Worlds of DS9 #1: The Lotus Flower

Autorin: Una McCormack
Erscheinungsjahr: 2004
Seitenzahl: 180
Band: DS9 Post-Season-8

Zeitraum: 12/2376

 

Vorbemerkung

 

Mit dem großen Finale Unity hat die achte DS9-Staffel ihr Ende gefunden. Die Parasiten-Bedrohung konnte abgewendet werden, Bajor wurde doch noch Föderationsmitglied, und die politreligiöse Pluralisierung des Planeten wurde nicht der befürchtete Spaltpilz. Abgesehen davon kehrte Benjamin Sisko von den Propheten und sein Sohn Jake aus dem Gamma-Quadranten zurück – mitsamt einer ehemaligen Kai, die viel zur Befriedung Bajors beitragen konnte.

 

Trotzdem blieben Fragen offen, und Pocket Books dachte nicht daran, an dieser Stelle mit dem DS9-Relaunch aufzuhören. Also überlegte man sich ein neues Konzept und schuf im Anschluss an Unity die Worlds of DS9-Reihe. Es handelt sich dabei um sechs kompakte Geschichten, die einen sehr speziellen Fokus haben. Deep Space Nine hat zu Serienzeiten ganz bestimmte Welten schwerpunktmäßig und wiederkehrend thematisiert; bei der Romanfortsetzung kam sogar das eine oder andere Volk neu dazu.

 

Nun stehen eben diese Völker im Mittelpunkt der Geschichte. Die heimatlichen Gefilde der Cardassianer, Andorianer, Trill, Bajoraner, Ferengi und des Dominion werden besucht und die aktuelle Situation dieser Spezies in den Blick genommen. Es geht darum, auf Basis bisheriger Informationen in Serien und Filmen ein möglichst dichtes und schlüssiges Bild ihrer Kulturen zu zeichnen und zugleich ein umwälzendes Szenario in der Gegenwart mitzuerleben, das einschneidend für diese Lebensgemeinschaften, ihre politische Zukunft und ihr Selbstverständnis ist. 

 

Die DS9-Crew begleiten wir nicht mehr ganzheitlich, dürfen aber dafür einigen ausgewählten Helden über die Schulter schauen, die es auf die eine oder andere Welt verschlägt. Das bietet immerhin die große Chance, sich auf bestimmte Figuren und Figurenkonstellationen zu konzentrieren und Neues auszuprobieren.

 

Obwohl im englischen Original immer jeweils zwei Geschichten in einem Band veröffentlicht wurden, wird im Folgenden jede Worlds of DS9-Geschichte einzeln rezensiert und bewertet, da alles andere wenig Sinn machen würde. Beginnen wir nun mit der ersten Erzählung im ersten Band, The Lotus Flower, die sich mit Cardassia beschäftigt.

 

 

Inhalt

 

Die einstige Großmacht des Alpha-Quadranten, die Cardassianische Union, ist tief gefallen. Was vor ihr liegt, ist ein langer und harter Weg des Wiederaufbaus – und vor allem der politischen Neuorientierung, seit sie sich mit dem Anschluss an das Dominion den verheerendsten Fehler ihrer Geschichte leistete. Nun ist es genau ein Jahr her, dass der Krieg endete, doch noch immer sind die Zeugnisse der von den Gründern verhängten Strafaktion überall auf Cardassia anzutreffen. Achthundert Millionen starben damals im Flächenbombardement, doch Jene, die überlebten, müssen sich in einer Welt zurechtfinden, die alle ihre alten Gewissheiten verloren hat.

