Interview mit Kirsten Beyer

 

Dieser Artikel ist erschienen im Sachbuch Maximum Warp: Der Guide durch die Star-Trek-Romanwelten - Von Nemesis zu Typhon Pact, Cross Cult 2013.

 

Nach den ersten vier Voyager-Romanen übergibt Christie Golden den Staffelstab an Kirsten Beyer. Die Autorin aus Los Angeles führt Captain Janeway und ihre Mannschaft in die Zeit nach Destiny – und damit stärker weg von den Serienvorgaben und hinein in ein eigenständiges Buchuniversum. Ein Interview mit der Autorin der zweiten Etappe des Voyager-Relaunch.

 

Misses Beyer, wann haben Sie mit dem Schreiben angefangen und wie lange sind Sie jetzt schon professionelle Autorin?

Mein erstes kommerzielles Werk war der Pocket-Books-Voyager-Roman String Theory: Fusion. Ungefähr zur selben Zeit wurde ich gefragt, Isabo’s Shirt anlässlich des zehnjährigen Voyager-Jubiläums zu schreiben, für die Distant Shores-Anthology. Insofern werde ich seit etwa fünf Jahren für mein Schreiben bezahlt.

Natürlich schreibe ich schon länger als seit dieser Zeit. So richtig ernsthaft zu schreiben begann ich vor ungefähr dreizehn Jahren. Damals dachte ich mir Geschichten zu Star Trek: Voyager aus, als es im Fernsehen lief. Ich hatte eine ganze Reihe von Treffen, aber es wurde niemals ein Geschäft daraus. Jenseits von Star Trek habe ich ein paar Drehbücher und zwei eigene Romane in meinem Repertoire. Nichts von dem wurde bislang veröffentlicht oder verkauft, aber in einigen Fällen denke ich, das könnte sich in der nächsten Zeit ändern.

 

Wer ist Kirsten Beyer? Was können Sie uns über sich selbst und Ihre Interessen und Hobbys erzählen? Was hält Ihre Familie von Ihrer Arbeit – und von Star Trek?

Ich trete auf der Bühne auf, seit ich zwei war. Damals wurde ich in klassischem Ballett ausgebildet. Als ich um die vierzehn war und mir klar wurde, dass ich niemals Ballerina werden würde, ging ich zum Schauspiel über. Seitdem habe ich Hunderte Stücke gespielt, auf dem College, in der Graduiertenschule – wo ich einen Fine-Art-Degree-Master erwarb – und anschließend in einer Reihe von Produktionen hier, in Los Angeles. Ich bin in einigen Featurefilmen aufgetaucht, Seifenopern und sonstigen kommerziellen Produktionen.

Was ich realisierte, als die Graduiertenschule endete, war, dass meine Liebe für das Schauspiel eigentlich eine Liebe für das Geschichten-Erzählen war. Ich hatte bereits einige Erfahrung in englischer Literatur aufzuweisen und begann, mir meine Freizeit zwischen den Schauspielprojekten so einzuteilen, dass ich das Schreiben erforschen konnte. Ich versuche eine gesunde Balance bei allen meinen kreativen Beschäftigungen zu finden, und nach einigen Jahren konstanter Produktionsarbeit habe ich mich zuletzt verstärkt aufs Schreiben konzentriert.

Ich bin verheiratet mit einem Autorenkollegen und Produzenten, und wir leben in Los Angeles. Meine Familie und meine Freunde sind eine unglaubliche Unterstützung für meine Arbeit. Ich könnte nichts davon ohne sie tun, und ich freue mich bei jeder neuen Publikation darauf, ihre Meinung zu hören. Einige von Ihnen haben Star Trek und seine verschiedenen Inkarnationen genau verfolgt. Einige sind sogar Fans geworden, teilweise von Voyager, seit ich für Pocket Books arbeite.

 

Welche Bücher lesen Sie gerne in Ihrer Freizeit und welche Fernsehserien schauen Sie sich an?

Ich lese fast immer, und zwar ein großes Spektrum an Genres. Es gibt viele klassische Werke, die ich liebe und von Zeit zu Zeit immer wieder lese. Austin, Dickens – diese Sachen. Und ich liebe einen guten History-Fiction-Roman. Kürzlich habe ich einige Non-Fiction-Sachen gelesen, Biographien, aktuelle Ereignisse. Und natürlich habe ich ein Auge auf Star Trek. Dann gibt es noch das, was ich Bubble-Gum-Reading oder Flugzeug-Bücher nenne – Thriller oder Mysterystorys oder Bestseller, die sich für lange Trips eignen.

