Lesser Evil

Autor: Robert Simpson
Erscheinungsjahr: 2002
Seitenzahl: 250
Band: 8.8

Zeitraum: 8/2376

 

Inhalt

 

Es sollte der Aufbruch in eine neue, prosperierende Zukunft werden. Doch im bajoranischen Heimatsystem hat sich ein politisches Drama ereignet. Shakaar Edon, der bajoranische Premierminister, ist tot. Während der Zeremonie, die den Beitritt Bajors in die Föderation (endlich) besiegeln sollte, wurde er kaltblütig ermordet – ausgerechnet vom Sicherheitsberater der Trill-Delegation, Hiziki Gard, welcher daraufhin wegbeamte.

 

Nun ist alles gefährdet, was gerade eben noch in greifbarer Nähe lag: Bajors Föderationsbeitritt scheint auf Jahre hin unmöglich, und jeder fürchtet einen verheerenden Umschwung der öffentlichen Meinung auf dem bislang der VFP so zugetanen Planeten, sobald die Nachrichtensperre aufgehoben wurde und allen klar wird, dass ein Mitglied der Föderation das bajoranische Regierungsoberhaupt umbrachte. Hinzu kommt die ohnehin wütende politreligiöse Spaltung Bajors, die zuletzt in offene Auseinandersetzungen umgeschlagen ist und die VFP zu einer Neubewertung bringen könnte, nämlich dass Bajor keine in sich geeinte Welt mehr ist und damit vorerst nicht mehr aufgenommen werden kann. Von welcher Seite man es auch betrachtet: In vielerlei Hinsicht scheinen entscheidende Gelegenheiten verpasst und schwere Fehler gemacht worden zu sein.

 

Während Ratsmitglied zh’Thane und Flottenadmiral Akaar bemüht sind, das Vertrauen der neuen, schnell vereidigten und einigermaßen verstörten Premierministerin Asarem Wadeen zurückzugewinnen und die allgemeine Lage ein wenig zu beruhigen, versuchen Ro und Kira zusammen mit dem bajoranischen Sicherheitsdienst fieberhaft, den geflohenen Gard aufzuspüren und seine Beweggründe für die Tat offenzulegen. Doch der Trill-Attentäter scheint sich buchstäblich in Luft aufgelöst zu haben.

 

Als die DS9 zugeteilte U.S.S. Gryphon schließlich eine Energiesignatur aufschnappt, die offenbar nach Trill führt, ist man sich sicher, die entscheidende Spur auf den fliehenden Gard zu haben. Kira wird von Asarem persönlich damit beauftragt, auf die Gryphon zu beamen und die Verfolgung aufzunehmen. Doch während jedermann den Mörder Shakaars außerhalb der Station vermutet, ist sich Sicherheitschefin Ro sicher, dass Gard sich noch auf DS9 befindet. Zusammen mit Taran’atar stellt sie Nachforschungen an, um ihre Theorie zu testen.

 

Als sich im Zuge der Autopsie des Shakaar-Leichnams auch noch herausstellt, dass der bajoranische Premier scheinbar über Monate mit einem Symbionten vereinigt war, wird immer deutlicher, dass bislang nur die Spitze des Eisbergs bekannt ist. In Wahrheit geht es hier um eine Verschwörung, die nicht nur Bajors Zukunft bedroht, sondern die Föderation als Ganzes. Die Parasiten, die vor zwölf Jahren das Sternenflotten-Hauptquartier infiltrierten, sind wieder auf dem Vormarsch.

 

Währenddessen befindet sich die U.S.S. Defiant im Gamma-Quadranten auf dem Rückweg zum Wurmloch. Trotz einiger äußerst gefährlicher Zwischenfälle war die dreimonatige Explorationsmission ein voller Erfolg: Es wurden etliche Erstkontakte mit neuen Völkern hergestellt, Zivilisationen vor dem Untergang gerettet, Raumphänomene katalogisiert und erforscht – und zu alledem auch noch einiges über sich selbst gelernt. Dementsprechend zufrieden blicken Vaughn und seine Mannschaft auf ihre Reise zurück, und die meisten freuen sich, wieder nach DS9 zurückzukommen.

