The Never-ending Sacrifice

Autorin: Una McCormack
Erscheinungsjahr: 2009
Seitenzahl: 350
Band: DS9/Post-DS9

Zeitraum: 2370-2378

 

Inhalt

 

Es gibt nicht viele Star Trek-Romane, die ihre ganz eigenen Helden haben, noch weniger gilt dies für die Serien-Relaunches. Mit einem umso ungewöhnlicheren inhaltlichen Ansatz haben wir es bei The Never-ending Sacrifice aus der Feder von Una McCormack zu tun. In der Vergangenheit zeichnete sich der DS9-Relaunch dadurch aus, dass er mit vielen indirekten Geschichten aufwarten konnte, also solchen, die zwar nicht die Story nach What You Leave Behind entscheidend vorantrieben, dafür aber für die Vertiefung bestimmter Charaktere und Aspekte der Serie sorgten. Dabei war dies allerdings fast ausschließlich im Zusammenhang mit zentralen Figuren aus der Show selbst geschehen. Nach nur wenigen Novellen in den letzten Jahren, die sich größtenteils mit dem Spiegeluniversum befassten, hat die neunte Staffel von DS9 zweifelsohne gegenüber der dynamischen achten an Fahrt verloren. Mit The Never-ending Sacrifice erscheint seit langer Zeit wieder ein Buch, dessen Konzept aus der Reihe des Gewohnten tanzt.

 

Die Handlung des Werks bezieht sich auf den kompletten Zeitraum von DS9: vom Beginn der Serie in den frühen siebziger Jahren des 24. Jahrhunderts bis zum Ende dieses Jahrzehnts – die Phase, in welcher der DS9-Relaunch angesiedelt ist. Lediglich die übliche DS9-Story bleibt aus, ebenso deren Charaktere, sieht man einmal von den ersten Seiten der Einleitung ab. Stattdessen wird ein sehr spezielles Thema der cardassianischen Besatzung Bajors in den Mittelpunkt gestellt, von dem wir im Laufe der Serie bloß ein paar Versatzstücke und Andeutungen zu sehen bekamen. Als die Union 2369 vom Planeten, von dem auch Kira Nerys stammt, abzieht, hinterlässt sie nicht nur eine riesenhafte Verwüstung, sondern auch eine Reihe cardassianischer Waisen.

 

Die Gründe für die Verwaisung dieser cardassianischen Kinder sind ein Mysterium. Offenbar ist jedoch der damalige Präfekt Gul Dukat teilweise dafür verantwortlich. Ganz bewusst nahm er ausgewählten cardassianischen Familien ihre Kinder weg, um sie unter das bajoranische Volk zu bringen und dort aufwachsen zu lassen. Dukat, der sich selbst, wie wir aus Folgen wie Waltz wissen, allzu gerne als Übervater Bajors sehen wollte, verfolgte damit vielleicht das Ziel, eine Schnittstelle zwischen den beiden Völkern zu erzeugen, aber auch zur ‚Cardassianifizierung' der bajoranischen Heimat beizutragen. Allem voran aber versprach er sich politische Vorteile auf Cardassia Prime von diesen Aktionen. Denn dort gilt es als Schande, wenn ein Vater seine Familie nicht schützen kann. Indem er seine politischen Rivalen in eine solche Situation brachte, waren sie gesellschaftlich vorbelastet.

 

Die Basis für den Roman bildet die Episode zu Beginn der zweiten DS9-Staffel, Cardassians. Darin wird die Geschichte des cardassianischen Politikers Pa'Dar erzählt, der damals auf Bajor stationiert war. Im Rahmen von Dukats Konspiration wurde sein Kind Rugal im zarten Alter von vier Jahren entführt und in ein Waisenhaus gebracht. Der sechzehnjährige Rugal ist nun die Hauptfigur von The Never-ending Sacrifice. Es wird geschildert, wie er sehr früh von einem einfachen, aber hingebungsvollen bajoranischen Ehepaar adoptiert worden ist. Jenseits seines Erscheinungsbildes, das ihn als Cardassianer ausweist, versteht sich Rugal sehr bald als Bajoraner, ist er doch unter ihnen aufgewachsen, in ihre Tempel gegangen und hat ihre Weltanschauung verinnerlicht.

 

Weil Rugals Eltern auf Bajor – nicht zuletzt durch die Adoption – unmittelbar nach Ende der Besatzung mit Anfeindungen und anderen großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, kommen sie auf die Idee, an Bord von Deep Space Nine einen Neuanfang zu versuchen. Die Station wurde vor einem Jahr von der Föderation übernommen und zieht seitdem die Hoffnungen vieler Bajoraner an, die aus verschiedenen Gründen daran denken, ihre Welt für eine Weile zu verlassen.