 

Güter des täglichen Bedarfs sind knapp, die Infrastruktur und der Wohnraum immer noch in weiten Teilen zerstört. Selbst in Lakat City, der Hauptstadt, ist das Elend an jeder Straßenecke zu besichtigen. Die Föderation tut zwar ihr Möglichstes, um die humanitären Missstände zu lindern, doch angesichts der gewaltigen Herausforderungen, eine ganze Welt wieder aufzubauen, erscheint ihr Engagement fast wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

 

Der instabilen und im Volk wenig beliebten Regierung von Alon Gheomor, dem neuen demokratischen Oberhaupt der Cardassianischen Union, werden dabei begrenzte Fördermittel zur Verfügung gestellt, die nach eigenem Ermessen für verschiedene Projekte ausgegeben werden können. Da die bewilligten Kredite längst nicht für alle Initiativen reichen, müssen Ghemors Administration und das neu berufene Parlament genau entscheiden, welche Projekte eine Förderung verdienen.

 

In dieser Situation arbeitet Keiko O'Brien an einem biologischen Projekt, das die Versorgungssituation auf dem Planeten massiv verbessern soll. Obwohl ihr Mann, Chief Miles O’Brien, nicht gerade Feuer und Flamme ist, ausgerechnet auf Cardassia ein neues Leben zu beginnen, sondern lieber auf der Erde geblieben wäre, unterstützt er seine Frau bei ihrem Vorhaben und arbeitet seither eng mit Garak, der nun Berater Ghemors ist, für den Wiederaufbau. Keiko verfolgt ihre Arbeit mit Fleiß und Ehrgeiz, doch trotz ihrer Bemühungen hat das Projekt noch längst keine gesicherte Zukunft. Wissenschaftler arbeiten nämlich auch an einem anderen Versorgungsexperiment, und noch ist nicht klar, welches der beiden Konkurrenzvorhaben den Zuschlag erhält.

 

Anhand dieses an und für sich eher sperrigen Themas erhält der Leser Einsichten in den unbequemen Aufbruch Cardassias in ein demokratisches Zeitalter. Doch wie lange dieses währt, ist höchst fraglich, da die verschiedenen Parteien und Institutionen es häufig gar nicht auf eine konstruktive Zusammenarbeit anlegen, sondern jedes noch so kleine Problem zum Anlass nehmen, den politischen Prozess zu blockieren. Aus diesem Grund ist auch O’Briens Werben für Keikos Projekt vor einem cardassianischen Gremium zunächst alles andere als ein Selbstläufer.

 

Inmitten von Vorträgen und komplizierten politischen Debatten erreicht O‘Brien, Garak und Ghemor unwesentlich später die Nachricht, dass eine minderjährige Cardassianerin die Mitarbeiter des Andak-Projekts, das Keiko leitet, als Geiseln genommen hat. Ihr Erpressungspotenzial liegt in dem beträchtlichen Aufgebot an Sprengstoff, das sie mit sich führt. Drahtzieher dieser Aktion ist, wie sich herausstellt, eine radikale cardassianische Gruppierung namens 'Der Wahre Weg', die den Rückzug aller Nicht-Cardassianer fordert und vor allem der starken Involvierung der Föderation feindselig gegenübersteht.

 

O’Brien wendet sich an Gul Macet, mit dem die Besatzung von DS9 bereits erbauende Erfahrungen gemacht hat, und setzt alles daran, seine Frau und seine Kinder zu retten…

 

 

Kritik

 

Vielleicht so viel vorweg: An und für sich finde ich es eine tolle Idee, im Anschluss an die achte Staffel einige Sondergeschichten aufzulegen, die das Schicksal der DS9-relevanten Welten behandeln. Damit wird nicht nur ein neues Storyformat geschaffen, das für Abwechslung sorgt, sondern aus meiner Sicht gibt es tatsächlich einen großen Bedarf, das Augenmerk auf diese sechs Völker zu legen und das bestehende Wissen zu vertiefen. Denn wenn DS9 sich durch etwas von anderen Star Trek-Serien abgesetzt hat, dann auch durch seine Festlegung auf bestimmte Welten und Kulturen, wohingegen TNG oder Voyager die Alien-of-the-Week-Show verfolgten.