 

Dann empfängt die Defiant plötzlich ein Transpondersignal mit Föderationskennung von einer abgeschiedenen Welt. Wie sich herausstellt, wird es unweit der Absturzstelle eines Jem’Hadar-Raiders ausgesendet. Vaughn lässt sofort Kurs auf das Signal setzen und hüllt sich darüber hinaus in Schweigen. Sein Erster Offizier, Ezri Dax, ist im höchsten Maße irritiert über dieses Verhalten und versucht ihm Antworten zu entlocken, die er ihr jedoch vorerst nicht zu geben bereit ist. Die Dinge werden klarer, als die Defiant den Planeten erreicht hat, von dem das Transpondersignal kommt. Auf der Oberfläche angelangt, stellt sich heraus, dass das Signal von einem durch die Borg assimilierten Sternenflotten-Schiff kommt…und dass die letzte überlebende Drohne, die dort gefunden wird, keine andere als Vaughns Frau ist.

 

 

Kritik

 

Die Welt ist ungerecht, das merkt man auch am vierten Mission Gamma-Band. Da war das Vorgängerbuch Cathedral teilweise bis zur reinen Überflüssigkeit aufgebläht und versank manchmal in purer Belanglosigkeit und bibelhaftem Gepredige, und wenn man nun – wie im Fall von Lesser Evil – mehr lesen möchte, bekommt man nur vergleichsweise magere 250 Seiten geboten. Das ist äußerst schade, denn obwohl es der kleinste aller Mission Gamma-Teile ist, weiß er doch bislang am meisten zu überzeugen.

 

Es ist beachtlich, mit was für eine Wucht, Präzision und Konsequenz der DS9-Relaunch in eine mitreißende Story zurückfindet, die die Haupthandlung aktiv vorantreibt. Das ist genau die Fortsetzung, die man sich schon seit mehreren Bänden gewünscht hat und die doch raum für Unerwartetes lässt. Überraschenderweise hat man bei Lesser Evil nur selten das Gefühl, dass die Geschichte überstürzt wird. Sowohl der Alpha- als auch Gamma-Plot sind dramatisch erzählt, voller tiefer Gefühle und Charaktermomente, und auch die Action kommt diesmal nicht zu kurz. Robert Simpson, der unter den Star Trek-Autoren bis dato ein eher unbeschriebenes Blatt ist, macht eine extrem gute Figur und muss den Vergleich mit etablierten Größen in diesem Bereich nicht scheuen.

 

Dabei vergisst er vor allem die seelische Tiefe der Figuren nicht – im Gegenteil, er leuchtet sie weiter aus. Die Entdeckung der Drohne, die sich als Prynns Mutter und Vaughns Frau herausstellt, ist im Grunde kein weiteres Bedrohungsszenario, sondern eine neue Studie des Verhältnisses zwischen dem Commander und seiner Tochter sowie ein Anlass, sich mit Vaughns Vergangenheit und tiefsitzendem Schmerz zu beschäftigen (daher auch die kompakten Flashbacks).

 

Autor Simpson schildert gekonnt, wie der Fund der Drohne beide Familienmitglieder seelisch belastet. Dabei gibt es Parallelen zum ersten Mission Gamma-Band, Twilight, und eine ausgemachte Ironie: Die erste Mission im Gamma-Quadranten brachte Vaughn und Prynn nach all den Jahren dazu, wieder aufeinander zuzugehen, brach etwas Entscheidendes in ihrem schier hoffnungslosen Verhältnis auf; jetzt wird ein Szenario entwickelt, in dem sie wieder mit aller Gewalt voneinander wegdriften. Doch man ahnt auch, dass die beiden langfristig umso beherzter zueinander finden werden. Der Weg dorthin ist jedoch noch steinig und lang.

 

Der spannende und noch bessere Teil des Romans ist ganz ohne Zweifel im Alpha-Quadranten angesiedelt. Endlich kommt Licht ins Dunkel, und wir finden nicht nur heraus, warum Shakaar ermordet wurde, sondern auch, warum er sich all die Monate so eigenartig und mit Blick auf den politischen Prozess mit Cardassia höchst unkonstruktiv verhalten hat. Offenbar stecken die Parasiten dahinter, die bereits in der TNG-Episode der ersten Staffel Die Verschwörung ihr Unwesen trieben, allerdings nie wieder auftauchten. Bis zum jetzigen Zeitpunkt.

