„A-koo-che-moy-a, ich bin weit entfernt von meinem Volk“ - Charakterdossier Chakotay

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Old Wounds (Alte Wunden), Cross Cult 2014.

 

Im richtigen Leben heißt es, schlechte Erfahrungen bergen den Keim, uns zu besseren Menschen zu machen. Auf der Kinoleinwand, im Fernsehen und auf den Seiten eines Romans würden wir sagen, eine Figur wird erst dann interessant, wenn sie sich durch Ecken und Kanten auszeichnet, wenn sie Fehler, Probleme und Leiden hat, wenn sie Widersprüche, innere Konflikte und offene Wunden aufweist. Denn nur daraus erwächst Entwicklungspotenzial und Stoff für gute, mitreißende Charaktergeschichten.

 

Voyager ist ein Nexus solcher Charaktergeschichten – vielleicht die Star Trek-Serie, die wie keine andere von ihrem Aufgebot an Stammfiguren lebt und von ihren Fans darüber identifiziert wird. Deshalb wurde vom Produzententeam rund um Rick Berman von vorneherein Wert darauf gelegt, den Helden der Delta-Quadrant-Odyssee einen dichten, glaubwürdigen Hintergrund zu verleihen, in dem jeweils auch ein ordentlicher Schuss Dramatik steckt, und die Protagonisten über die Serienjahre hinweg stetig weiterzuentwickeln. Um das Ganze zu flankieren, hat Co-Produzentin und Drehbuchautorin Jeri Taylor mit Mosaik und Schicksalspfade zwei kanonisierte Romane vorgelegt, die die Lebensgeschichten der Voyager-Besatzung enthalten, bevor es sie 75.000 Lichtjahre in die Ferne verschlug.

 

Nun ist mit dem Voyager-Relaunch eine neue Ära für die in die Heimat zurückgekehrten Figuren angebrochen. Die Reise, die nun beginnt, verheißt weitere einschneidende Veränderungen, und tatsächlich bringen viele der Charaktere dafür gute Voraussetzungen und jede Menge kreative Knetmasse mit. Im Folgenden wollen wir mithilfe der Star Trek-Literatur ein Portrait von Chakotay zeichnen, dem frisch gebackenen Captain der Voyager. Wir wollen die prägenden Etappen seines Lebensweges verfolgen und die inneren Konflikte und wegweisenden Entscheidungen dieser Figur beleuchten. Der Anhang des zweiten Teils, Der Feind meines Feindes, wird dann wiederum ein Charakterdossier bereithalten.

 

Der etwas andere Erste Offizier

 

In den sieben Serienjahren, in denen wir Chakotay an der Seite seines Captains begleiten durften, wurde ersichtlich, dass er aus der Riege der Ersten Offiziere, wie wir sie bisher aus Star Trek kennen, hervortanzte. Zum einen ist Chakotay weder ein nüchterner Verstandesmensch und Logiker wie Spock oder T’Pol, zum anderen ist ihm aber auch nicht das affektgeladene Draufgängertum eines Will Riker eigen. Der Mann, der dem indianischen Kautschukbaumvolk entstammt, verlor nur selten die Fassung oder handelte unüberlegt. Er ist ein taktvoller, bedächtiger Gentleman und zieht es vor, taktisch und diplomatisch zu agieren als mit Pauken und Trompeten.

 

Das unterscheidet ihn auch von der allzu temperamentvollen Kira Nerys, mit der er allerdings, was seinen Werdegang angeht, häufig am ehesten verglichen wird. Soviel stimmt: Beide sind spirituelle Personen. Beide sind Freiheitskämpfer, Guerillas. Beide erleben mit, wie ihr Volk unter der Knute der Cardassianer leidet. Doch anders als in Kiras Fall, wo der Weg in den bewaffneten Widerstand sehr früh mehr oder minder vorgezeichnet ist, führen Chakotays Lebenslinien zunächst eher davon weg. Anders als das besetzte Bajor ist die Welt, auf der Chakotay aufwächst, eine zutiefst friedliche, in der er die Möglichkeit hat, eigene wegweisende Entscheidungen für sich und seine Zukunft zu treffen. Sein Volk lebt auf der abgelegenen Föderationskolonie Trebus am Rande der cardassianischen Grenze, wo es sich bereits vor Jahrhunderten niedergelassen hat, um im Einklang mit der Natur zu leben (vgl. Roman Voyager: Schicksalspfade – Chakotay).