TV ist so eine Sache, denn ich gucke viel weniger als ich gucken sollte, einfach deshalb, weil es nur eine begrenzte Zahl Stunden pro Tag gibt. Im letzten Jahr ist mein Standardkanal CNN. Aktuell zurückgelegt für meinen DVD-Rekorder sind die letzte Galactica-Staffel, House, Pushing Daisies, Life, Heroes… Es ist beinahe ermüdend, darüber nachzudenken, wie viele TV-Shows man sich angucken könnte. 

 

Bislang verorten Sie Ihren Schwerpunkt als Science-Fiction-Autorin eindeutig auf Voyager. Warum gerade diese Serie? Was grenzt sie gegenüber den anderen Serien aus Ihrer Sicht ab?

Zu Voyager habe ich ein besonderes Verhältnis, weil es die erste Sache war, zu der ich jemals zu schreiben versuchte. Ich kannte ein paar Leute, die an der Show arbeiteten, als sie begann. Ich sandte einige unaufgeforderte Konzepte ein, aber da biss ich mir die Zähne aus: Die beiden Vorschläge wurden abgelehnt. Dann schrieb ich jedoch Dutzende anderer Storys, von denen ich die Produzenten überzeugen konnte. Eine dieser Geschichten wurde übrigens einer der zentralen Handlungsbögen in Fusion.

Ich bin bestens vertraut mit TOS, denn als ich aufwuchs, guckte ich es mit meinem älteren Bruder. Es handelte sich um eine der wenigen Shows, die wir ohne Wenn und Aber abends gucken durften. Ich habe es immer genossen. TNG habe ich deutlich sporadischer geguckt, weil ich zu dieser Zeit zur Schule ging. DS9 ging total an mir vorbei, bis meine gute Freundin Heather Jarman damit anfing, DS9-Bücher für Pocket Books zu schreiben. Um ihr bei ihren Manuskripten helfen zu können, hielt ich es für wichtig, ein Basiswissen über die Serie zu besitzen und sah sie mir komplett auf DVD an. Es war wirklich fabelhaft, und ich bleibe mit dem DS9-Fiction eng verbunden, aber nur als Fan.

Aber Voyager ist die einzige Serie, die ich während ihrer Produktionsphase Woche für Woche mitverfolgte, weil ich ja zu ihr zu schreiben versuchte, aber auch deshalb, weil ich sie sehr mochte. Ich finde, die Serie hatte sehr gute Seiten, aber manchmal war ich über manche Entscheidungen der Produzenten frustriert, die eine so tiefgehende Charakterarbeit wie in DS9 nicht ermöglichten. Voyager wurde jedenfalls die Show, die ich in- und auswendig kennen lernte – etwas, das verdammt wichtig ist, wenn man Tie-in-Fiction schreibt. Und im Übrigen handelte es sich um die Serie, bei der ich das größte Potential für Fortsetzungsgeschichten sah, ebenso wie Potential für weitergehende, darauf folgende Serien.

Voyager ist also der berühmteste Sandkasten, in dem ich mich ausgetobt habe. Ebenfalls geschrieben habe ich für Alias und Buffy, was ich ebenfalls aus verschiedenen Gründen mag. Als ich diese Arbeit begann, war Voyager tatsächlich die Serie, auf die ich am besten vorbereitet war, aber jetzt bin ich allgemein mit Star Trek besser vertraut und würde definitiv über Voyager hinausgehen, sollte sich die Gelegenheit irgendwann bieten.

 

Der Voyager-Relaunch hat zwei Etappen, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Nach den ersten zwei Doppelbänden, die eher Einzelabenteuer darstellen, übernahmen Sie die Voyager-Erzählung. Mit Geschlossener Kreis beginnt sozusagen ein zweiter Relaunch im Relaunch. Ist da etwas dran?

Ja, das ist wahr. Geschlossener Kreis ist bei weitem das ehrgeizigste Tie-in-Projekt, das ich bis heute verfolgt habe. Behalten wir im Kopf, dass die beiden Spirit Walk-Bände Mitte 2378 endeten, Voyager-Charaktere in der Zwischenzeit in so einigen anderen Büchern Auftritte hatten – TNG, Titan, Gesetze der Föderation, und wir hatten ja noch einen Janeway-Cameo in Nemesis. Dann kam Destiny, welches in den ersten Monaten von 2381 angesiedelt ist. Insofern blicken wir hier auf eine Lücke von fast drei Jahren, die gefüllt werden muss und die nichtsdestotrotz das beinhalten muss, was bereits publiziert wurden und was David Mack in Destiny machte. Es gibt eine ganze Reihe von ungelösten Storybögen, die Christie Golden hinterlassen hat, aber vor allem müssen wir es hinbekommen, Voyager möglichst effektiv in das weite Star Trek-Universum einzuflechten. Sie muss ihr Alleinstellungsmerkmal behalten, eine kreative Richtung, die ihre Geschichten einzigartig machen, und nur das wird den Weg in die Zukunft für sie erfolgreich sein lassen.

