin Siskos Verhältnis zu den so genannten Wurmlochwesen, die die Bajoraner als ihre Propheten vergöttern. Im Laufe der Zeit muss Sisko – der von Beginn seiner Versetzung nach DS9 an rätselhafterweise von den Bajoranern als ihr Abgesandter empfunden wird – erfahren, dass seine eigene Existenz mehr von den Propheten bestimmt wurde, als er sich jemals eingestehen wollte. Immer wieder teilten ihm diese Entitäten im Rahmen von Visionen mit, er hätte eine Bestimmung. Es ist in erster Linie das Schicksalsthema, das in DS9 in Themen wie Glauben und Spiritualität überführt wird. Aber es geht auch um zunächst gespaltene Loyalitäten. Die Propheten treten – wie auch die Sternenflotte – mit einem absoluten Anspruch an Sisko heran. Erst mit der Zeit lernt er zu verstehen, dass er Kompromisse eingehen muss zwischen seiner weltlichen und spirituellen Rolle. Doch gerade in der Vermischung dieser beiden Rollen wird Sisko nicht selten unsicher, begeht Fehler, schwankt – und lernt.

 

Erst indem er die Komplementaritäten seines Daseins für sich nutzbar macht, erreicht er sein weltliches und spirituelles Ziel. Damit ist Sisko das beste Beispiel für jemanden, der zwei vermeintlich diametral entgegengesetzte Seiten seines Ich zu gegenseitigem Ausgleich führt. Gerade vor dem Hintergrund der Kriegshandlung, die voll von Entbehrungen und Verlusten ist, ist diese neue Geisteshaltung, zu der er findet, ein elementarer Anker, weiterzukämpfen, egal wie aussichtslos die Lage scheint. In dieser Hinsicht treffen in DS9 zwei Grundströmungen aufeinander: der wissenschaftlich-technische Fortschritt als notwendige Erkenntnis zum Überleben der Föderation – und die spirituelle Erfahrung als Motivation für scheinbar unüberwindbare Herausforderungen und Prüfungen.

 

Versatzstücke in anderen Shows

 

In den anderen drei Star Trek-Serien drängen sich Wechselwirkungen zwischen Glauben und Wissenschaft oder Glauben und Weltlichkeit nicht so sehr in den Vordergrund. Bei genauerem Hinsehen findet man jedoch auch bei ihnen Ansätze des Themas.

 

The Next Generation, das sich auch noch unter Federführung Roddenberrys befand, wiederbelebte in der zweiten Hälfte der 1980er den Geist von TOS, weshalb man auch bei den Abenteuern unter Jean-Luc Picard erwartungsgemäß keine gravierenden Neuausrichtungen mit Blick auf das Überweltliche zu sehen bekam. Eher unterschwellig gab es dann doch eine kleine Akzentverschiebung. Sie hing mit der neuen Inszenierung der Charaktere zusammen. Herrschte bei TOS noch ein eher statistenhafter Umgang mit der Crew vor, erlaubte es das mittlerweile etablierte Prinzip der Soap Opera, dem mentalen Kosmos des einzelnen Protagonisten einen gebührenden Platz einzuräumen.

 

So brach sich gerade ab der zweiten Hälfte von TNG insbesondere den surrealen Traum- und Visionsszenen Bahn, die oft nicht rational abliefen und ein Schlüssel zur Selbstfindung des Einzelnen waren. Selbst dem Androiden Data wurden diese teils verstörenden Anbandlungen zuteil. All das ist ein Verweis auf einen Bestandteil der Persönlichkeit, der nicht mit biologischen oder medizinischen Kenntnissen erfasst werden kann. Eine Seele vielleicht? Dieses erste zarte Pflänzchen des Transzendentalen, das in TNG als Ergänzung zum Rationalen und Wissenschaftlichen angewandt wurde, sollte man keineswegs unterschätzen. Nicht zuletzt besuchten Picard und Co. Kulturen, in denen sie sich mit den weltlichen Auswirkungen religiöser Mythen auseinandersetzen und beide Seiten verstehen lernen mussten. Man denke da vor allem an die Klingonen und ihren Kahless-Kult.

 

Voyager, die vierte Serie, sollte nach dem Abtauchen von DS9 ins Reich der Propheten, wieder ein Stück bodenständiger werden und die Tradition Roddenberrys fortsetzen. Alles in allem war das vermutlich auch so. Kathryn Janeway und ihre Mannschaft bekamen jedenfalls etliche Gelegenheiten, im Rahmen ihrer siebenjährigen Odyssey durch den Delta-Quadranten wieder die Prinzipien von Wissenschaft und Forschung hochzuhalten.

 

Und doch: Anders als noch bei TNG, in denen nur säkularisierte Helden vorkamen, sind wesentliche Protagonisten in VOY spirituell angehaucht. Man denke an Chakotay und seine indianischen Wurzeln, an die Erleuchtung, die er im Rahmen von Tagträumen sucht. Man denke auch an die zunehmende Bedeutung religiöser Rituale aus der klingonischen Kultur für die halbklingonische Chefingenieurin B’Elanna Torres. Solche Figuren verbleiben in einem Spannungsverhältnis zu Seven of Nine oder Janeway, die viel skeptizistischer erscheinen, und doch wird nun die ganze Bandbreite von möglichen Persönlichkeiten – ob weltlich oder spirituell ausgerichtet – dem Zuschauer näher gebracht.