 

Spannungsverhältnisse und Aufbrüche

 

Der junge, idealistische und unerschrockene Chakotay wächst in einer Welt des Maya-Mystizismus und -Ritualismus auf. Er geht mit seinem Clan auf die Jagd und lauscht am Lagerfeuer den Geschichten, die von längst vergangenen Ahnen und Gebeinen erzählen. Auch pflegt er seinen Großvater, der aufgrund eines genetischen Defekts an verstörenden Halluzinationen leidet, und kommt auf diese Weise in Berührung mit der indianischen Heilkunst (vgl. Voyager 5x19: Der Fight). Doch trotz des Respekts, mit der er seiner Herkunft in jungen Jahren durchaus begegnet, entwickelt sich schnell ein spannungsgeladenes Verhältnis zu seinen eigenen indianischen Wurzeln, allem voran zu seinem Vater Kolopak (vgl. Voyager 2x21: Entscheidungen; 2x22/3x01: Der Kampf ums Dasein).

 

Chakotay, der bereits früh fasziniert ist von den Möglichkeiten und Verheißungen des modernen Lebens, von Technologie und Wissenschaft, kann nicht verstehen, warum seine Leute ein asketisches, ursprüngliches Leben führen, „voller Fantasien und Mythen“, wie er findet (vgl. Voyager 5x26/6x01: Equinox). Dass sie sich dazu entschieden, im Alltag auf so gut wie jedes nennenswerte technische Hilfsmittel zu verzichten, hinterfragt er zunehmend und entwickelt die Auffassung, dass es für sein Volk einen zeitgemäßeren Lebensstil geben und dieses im 24. Jahrhundert ankommen müsse wie andere Indianerstämme auch. Dadurch ergeben sich fast zwangsläufig Reibungen und heftige Auseinandersetzungen mit Kolopak. Das traditionell eingestellte Familienoberhaupt hegt seit langem den Wunsch, dass Chakotay die alten Lehren seines Stammes verinnerlicht und den Weg eines wahren Mayas beschreitet, der die Riten und Bräuche achtet, um die Geister des Himmels zu ehren, und schamanische Visionen zur seelischen Orientierung sucht.

 

Chakotay lernt schließlich mehrere Sternenflotten-Offiziere kennen, die den Planeten 2345 besuchen, darunter auch Captain Demora Sulu (vgl. Roman: Tales from the Captain’s Table – Seduced). Sie wecken in ihm den Wunsch, sich an der Akademie der Sternenflotte einzuschreiben, denn das Idol eines Offiziers der Raumflotte scheint alles zu verkörpern, was er sich erträumt. Als Chakotay mit sechzehn Jahren den Entschluss fasst, den Stamm zu verlassen und auf die Erde zu gehen, kommt es zum Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn. Kolopak warnt ihn, er werde keine neue Heimat finden, sondern fortan „zwischen zwei Welten gefangen“ sein. Kurz darauf reist Chakotay ab und wendet sich – mit einer nun weitgehend negativen Einstellung zu allem Indianischen – seinem neuen Leben als Kadett zu (vgl. Voyager 2x05: Tattoo). Zwar wird er in den kommenden Jahren einige wenige Male für ein paar Tage nach Trebus zurückkehren, doch hegt er nicht den Wunsch, hier erneut zu leben (vgl. Roman Voyager: Schicksalspfade – Chakotay).

 

Sternenflotten-Jahre

 

Chakotay beschreitet konsequent den Weg eines Sternenflotten-Offiziers, wenn er auch nicht gerade der ordentlichste Student sein mag (vgl. Voyager 4x08/09: Ein Jahr Hölle). Während seiner Zeit an der Akademie freundet er sich vor allem mit den Kommilitonen Svetlana Korepanova aus Ekaterinburg und Chert, einem Bolianer, an (vgl. Roman Voyager: Heimkehr). Zudem tut der athletische, kräftige Chakotay sich in Boxkampfwettbewerben hervor und wird von Akademie-Gärtner Boothby persönlich trainiert (vgl. Voyager 5x19: Der Fight). Weil ihm in den ersten beiden Jahren unter dem Eindruck des multikulturellen Treibens an der Akademie die Vertrautheit von Trebus doch ein wenig zu fehlen beginnt, knüpft er lose Kontakte zu indianischen Gemeinschaften auf der Erde und bleibt auf diese Weise zumindest lose mit seinem Volk in Verbindung.