 

Dummerweise wird der erste Stoßbesuch auf der Raumstation Rugal und seinem Vater zum Verhängnis. Ein alter cardassianischer Mann taucht auf und gibt vor, sein leiblicher Vater zu sein. Er wendet sich an Commander Sisko, der daraufhin eine Untersuchung veranlasst. Tatsächlich, stellt sich heraus, handelt es sich bei dem Mann um Kotan Pa'Dar - seinen wirklichen Vater. Als der die Forderung erhebt, den noch minderjährigen Rugal nach Cardassia zurückzuholen, kann ihm Sisko das nicht verwehren. Weil sich das Klima auf Bajor gegen Aussätzige derzeit merklich verschlechtert, aber auch, weil er weiß, dass er sich die Cardassianer nicht zum Feind machen darf und aufgrund der Tatsache, dass Rugals Adoption niemals rechtskräftig war, lässt er Kotan gegen den vehementen Protest des Jungen und seiner Zieheltern gewähren: Er darf ihn nach Cardassia mitnehmen.

 

Soweit die Geschichte, wie sie Cardassians erzählte und vom vorliegenden Roman noch einmal aufgegriffen wird. Was aus Rugal wurde, haben wir nie erfahren. The Never-ending Sacrifice füllt diese Lücke und erzählt seine weitere Lebensgeschichte. Mit dem ungewollten Eintreffen auf Cardassia ändert sich Rugals Leben grundlegend. Zwar wird er jetzt nicht mehr ob seines Äußeren mit Irritation bis blanker Abscheu betrachtet, aber das ist auch schon alles, was sich für den jungen Mann zum Positiven wandelt. Aufgewachsen unter Bajoranern, verinnerlichte er sämtliche Klischees und die ganze Palette des Hasses in Bezug auf Cardassianer sowie die bajoranische Perspektive auf eine vierzig Jahre währende, blutige Besatzungs- und Ausbeutungszeit.

 

Überdies scheint Cardassia Prime das glatte Gegenteil von seiner früheren Heimat zu sein. Hier hat er es zu tun mit einer durch und durch urbanen, hoch entwickelten Gesellschaft, der jedoch Werte der Liebenswürdigkeit und des Vertrauens in weiten Teilen abhanden gekommen sind. Stattdessen regieren Technokratie und Intrigen, die das Volk innerlich entzweien. Der Obsidianische Orden ist eine allgegenwärtige abstrakte Gefahr, lässt Leute verschwinden und observiert jeden Winkel bei Tag und Nacht. Rugal lebt zwar im angesehensten Viertel der cardassianischen Hauptstadt, fühlt sich jedoch schnell wie ein Vogel im Goldkäfig.

 

Als mit dem Vergehen von Wochen und Monaten zusehends ersichtlich wird, dass er nicht nach Bajor wird zurückkehren können, beginnt er sich dieser Welt langsam zu öffnen, die im Grunde genommen urfremd für ihn ist. Dabei entdeckt er eine Wahrheit, die die Autorin im Laufe ihres Werks folgendermaßen auszudrücken pflegt: The heart of an empire is often beautiful to behold – and cruel to contemplate (Seite 38).

 

 

Kritik

 

Nach A Stitch in Time, dem überhaupt ersten Buch, das als Lebensgeschichte von Elim Garak lose mit dem DS9-Relaunch zu tun hatte, mehr eine Anspielung darauf war, ist The Never-ending Sacrifice die zweite Studie über die cardassianische Heimatwelt. Dabei verdient der Titel besonderes Augenmerk. 'The Never-ending Sacrifice' ist wiederum der Name eines cardassianischen Romans, den Garak einst in A Stitch in Time ansprach. Der im Exil lebende Schneider von DS9 blickte auf diesen bedeutungsschweren Text im Zusammenhang mit seinen schwierigen Erinnerungen an seinen Vater, Enabran Tain, und das Leben auf Cardassia.

 

Aus vielen Erzählungen während der Serie wissen wir, dass die cardassianische Kultur voll ist von tief greifenden Widersprüchen. Sie betreffen sowohl das Familienleben als auch die Öffentlichkeit und führen dazu, dass ein Cardassianer im Laufe seines Lebens viele Opfer und Entbehrungen bringen muss, die bis ans Ende seiner Tage an ihm nagen. Der von Garak zitierte Roman scheint so eine Art Buddenbrooks der Cardassianer zu sein: Am Beispiel von sieben Generationen einer einflussreichen Familie werden die Aufs und Abs, die Würde und die Tragik eines cardassianischen Lebens nachvollzogen (Seite 77).

