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Pilotfilm Enterprise: Aufbruch ins Unbekannte

 

Schillernder und prägnanter Start in die Vergangenheit der Zukunft

 

Eine ursprüngliche Szene…bis auf ein Detail: Ein fremdes Raumschiff ist in Broken Bow, Oklahoma, inmitten eines Maisackers niedergegangen. Ein höckerköpfiger, hünenhafter Außerirdischer – den Star Trek-Fans natürlich sogleich als Klingonen ausmachen dürften – wird von zwei unbekannten, schuppigen Humanoiden verfolgt, die während der Jagd ungewöhnliche Fertigkeiten an den Tag legen. Wie Gummimenschen sind sie in der Lage, ihre Gliedmaßen zu verdrehen und ihre Körper gelatineartig zu verformen, sodass sie durch kleinste Spalten gelangen können. Später wird sich herausstellen, dass es sich um die Cabal handelt, eine Gruppe genetisch aufgewerteter Mitglieder der Suliban-Spezies, die ein Bündnis mit einer fremden Macht geschlossen haben, welche aus der Zukunft heraus versucht, die Geschichte zu manipulieren. Dem Klingonen gelingt es, seine beiden Verfolger in eine Falle zu locken und zu töten. Er selbst wird jedoch schwer verletzt, als ein ortsansässiger Farmer den Fremden entdeckt und ihn aus Furcht vor seiner Erscheinung (sowie Unverständnis seiner gutturalen Sprache) mit einem Plasmagewehr niederstreckt.

 

Der Zwischenfall in Oklahoma führt dazu, dass Jonathan Archer – mittlerweile zum Captain des ersten Warp-fünf-Raumschiffes der Sternenflotte, Enterprise NX-01, ernannt – seine Inspektion des funkelnagelneuen Kreuzers unterbrechen muss. Von seinem Oberkommandierenden Admiral Forrest und dem politischen Beraterstab der Vulkanier wird er darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich ein Klingone namens Klaang als Kurier auf dem Weg zurück zur klingonischen Heimatwelt befand, als er von Fremden angegriffen wurde. Gegen den Widerstand der Vulkanier, die in den beinahe hundert Jahren seit dem Erstkontakt die Menschheit beraten haben, erwirkt Captain Archer eine Vorverlegung des geplanten Starts seines experimentellen Schiffes, um Klaang zu seiner Heimatwelt – ein Planet namens Qo’noS – zurückzubringen. Für Archer ist es im Grunde nicht mehr als ein gebotener Anlass, um sich von der empfundenen Leine Vulkans loszureißen und sich seiner unbändigen Neugier auf den Weltraum hinzugeben. Die Enterprise bricht kurze Zeit später auf und muss sich dabei Herausforderungen stellen, die Archer nie und nimmer vorausgeahnt hätte. Sie betreffen nicht nur die politische Stabilität der Gegenwart, sondern sogar Raum und Zeit…

 

Trotz eingeschränkter Möglichkeiten: Mut für Neues

 

Es war bereits im Kapitel zu den Serienhintergründen angeklungen: Der Enterprise-Pilotfilm war für Rick Berman und Brannon Braga ein Kompromiss, da sie ihre ursprünglichen Vorstellungen bei UPN nicht durchsetzen konnten, die erste Staffel weitgehend auf der Erde und im Sonnensystem spielen zu lassen und erst zu ihrem Ende hin in den Weltraum zu starten. Das Studio beharrte auf einem schnellen Losflug und unverzögert erzählten Star Trek-kompatiblen Geschichten. Dennoch haben Berman und Braga das denkbar Beste aus ihrer nicht ganz einfachen Situation gemacht: Es handelt sich bei Aufbruch ins Unbekannte wohl um den gelungensten Auftakt, den eine Serie unter dem Star Trek-Dach jemals bekommen hat. Die Folge etabliert auf extrem unterhaltsame Weise ein erfrischend neues, potenziell konfliktträchtiges Setting (Menschen und Vulkanier!), das teilweise auch mysteriös und schwer berechenbar daherkommt (Cabal, deren Auftraggeber, Zeitkrieg).