Die gute Nachricht ist, dass bereits in der Planungsphase von Destiny die Pocket-Books-Editoren Wert darauf legten, dass alle Autoren, die denselben Zeitrahmen behandeln, eng zusammenarbeiten: außer mir selber David Mack, Christopher Bennett, William Leisner, Michael Martin, Andy Mangels und Keith DeCandido. Wir standen und stehen in regelmäßigem Kontakt, sind imstande, uns gegenseitig zu helfen und Absprachen in Bezug auf eine einheitliche Charakterentwicklung zu treffen, um Canontreue und Kontinuität zu gewährleisten. Gerade dieser Teil des Arbeitsprozesses war eine echte Freude. Alle Autoren, mit denen ich im Rahmen meines Geschlossener Kreis-Projekts zusammengearbeitet habe, nahmen sich viel Zeit und teilten ihr Wissen mit mir, was mein Unterfangen enorm erleichtert hat.

 

Wenn Geschlossener Kreis nun den Bogen schlägt bis hinter die Destiny-Trilogie, dann wird die Voyager endgültig in eine düstere Situation katapultiert. Die Föderation wurde von einer Massenborginvasion erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Weshalb ist das die richtige Umgebung für einen Voyager-Relaunch?

Ja, die Phase 2378 bis 2381, insbesondere von Juni 2380 bis Februar 2381, ist sehr finster für unsere Helden. Aber das besorgt mich nicht. Konflikte und Herausforderungen sind doch gerade für diese Geschichten eine wichtige Bedingung. Manchmal sind diese Konflikte innere und manchmal verschwört sich auch das Universum gegen sie. Das sind alles interessante Herausforderungen für einen Autoren, wobei es für den einzelnen Charakter auch eine anstrengende Sache ist, kann ich mir vorstellen.

Trotzdem denke ich, es ist das richtige Setting, nicht nur für Voyager, sondern für ganz Star Trek, weil es etwas mit Herausforderungen zu tun hat, denen sich unsere Erde heutzutage auch stellen muss. Solange ich lebe, habe ich den Eindruck, wir haben uns von einer Katastrophe zur nächsten begeben, immer wieder an der Schwelle der eigenen Auslöschung. Die 50er und 60er Jahre hatten ihre eigenen existenziellen Herausforderungen, aber Errungenschaften dieser Zeit waren vor allen Dingen moralische. Ich frage mich, ob diese von den technologischen Fortschritten der Gegenwart aufgewogen werden, ob sie die soziale Wirklichkeit der Menschen wirklich verbessert haben.

Star Trek hatte immer allegorische Untertöne. Es ist nicht unbedingt so, dass da unserer jetzigen Probleme einfach ein paar Jahrhunderte in die Zukunft geschoben werden. In seinen besten Zeit hat Star Trek immer ein diskretes Licht auf die Probleme geworfen, über einen entrückten Kontext. Die Finsternis der Borginvasion, die Zerrüttung und Verwüstung und die Kraft der Hoffnung im Angesicht der Furcht ist etwas, das es wert ist, literarisch reflektiert zu werden, insbesondere heute.

Was an Star Trek wundervoll ist, ist, dass es uns stets eine Vision dessen präsentierte, was möglich ist. Es ist keine perfekte Zukunft. Menschen sind immer noch Menschen und eine ganze Reihe fremder Rassen, denen sie begegnen, teilen nicht den eigenen Wertekanon. Aber es gibt Hoffnung. Da ist die Bereitschaft, sich selbst über rückwärtsgewandte Weltbilder hinweg zu begeben und sich gemeinsam den Mysterien des Universums zuzuwenden. Da ist eine Leidenschaft, immer zu versuchen, das Richtige zu tun und den Bequemlichkeiten des Lebens zu trotzen. Ich glaube, wir alle teilen diese Leidenschaft schon jetzt, aber wir werden derzeit mit so vielen Herausforderungen konfrontiert, dass es schwer vorzustellen ist, wie man von dort, wo man ist, an jenen Punkt gelangt, wo man gerne sein möchte. Ich sage damit nicht, dass Star Trek eine Art Blaupause für die Zukunft ist, aber indem es seine Helden in richtig schwierige und finstere Momente von Zeit zu Zeit bringt, können wir uns in eine Beziehung mit ihnen setzen und aus ihren Lösungen Inspiration gewinnen.