 

Enterprise beleuchtete insbesondere den vulkanischen Mystizismus und seine Auswirkungen auf die reale Welt. Dabei geht es nicht nur um die ominösen Vorgänge der Telepathie, wenn zwei Geister miteinander verschmelzen. Dass eine Ghandi nicht unähnliche Figur wie Surak auch nach zweitausend Jahren noch die Kraft hat, eine Welt auf den Kopf zu stellen, deutet ein Potential an, das Jonathan Archer im letzten Teil der Serie selbst erfahren wird.

 

Literarische Harmonien

 

Bei unserem Galopp durch das Star Trek-Universum sollte auch die literarische Seite nicht fehlen. Was sich sagen lässt, ist, dass spirituelle Themen im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung erst relativ spät in den Romanen fruchtbar gemacht wurden. Lose Beispiele hierfür wären Bücher wie Hort des Lebens, wo Kirks Enterprise einen Planeten besucht, dessen Bewohner gemäß ihrer Religion nicht an Außerirdische glauben. Oder die TNG-Novelle Herz des Teufels, in der Picard mit einem verwunschenen Artefakt in Berührung kommt. Erwartungsgemäß setzt sich die Deep Space Nine-Relaunch-Reihe, die ebenfalls bei Cross Cult erscheinen wird, weiter mit religiösen Mythen und Prophezeiungen der Bajoraner auseinander.

 

Ein Roman, in dem die Religion durchgehendes Thema ist, wäre Träumen Kometen?. Darin muss Picard sich mit einer Zivilisation auseinandersetzen, die kurz vor ihrer Auslöschung durch einen Kometen steht – und freudig an die Wiedergeburt glaubt. Erst in der Synthese aus dem Studium dieses Glaubens und wissenschaftlichen Erkenntnissen liegt der Schlüssel zur Rettung dieses Volkes, sodass es auch in Anbetracht seiner Tradition das Gesicht wahren kann. Das zweite Buch, in denen der alte Zwiespalt von Wissenschaft und Glauben in etwas Positives, Harmonisches umgewandelt wird, ist das vierte Buch der Titan-Reihe, Das Schwert des Damokles. Auch hier dreht sich alles um die Rettung einer Welt. Zentrale Figur ist der ungewöhnliche Bajoraner Jaza Najem, der davon überzeugt ist, dass Glauben und Wissenschaft keinen Widerspruch darstellen müssen. In Das Schwert des Damokles werden er und sein Weltbild auf eine harte Probe gestellt.

 

Unendliche Möglichkeiten

 

DS9 war mit Sicherheit ein Ausreißer aus dem üblichen Umgang von Star Trek mit Religion und Weltlichkeit. Aber auf der eher unterschwelligen, beiläufigen Ebene hat sich auch in anderen Serien seit TOS enorm viel getan. Gerade der Komplex persönlicher Selbsterkenntnis wird immer öfter mit kontemplativen, visionsartigen Zuständen in Verbindung gebracht. Das ist einerseits ein schönes ästhetisches Stilmittel in den Serien, es ist aber auch eine Ode an die schöpferische Kraft, die Persönlichkeiten innewohnt. Somit geht es nicht nur mehr um harte Werte wie Sozialisation und Wissenschaft, sondern auch um das Samenkorn der Individualität, das sich auf verschiedenen Sternenreisen gewissermaßen aus sich selbst heraus entfaltet. Transzendentale Erfahrungen verändern Personen und Geschichten gleichermaßen und nehmen – ohne letztlich genau erklärt werden zu können – ihren Platz neben den wissenschaftlichen Ergründungen ein.

 

Insofern ist Star Trek in der Tat reicher und toleranter geworden. Wie es das aktuelle Beispiel Das Schwert des Damokles vorbildlich tut, zeigt Star Trek Möglichkeiten auf, weltliche und geistliche Kosmen miteinander in Einklang zu bringen – und ihnen sogar Synergien zu entlocken. Auf der anderen Seite entlarven Episoden wie Das auserwählte Reich oder Grenzgebiet/Cold Station 12/Die Augments (beides Enterprise) fanatische Anhänger beider Seiten. Diese Negativbeispiele zeigen, dass ein Alleinvertretungsanspruch oder gar eine Mythisierung von Wissenschaft bzw. Religion ein für eine Gesellschaft essenzielles Gleichgewicht für lange Zeit ruinieren kann. Trotz mancher Klischees ist Star Trek gerade kein Beispiel für Wissenschaftsgläubigkeit. Es wird eine Welt gezeigt, in der der Mensch geläutert ist. Er glaubt an sich und sein Potential, besitzt aber auch ein natürliches Bewusstsein für seine Grenzen. Es geht um Ideale, konstruktive Leitbilder und das ‚gute’ Leben da draußen.

 

All das ist ohne einen – wenn auch vielleicht nicht konfessionsbezogenen – Glauben an das Gute und an übergeordnete, verbindliche Werte nicht zu machen. Erst auf diese Weise ergeben sich unendliche Möglichkeiten in unendlicher Kombination. Und deshalb ist es nur zu begrüßen, dass Star Trek sich im Laufe der Zeit mit der Spiritualität versöhnt hat.