 

Die Story ist durch die Bank spannend und mitreißend, aber auch kurzweilig und mit gut dosiertem Humor gespickt. Auch die Schauwerte der Inszenierung von Aufbruch ins Unbekannte wirken sehr aufwändig und im Grunde kinoreif. Kameraeinstellungen, Schnitte und Ausleuchtung heben sich in positiver Weise vom davor bekannten TV-Star Trek ab. Beispielsweise ist die Szene mit Klaangs Flucht quer durch das Maisfeld bemerkenswert gefilmt; ähnliches gilt für die verschneite Landeplattform auf Rigel X oder das Gefecht im Innern des Gasriesen. Das alles kannte man nicht von früheren ST-Shows. Wenn man es auf den Punkt zu bringen versucht, hat man es mit dem Enterprise-Piloten geschafft, eine schmissige Doppelfolge abzuliefern, die von einer exzellenten Melange aus Settingetablierung, Dramaturgie, Design, Effekten und Figuren lebt. Vertrautheit und Neues sind recht gut austariert. Persönlich ist mir nur der Actionanteil etwas zu umfassend geraten; immer wieder müssen sich Archer und Co. ihren Weg freiboxen. Andererseits ist diese Art von futuristischem Wildwest sicher anschlussfähig an Roddenberrys ursprüngliches Star Trek und die Idee eines Prequels.

 

Vor allem kann man nicht oft genug betonten, wie gut die Charaktere und deren Interaktionen quasi von der ersten Szene an funktionieren. Von vorneherein sind die Figuren scharf gezeichnet und stehen in deutlichem Kontrast zu den Helden des 24. Jahrhunderts (TNG, DS9, Voyager). Sie wirken in Enterprise viel bodenständiger als die mitunter etwas abgehoben agierenden Charaktere der TNG-Ära-Serien. Jonathan Archer ist impulsiv, ungeduldig, etwas hemdsärmelig und streitlustig, aber auch voller naivem Entdeckerdrang und Optimismus. Nachdem er in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurcorps der Sternenflotte den Warp-fünf-Antrieb seines verstorbenen Vaters erfolgreich fertigstellen konnte, ist er begierig darauf, loszuziehen und die Sterne zu erforschen. Damit repräsentiert Archer in seiner schillernden Widersprüchlichkeit einen Typus Mensch, der (abgesehen vielleicht von seinem überaus streng gekämmten Scheitel) wunderbar in die geschichtliche Frühphase passt, in der Enterprise angesiedelt ist.

 

Moderneres Storytelling, geschichtsträchtiges Setting

 

Wirkte es in manchen Star Trek-Pilotfilmen noch streckenweise so, als stellten sich einzelne Charaktere vor die Kamera und erzählten aus dem Kontext gerissen Versatzstücke ihrer Biografie, gelingt die Einführung der Protagonisten in Aufbruch ins Unbekannte nahezu ‚on the fly‘, während die Handlung Stück für Stück voranschreitet. Charaktereigenschaften werden vorgeführt und Hintergründe dargelegt, wenn sie zur Situation passen; nie wirkt irgendetwas künstlich aufgedrückt oder überfrachtet. Die Vorbereitungen auf den Start der Enterprise und den Beginn der ersten Tiefenraummission der Menschheit bieten hier eine hervorragende Bühne. Der lässige Umgang der Hauptcharaktere untereinander ist regelrecht wohltuend.

 

Bei der Gestaltung der Enterprise haben sich die Macher eindeutig große Mühe gegeben; sie haben einen guten Kompromiss aus Modernität, Andersartigkeit und doch Konformität zu TOS erzielt. Im Innern sieht das Schiff weniger komfortabel aus, ohne an eigener Ausstrahlung zu verlieren. Die Sets wirken deutlich lebensechter und detailverliebter als z.B. jene der Enterprise-D oder der Voyager. Die Weltraumromantik ist in Szenen, die etwa den Sweetspot oder Archers winziges, nahezu klaustrophobisches Büro zeigen, mit Händen zu greifen. Und der paradiesvogelgleiche Doktor Phlox setzt etwa oftmals die Möglichkeiten der intergalaktischen Pflanzen- und Tierheilkunde ein, in Ermangelung technologischer Lösungen. All das ist eine willkommene Abwechslung.