 

2351 absolviert er die Abschlussprüfungen mit guten Noten und schlägt die Offizierslaufbahn ein. Seine ersten Jahre im aktiven Einsatz verbringt er an Bord der U.S.S. Vico unter Captain Roger Hackney. Hackney erweist sich als guter Mentor, dem es gelingt, das Temperament des frisch gebackenen, ehrgeizigen Fähnrichs zu zügeln und ihn in Sachen Interspezieskontakte zu schulen, die anfangs nicht immer reibungslos funktionieren (vgl. Voyager 2x22: Unschuld). Binnen weniger Jahre wird Chakotay zum Junior-Lieutenant befördert.

 

Ab Mitte der 2350er Jahre macht er erste, prägende Erfahrungen mit den Cardassianern, die sich in dieser Zeit durch provokante Aktionen und enorme Expansion hitzige Grenzkonflikte mit der Föderation leisten (vgl. Roman Voyager: Schicksalspfade – Chakotay). Weitere Schiffe, auf denen er in der Folge dient, sind die U.S.S. Heritage und die U.S.S. Gage (vgl. Voyager: Distant Shores – Isabo’s Shirt). Zehn Jahre nach seinem Abschluss erreicht er den Rang eines Lieutenant Commander und ist zeitweilig als Ausbilder im fortgeschrittenen taktischen Training im Sternenflotten-Hauptquartier tätig (vgl. Voyager 5x04: In Fleisch und Blut).

 

Kampf für die Heimat

 

Dann vollzieht sich eine ebenso unerwartete wie steile Wende in Chakotays Leben. Ein Friedensvertrag, der 2366/67 zwischen der Föderation und der Cardassianischen Union ausgehandelt wird, führt zur Einrichtung einer Entmilitarisierten Zone (EMZ) und dazu, dass der Grenzverlauf in Teilen korrigiert wird, um die Enden beider Territorien fest zu definieren. Infolgedessen liegen ein paar Föderationskolonien nun in cardassianischem Raum und umgekehrt. Die Föderation sieht sich gezwungen, die betroffenen Standorte zu räumen. Doch gegen diesen Beschluss regt sich Widerstand. Bewohner von Welten wie Dorvan V, auf denen sich ein Stamm amerikanischer Ureinwohner niedergelassen hat, weigern sich beharrlich, ihre Kolonien zu verlassen (vgl. TNG 7x20: Am Ende der Reise). Auch Chakotays Stamm auf Trebus wehrt sich mit Händen und Füßen, den Planeten aufzugeben, welchen er als sein heiliges Land ansieht. Als die Cardassianer die Geduld verlieren und versuchen, die Siedler mit Gewalt zu entfernen, sehen diese sich gezwungen, zu den Waffen zu greifen und ihre Heimat gegen cardassianische Machtansprüche zu verteidigen. Kolopak ist eines der ersten Opfer des bewaffneten Widerstands gegen die Cardassianer (vgl. Voyager 2x05: Tattoo).

 

Chakotay kehrt unverzüglich in seine alte Heimat zurück und wohnt der zeremoniellen Beisetzung seines Vaters bei. Schlagartig beginnt sich sein Verhältnis zu seinem Volk zu ändern. Schuldgefühle plagen ihn, weil er glaubt, seinen Stamm im Stich gelassen und sein Land nicht geehrt zu haben, indem er in die Weite zog. Sein Denken ändert sich völlig, auch die Einstellung zu Kolopak. Fortan sieht er es als seine höchste Verantwortung an, sein Volk und seine Geburtswelt vor den gewaltsamen Zugriffen der Cardassianer zu schützen. Chakotay kehrt in die indianische Gemeinschaft zurück und lässt sich auf der linken Schläfe und der Stirnseite eine charakteristische Tätowierung des Kautschukbaumvolkes anbringen, um das Andenken seines Vaters zu ehren (vgl. Roman Voyager: Schicksalspfade – Chakotay). Auch wendet er sich den alten Riten wieder zu, beginnt ein Ritual zu pflegen, durch das er mit Geistern in Verbindung treten kann und wählt sich sogar einen tierischen Berater (vgl. Voyager 1x06: Der mysteriöse Nebel).