 

Alles in allem gibt es eine dosierte Auflösung, die auf äußerst mysteriöse Art und Weise erste Erklärungen und spannende Andeutungen liefert, aber auch viel Stoff für das große Finale in Unity aufspart. Was beispielsweise nicht gelüftet wird, ist, warum der durch den Parasiten gesteuerte Shakaar offensichtlich eine schnellstmögliche Vereinigung mit der Föderation wollte, gleichzeitig aber keine Annäherung mit den Cardassianern. Wieso ist gerade diese politische Konstellation im Interesse der Parasitenwesen? Sollte sie irgendwie bei einer neuerlichen Invasion der Föderation helfen? Oder gibt es eine andere Begründung dafür?

 

Ich persönlich fand, es gab nur eine Szene, an der man an der Auflösung des Plots etwas beanstanden kann. Mir erschien es ein wenig übertrieben, dass der (schließlich auf DS9 entdeckte und geständige) Gard eröffnet, er habe Shakaar getötet, allerdings nicht einmal einen blassen Schimmer davon, was dieser im Schilde führen mochte. Hier hatte ich mir schon ein wenig mehr Erklärungen vom Attentäter versprochen, auf dessen Suche immerhin die ganze erste Hälfte des Buches draufgeht. Doch ein Gefühl sagt mir, die Antworten werden schon noch kommen, und Gard scheint ja nicht unbedingt für alles Erklärungen zu brauchen, sondern gehört offenbar einer speziellen Gruppierung an, die die den Trill-Symbionten verwandten Parasiten aufs Schärfste bekämpft.

 

Was den Handlungsbogen im Alpha-Quadranten weiter anfacht, ist der Umstand, dass der Parasit, der in Shakaar saß, offenbar entkommen konnte. Er begab sich auf die Gryphon, übernahm Captain Mello und konstruierte mit der angeblich entdeckten Energiesignatur einen Vorwand, um nach Trill zu fliegen. Dort will er offensichtlich beispiellose Zerstörung anrichten. Kira, die sich an Bord der Gryphon befindet und glaubt, Hiziki Gard nachzuspüren, muss sich komplett umstellen, als sie von DS9 erfährt, dass nichts so ist wie geglaubt. Es beginnt eine kurze, aber gänsehautlastige Suche nach dem Parasiten auf der Gryphon – sie muss die sich anbahnende Racheaktion des Wesens im Trill-System unbedingt vereiteln. Was über allem schwebt, aber auch noch nicht beantwortet wird, ist die Frage, warum Parasiten und Symbionten so ähnlich, aber so aufs Blut verfeindet sind. Auch hier hoffe ich auf Unity.

 

Nicht vergessen werden, aber ein wenig kurz kommen diesmal die Nebenhandlungen rund um Quarks und Ros Romanze sowie um die Familie Sisko, die Jakes Verschwinden zu verarbeiten versucht. Derlei Szenen sind zwar für die Handlung beinahe nutzlos, demonstrieren aber einmal mehr die hohe schreiberische Qualität im DS9-Relaunch, die die Figuren jedes Mal mustergültig trifft. Das gelingt auch Simpson, der mit der geringen Seitenzahl ein besonders enges Korsett hat.

 

Summa summarum: Alles in allem trifft das Sprichwort „In der Kürze liegt die Würze“ bestens auf das vorliegende Werk zu. Trotz seines geringen Umfangs gelingt es dem Autor, den DS9-Relaunch dorthin zurückzukatapultieren, wo man ihn sehen möchte: Die alte cardassianische Raumstation wird wieder zum Nexus einer intergalaktischen Verschwörung. Das passt wunderbar zur Serienvorlage. Zwar werden die Hintergründe der Parasiten-Verschwörung lediglich angerissen, aber es ist mehr als offensichtlich, dass Lesser Evil hier nur eine Art Auftakt für den wirklich großen Showdown bildet, mit dem die achte Season zu Ende gehen wird. Insofern bin ich vertröstet. Unterm Strich habe ich selten ein so kompaktes Star Trek-Buch gelesen, das doch dermaßen gut und für eine Gesamtreihe inhaltlich extrem bedeutend war. Ein großartiger DS9-Roman mit einem der besten Cliffhanger, die mir bekannt sind.

 

 

Fazit

 

Nach der jüngsten Schwächephase versöhnt mich Lesser Evil trotz seiner bescheidenen Seitenzahl wieder: Der DS9-Relaunch findet mit ganzer Wucht in die Spur zurück und präsentiert sich von seiner besten Seite. Intrigen, Dramen, Mysterien, Tragiken. Nun dürfen wir auf das große Finale (Unity) gespannt sein.

 

9/10 Punkten.

7-2014