 

Es ist aber ganz maßgeblich auch das ganze Ausgangsszenario dieser Ära, welches ungewohnt daher kommt und für frischen Wind sorgt. Die Vulkanier – obgleich sie der Erde entscheidend bei der Erholung nach dem Dritten Weltkrieg halfen – sind nicht die vorbehaltlosen, weisen Lichtgestalten aus späteren Jahrhunderten, sondern werden als skeptische Oberlehrer gezeichnet, die die Euphorie der Menschheit, zu den Sternen aufzubrechen, seit Jahren ausbremsen und offenbar alles daran gesetzt haben, damit sich die Entwicklung des Warp-fünf-Antriebs verlangsamte. Immer wieder insistieren sie, dass ihre menschlichen Protegés noch nicht reif genug seien, sich auf Langstrecken-Forschungsmissionen den Tiefen des Weltraums zuzuwenden und Erstkontakte mit neuen Völkern zu schließen. Dementsprechend gering fällt ihre Unterstützung aus, als die Enterprise das Raumdock in Richtung Qo’noS verlässt. Ihr Einfluss ist immerhin groß genug, um dafür zu sorgen, dass eine Beobachterin aus ihren Reihen Archers Flug begleitet, eine Wissenschaftlerin namens T’Pol. Sie wird sich im Anschluss an den Pilotfilm auf Archers Bitte hin entschließen, als Erster Offizier an Bord der Enterprise zu verbleiben. 

 

Eine der großen Stärken des Pilotfilms sind die Reibungen und konfliktären Situationen, die zwischen Archer und T’Pol immer wieder aufflammen. Hier demonstriert Enterprise, dass es in der Lage ist, einige der alten Roddenberry-Regeln – unter ihnen die strikte Vermeidung von Auseinandersetzungen zwischen den Helden – behutsam zur Seite zu schieben, ohne sie direkt zu brechen. Die Geschichte endet mit einem Erfolg der Crew, weil Meinungsverschiedenheiten überbrückt werden können, was den Boden für spätere Folgen der Serie bereitet. Doch Friede, Freude, Eierkuchen ist noch lange nicht in Sicht: Erst mit der Zeit lernen Archer und T‘Pol, ohne Vorbehalte zusammenzuarbeiten und ihre jeweiligen Stärken miteinander zu verbinden. Die erste Staffel kann als schrittweiser Prozess gesehen werden, wie aus gegenseitiger Ablehnung zuerst ein Respektverhältnis entsteht, das in späteren Seasons dann immer mehr in eine Freundschaft mit menschlichen Zügen übergeht. Das ist eines der Highlights, das Enterprise bietet.

 

Eng damit verbunden ist auch T’Pols persönliche Entwicklung. Zuerst mehr oder minder eine vom vulkanischen Oberkommando gelenkte Figur, die eine klare Linie verfolgt, entdeckt sie ihre Wertschätzung für diese wissbegierige, kleine Schar Menschen, die hinter jedem Stern etwas Wunderbares vermutet. T’Pols weiterer Veränderungsprozess ist als eine Entfremdung von ihren Vorgesetzten und ihrem eigenen Volk zu lesen. Dies hat nicht nur etwas damit zu tun, dass sie sich immer stärker der Enterprise zugehörig und Jonathan Archer gegenüber loyal fühlt. Wie wir nach und nach erfahren, ist sie in Wahrheit alles andere als eine typische Vulkanierin, sondern fühlt sich durchaus angezogen von Emotionen; ihre mentalen Barrieren sind nicht so ausgeprägt wie bei anderen Vertretern ihres Volkes (Episoden VerschmelzungStigma). All das führt dazu, dass T’Pol bis zum Ende der Serie zu einer Zwischenweltlerin im besten Sinne wird, die selbstbestimmt denkt und handelt.

 

Von vorneherein ein wenig irritierend, zugleich aber auch reizvoll-ominös wirkt im Pilotfilm jener angedeutete Zeitkonflikt, dessen voller Kontext dort noch nicht zur Entfaltung kommt. Man weiß nicht, was es damit auf sich hat, es ist auf jeden Fall etwas Neues, insofern begegnet man der Sache aufgeschlossen und gibt ihr eine Chance. Der Gedanke, dass Archer und Co. vielleicht darum kämpfen müssen, die Geschichte sich so entwickeln zu lassen wie sie es soll, erscheint reizvoll. Zudem könnte es ja Einblicke in ferne Jahrhunderte, in das Funktionieren von Zeitreisen und Zeitkriegen sowie die Absichten der einzelnen Fraktionen geben (was hat es mit Siliks Auftraggeber auf sich?), und mit etwas Glück sieht man ja sogar vielleicht manche Captains aus dem 24. Jahrhundert wieder und weiß, wie die Geschichte sich nach dem Ende der TNG-Epoche weiter entwickelt hat. Nichts davon wird die Storyline rund um den Temporalen Kalten Krieg in der Serie ernsthaft bedienen können, aber das ist zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht absehbar.

 


Gesamtbeurteilung:

 

 

Hinweis: Sämtliches in diesem Artikel verwendetes Bildmaterial entstammt www.trekcore.com (öffentlich verfügbare Screencaps)

 

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