 

Bereits im März 2368 entscheidet sich Chakotay, der zu diesem Zeitpunkt auf der U.S.S. Gettysburg dient, sein Offizierspatent bei Admiral Nimembeh im Sternenflotten-Hauptquartier niederzulegen, da er weiß, dass seine Rückkehr nach Trebus und der Kampf, den er zur Verteidigung seiner Heimat zu führen bereit ist, ihn in einen schweren Konflikt mit der Sternenflotte bringt. Da er die Politik der Föderation und den Friedensvertrag mit Cardassia für grundfalsch hält, sieht er zu seinem Austritt aus der Raumflotte keine Alternative mehr (vgl. Voyager 5x04: In Fleisch und Blut).

 

Maquis und Rückkehr in die Sternenflotte

 

Bis Anfang 2370 hat sich mit dem Maquis eine alle betroffenen Koloniewelten in der EMZ umspannende Widerstandsbewegung formiert, die in überraschend kurzer Zeit ein beträchtliches Aufgebot an Waffen und Schiffen versammelt und ohne zu zögern gegen das cardassianische Militär einsetzt. Weil mehrere ranghohe, idealistisch eingestellte Sternenflotten-Offiziere wie Commander Calvin Hudson schnell mit dem sich bildenden Maquis sympathisieren, gibt es teilweise gesicherten Nachschub (vgl. DS9 2x20/21: Der Maquis). Darüber hinaus wird der Maquis zu einer gegen die Cardassianer gerichteten Sammlungsbewegung und findet großen Zulauf. Bereits wenige Monate nach seiner Gründung zählt er Zehntausende Freiheitskämpfer, die ihn aus ganz verschiedenen Motiven heraus unterstützen. Die Föderation, die einen Vertrag mit Cardassia unterschrieben hat und diesen zur Wahrung des Friedens um jeden Preis einzuhalten gedenkt, muss den sich ausweitenden Brandherden in der EMZ weitgehend hilflos zusehen und agiert anfangs eher zaghaft gegen den Maquis, nicht zuletzt, da es sich häufig um ehemalige Sternenflotten-Offiziere handelt.

 

Spätestens ab 2370 tolerieren die Cardassianer den bewaffneten Kampf der Zivilisten gegen sie nicht länger und greifen zu harten militärischen Maßnahmen, um die Welten, die nun auf ihrer Seite der Grenze liegen, ein für alle Mal unter Kontrolle zu bekommen. Trebus ist eines der ersten Ziele der cardassianischen Vergeltungsschläge gegen den Maquis. Bei der Verteidigung der Kolonie verlieren viele ihr Leben. Zwar gelingt es nicht, Trebus zu halten, aber Chakotay wird zu einem umso glühenderen Verfechter des Maquis. In dieser Zeit lernt er die Bajoranerin Seska und die halbklingonische Ingenieurin B’Elanna Torres kennen, die ihrerseits die Guerillabewegung unterstützen (vgl. Roman Voyager: Schicksalspfade – Chakotay).

 

Es dauert nicht lang, bis er das Kommando über einen Maquis-Raider erhält, um gezielte Attacken gegen cardassianische Stützpunkte durchzuführen. Noch ahnt er nicht, dass sein Schiff, die Val Jean, sich wenige Monate in der Zukunft bereits im Delta-Quadranten befinden und dort zerstört wird. Ebenso wenig hat er einen Schimmer davon, dass sein Engagement im Maquis bald schon ein Ende finden und er in den Dienst der Sternenflotte zurückkehren wird. Die Zeit auf der Voyager und unter Kathryn Janeway wird ihm die Chance eröffnen, sich mit der Raumflotte, in die er einst voller Enthusiasmus eintrat, zu versöhnen. Zwar wird er wenige Jahre später, als es der Voyager gelingt, einen Subraumkontakt zur Erde herzustellen, vom Dominion-Krieg und der Auslöschung des Maquis erfahren und abermals schwere Verlust- und Schuldgefühle erfahren. Doch zu diesem Zeitpunkt wird ihm das Wissen helfen, dass er auf der Voyager eine neue Familie gefunden hat, der er sich verpflichtet fühlt und die sein Leben nachhaltig verändert hat (vgl. Voyager 4x14: Flaschenpost).