 

Was Cardassias tragisches Schicksal angeht, so habe ich mich schon seit Serienende gefragt, wie es mit dem Wiederaufbau der cardassianischen Zentralwelt weitergeht und welche Herausforderungen es geben wird. Zwar erhielten wir im Laufe der achten Season immer wieder ein paar Andeutungen, etwa aus dem Mund von Dukats Cousin Gul Macet, aber so richtig bekamen wir keine Einblicke in das dortige Geschehen.

 

Es ist ziemlich naheliegend, dass die Cardassianer nach ihrer Stunde Null ein schweres Los gezogen haben. Ihre politischen Führer haben in einer fatalistischen Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn einer militaristischen Allmachtfantasie nachgehangen, die in einem Inferno ihr Ende fand und ausgerechnet Cardassia zu einem der größten Kriegsopfer machte. Nun ist die Union weitgehend besetztes Territorium, vieles ist unwiederbringlich verloren gegangen, nahezu jede Familie hat Verluste zu beklagen, Wasser, Nahrung und medizinische Versorgungsgüter sind knapp, die Zwänge, sich politisch komplett neu zu orientieren, groß. Dass viele Cardassianer von diesen Aussichten nicht gerade begeistert sind, ist klar. Aufgrund der geringen Größe des Buches aus der Feder von Una McCormack erfährt man gleich zu Anfang von dieser brodelnden Unzufriedenheit.

 

Die Schuldigen sind aus Sicht weiter Teile der cardassianischen Bevölkerung schnell gefunden: Außenweltler, die nach Cardassia gekommen sind, um es mit fremden Ideen zu überschwemmen und ihm dadurch das letzte Bisschen Identität und Gewissheit zu rauben, das nach dem Krieg geblieben ist. Dieser Vorwurf trifft die als aufoktroyiert empfundene demokratische Regierung ebenso wie die von Föderationsangehörigen geleiteten Wiederaufbauprojekte oder die politischen Initiativen bajoranischer Geistlicher (namentlich vor allem Vedek Yevir), die die nach wie vor in weiten Teilen des cardassianischen Volkes ungeliebte Anhängerschaft des Oralianischen Wegs (cardassianische Urreligion) ertüchtigt haben. Gerecht ist keiner dieser Vorwürfe, doch viele Cardassianer suchen schlicht ein Ventil für ihre prekäre Situation; es scheint weniger eine fanatische Einstellung zu sein als pure Verzweiflung, obwohl es natürlich nach wie vor auch einige Hardliner gibt.

 

Die geistige Überschrift dieses Buches lautet daher: Cardassias Umgang mit neuen Realitäten und neuen Ideen. Ein Volk, das vor kurzem noch davon träumte, die neuen Herren der Galaxis zu sein, muss sich unter ganz neuen Lebens- und Politikbedingungen wiederfinden und kämpft in einem System, das als fremd erlebt wird, darum, seinen Wesenskern nicht zu verlieren. Diese Idee ist an und für sich so schlicht wie genial. Leider wird sie in dem Buch nicht überzeugend verfolgt, geschweige denn umgesetzt.

 

Dass ein Anschlag in Vorbereitung ist, kann der findige Leser bereits nach den ersten Seiten vermuten. Von daher überrascht der letztendliche Angriff auf das Camp der Biologen nur wenig. Noch bedauerlicher aber als die weitgehende Vorhersehbarkeit der Handlung finde ich drei Punkte:

 

  • Den meisten cardassianischen Figuren, die in der Geschichte auftauchen, wird keinerlei Entwicklungsspielraum zugebilligt. Da gibt es die Cardassianer, die einem neuen demokratischen Aufbruch wohlgesonnen sind, dort die Ewiggestrigen und Antidemokratischen. Es entsteht dadurch häufig ein ziemlich plattes Schwarzweißmuster, und man findet nur wenige Abstufungen. Die Einstellungen der meisten dargebotenen Cardassianer ändern sich nicht im Verlauf der Geschichte oder werden zumindest nicht weiterverfolgt, was viel Potenzial vergibt.