 

Kathryn Janeway hat im TNG-Roman Heldentod zumindest physisch den Tod gefunden. Inwiefern ist es eine schwerwiegende Hypothek für eine Voyager-Fortsetzung, wenn einer der zentralen Protagonisten plötzlich ausfällt?

Der Verlust von Kathryn Janeway war ein richtiger Schock für mich. Wie Sie sagten, wir haben den Tod einer Hauptfigur wie Janeway noch nie zuvor erlebt, und ich weiß, dass viele Voyager-Fans das ziemlich persönlich genommen haben, zumal sie ihr Lieblingscharakter war – und zudem der erste weibliche Captain.

Wie dem auch sein mag: Eines der guten Dinge bei fortlaufendem Tie-in-Fiction, sowohl für Leser als auch Autoren, ist, dass die Serien und Filme nicht länger den Verlauf der Erzählung einengen. Verstehen Sie mich hier nicht falsch. Niemand zieht die Zerstörung des ganzen Universums in Betracht, das so liebevoll in den letzten vierzig Jahren aufgebaut wurde. Niemand tötet einen Charakter einfach so aus dem Bauch heraus. Diese Personen existieren in unserer Vorstellung, und es ist schmerzhaft, sie gehen zu lassen.

Aber die Zeiten haben sich eben geändert: Es ist nicht mehr so, dass am Ende eines Trek-Buchs alles zwangsläufig wieder so sein muss wie am Anfang. Wir können die Charaktere und ihre Entwicklung mehr vertiefen denn je zuvor. Wir können sie vor neue Herausforderungen stellen. Und wir können Geschichten ausdenken, die das Budget eines filmischen Star Trek gesprengt hätten.

Die Entscheidung, Kathryn Janeway zu töten, wurde nicht einfach nur getroffen, um den Leser aus den gewohnten Rhythmen zu reißen. Sie wurde getroffen, weil wir sie für einen Präzedenzfall hielten, ein unkartographiertes Gebiet, das wir uns näher ansehen wollten. Ja, es ist hart. Aber andererseits macht es keinen Sinn, diese Sachen zu tun, wenn sie alle so einfach sind. Und ja: Der Tod Janeways wird in Geschlossener Kreis ausführlich behandelt sowie die Auswirkungen für alle Voyager-Protagonisten. Es ist insofern eine Ironie, dass gerade Janeways Tod der Auftakt für eine ganz neue Reise des Schiffes wird. Persönlich sehe ich das Thema nicht als Hypothek für die Fortsetzung der Serie, sehr wohl aber als eine Herausforderung. Zudem heißt es doch so schön in Star Trek, es gebe immer ‚Möglichkeiten‘.

 

Eine abschließende Frage: Wo sehen Sie die Menschheit in 100 Jahren?

Ich weiß nicht, wie sich die Zukunft entwickelt, aber ich werde Ihnen von einer Hoffnung erzählen. Ich hoffe, dass wir in der Zukunft einen Weg gefunden haben werden, eine Menschheit ohne soziale Scheuklappen zu sein, dass wir eine sind. Die Glaubensvorstellungen und Traditionen und Weltanschauungen, die uns heute noch zu teilen scheinen, sollten als Vielfältigkeit begriffen werden, aber nicht zwischen uns stehen oder die Lösung größerer Probleme verhindern. Unsere Welt verfügt über so viele Ressourcen, und zum jetzigen Zeitpunkt werden die meisten dieser Ressourcen von einer kleinen Minderheit kontrolliert und kommen nur einem geringen Prozentsatz der Weltbevölkerung zugute.

Wir neigen dazu, zuerst auf unsere eigenen Bedürfnisse zu gucken und mit dem, was übrig ist, helfen wir dann anderen. Was wir einsehen müssen, ist, dass das, was als Globalisierung mehr und mehr Realität wird, uns alle aneinander bindet. Die Akkumulation von persönlichem oder nationalem Wohlstand oder von Macht sollte weniger wichtig für uns sein als der Antrieb, alle Menschen ohne Sorgen leben zu lassen. Ich hoffe, dass wir unsere Bemühungen in Richtung Frieden, Stabilität und gegenseitige Unterstützung ausrichten werden. Die Geschichte sagt mir, dass es für die Menschheit mehr als hundert Jahre dauern wird, diese Geisteshaltung zu erreichen, aber ich glaube, wir werden das schaffen. Zumindest ist das meine Hoffnung.