 

  • Noch schlimmer als die relative Statik cardassianischer Charaktere finde ich, dass die terroristische Aktion keine öffentliche Debatte auslöst, in deren Verlauf die Cardassianer sich vergewissern, wer sie heute sind und wo sie in Zukunft hin wollen. Gerade von Gehmor hatte ich mir erhofft, dass er sich im Zuge der Ereignisse doch noch als verheißungsvoller demokratischer Anführer öffentlich ins Szene setzen und Tritt fassen kann. Doch eine solche Szene bleibt aus, und wir bekommen maximal ein paar vage Andeutungen einer Stabilisierung der Regierung infolge des vereitelten Attentats.

 

  • Am traurigsten finde ich, dass in The Lotus Flower durch die relativ stereotype Darstellung vieler Cardassianer kaum eine Möglichkeit besteht, in die Seele dieser gebeutelten Nation zu blicken und so die Beweggründe und Befindlichkeiten besser zu verstehen. Stattdessen wird das Terrorismusproblem durch ‚alte‘ cardassianische Methoden gelöst. Es gibt weder für ein Verständnis der cardassianischen Mentalität noch für die Entfaltung eines Mentalitätswandels genügend Raum, was meine Erwartungen an eine solche Geschichte schwer enttäuscht. Anders als in McCormacks späterem Werk, The Never-ending Sacrifice, oder in der grandiosen Garak-Biografie, A Stitch in Time, legt die Autorin hier nicht die kollektive cardassianische Gedanken- und Gefühlswelt offen, sondern kratzt bestenfalls an ihrer Oberfläche. Am Ende gibt es deshalb nur die 'guten' und die 'bösen' Cardys.

 

Immerhin bietet der Roman eine solide Charakterbasis an. Zwar mag der eine oder andere auf eine Garak-Erzählung gehofft haben und bekam nur eine O’Brien-Geschichte, die natürlich weniger spektakulär ausfiel. Dennoch agieren die eingesetzten Figuren so wie ihre Serienvorbilder. Keiko ist die sorgende Mutter, O'Brien der mürrische Ingenieur und Garak verschlagen wie eh und je. Dies ist auch schön zu lesen, obwohl keiner der Protagonisten nennenswerte persönliche Entwicklungen durchmacht. Der Auftritt von Vedek Yevir ist ebenfalls positiv hervorzuheben, da er sich hier ein wenig von seiner negativen Rolle im bisherigen DS9-Relaunch absetzen kann. Zudem werden ein paar lose Enden von DS9 betreffend die cardassianische Separatistengruppe 'Der Wahre Weg' aufgegriffen und weitergeführt.

 

Auch, was den Schreibstil angeht, muss ich McCormack ein Lob aussprechen. Ohne einen einfachen, flüssigen Stil aufzugeben, gelingt es ihr auf relativ wenig Seiten mit einer malerischen Sprache, der Vorstellung des sich langsam aus den Trümmern erhebenden Cardassia Leben einzuhauchen.

 

 

Fazit

 

The Lotus Flower ist als kurzweilige Geschichte durchaus akzeptabel, und es ist schön, dass Cardassias Lage nach dem Krieg unter die Lupe genommen wird. Gemessen an den Erwartungen, die man an eine Welten- und Kulturstudie hat, lässt die Geschichte aber vieles an Potenzialen brach liegen und bietet nicht den nötigen Tiefgang - was im Rahmen von nicht einmal zweihundert Seiten freilich auch nicht möglich ist.

 

Was hätte man nicht alles über die komplexe cardassianische Seele zutage fördern können! Da kann man sich direkt McCormacks Meisterwerk The Neverending-Sacrifice zur Hand nehmen und das aktuelle Buch vergessen, denn die Autorin kann es wahrhaft besser.

 

5/10 Punkten.

7-2014