 

Was sagt das im Zusammenhang mit Rugals Schicksal aus? 'The Never-ending Sacrifice', dieses niemals enden wollende Opfer, das man als Cardassianer zu zahlen bereit sein muss, ist symbolisch zu verstehen als Schlüssel zum Verständnis, das Rugal nach und nach für die Cardassianer entwickeln wird. Mit der Zeit wird er es aufgeben, in Schwarz-Weiß-Bezügen zu denken und erkennen, dass weder alle Cardassianer per se schlecht noch ohne eigene Sorgen sind. Das einfache, der Natur angeschmiegte Leben auf Bajor wird auf Cardassia Prime ersetzt durch Paranoia, einen extremen Verdrängungsehrgeiz, die Propaganda eines Überwachungsstaates und einen unnachgiebigen Stolz, an dem ein aufwachsendes cardassianisches Kind nur scheitern kann.

 

Aus der ungewöhnlichen Perspektive Rugals, der also ein bajoranischer Cardassianer ist, schöpft die Geschichte eine noch größere Authentizität als das 2001 erschienene A Stitch in Time. Zwar scheint sich Rugal ein wenig zu schnell von seiner Vergangenheit auf Bajor zu verabschieden, aber das stört den Verlauf der Geschichte kein Bisschen. Rugal scheint ein starker Charakter zu sein, der Umstellungen und Neuanfänge im Leben offenbar schon aus jungen Jahren gewohnt ist. Zudem scheint er sich trotz der Liebe zu seinen Adoptiveltern irgendwie doch immer als Kind zweier Welten gefühlt zu haben.

 

Una McCormack greift sich einen hoch interessanten Aufhänger und erzählt eine eigenständige Geschichte, ohne die Erdung zu bestimmten Nahtstellen der DS9-Saga zu verlieren, und sie tut das mit solch schöpferischer Kraft und einer so wunderbaren Sprache, dass es nur Verblüffen hervorrufen kann. Ich frage mich, ob die Ich-Perspektive in diesem Fall nich noch ein wenig eindringlicher für diese sehr persönliche Erzählung gewesen wäre, aber auch aus Sicht der dritten Person mit einem dem Helden angelehnten allwissenden Erzähler funktioniert es mehr als gut. Die sehr glaubwürdig gestalteten Charaktere, bei deren Zahl man nie die Übersicht verliert, tragen ihren Teil dazu bei. Man denke an Kotal, an dessen Mutter Geleth oder an Rugals spätere Freundin Penelya. Alle vertreten sie eigenständige, atmende Standpunkte und bleiben am Ende doch Cardassianer. Durch ihre gekonnten Beschreibungen fängt McCormack sehr fantasiebeflügelnd die unterschiedlichen Reize von Bajor einerseits und Cardassia andererseits ein. Zwei Welten, die ohne Zweifel nicht sehr viel verbindet.

 

Sie badet nicht in Floskeln und Ritualen oder historischen Belanglosigkeiten, wie es einstige Bücher über die Romulaner oder die Vulkanier (The Romulan Way, Spocks World) partiell taten, sondern taucht tief ab in die cardassianische Seele, einer im Grunde genommen sehr traurigen Seele. Dieses Seelenleben wird fühlbar in privaten Gesprächen Rugals mit Kotan, einem Mann des Detapa-Rats, der stets bedacht ist, nicht anzuecken und insgeheim von einem anderen Cardassia träumt. Auch zeigt es sich im Verhalten von Kotans Mutter, die als Frau der alten Schule zwar zunächst antipathisch wirkt, jedoch auch viel Bitterkeit, Einsamkeit in sich trägt. Man kann nur ahnen, was sie in ihrem jüngeren Leben alles durchgemacht haben muss. Sie ist nicht von allein die Person geworden, die sie heute ist.

 

Endlich erfährt man, wie es Ende 2371 zum Staatsstreich auf Cardassia kommen konnte, in dem der Detapa-Rat alle legislativen und exekutiven Befugnissen für sich sicherte, wo er bis dato immer nur eine Debattiereinrichtung gewesen war. Gerade diese Stelle des Buches führt dem Leser anschaulich das Kräftedreieck vor Augen: Zivilinstitutionen auf der einen, Zentralkommando auf der anderen Seite, dazwischen der Obsidianische Orden. Erst, als der Geheimdienst im Rahmen seiner gemeinsamen Aktion mit dem Tal'Shiar im Gamma-Quadranten in den Ruin fällt, kippen die Machtverhältnisse. Es gelingt Kotal - einem der maßgeblichen zivilen Putschisten -, die Reste des Ordens auf die Seite des Detapa-Rats zu ziehen, und das Militär muss nachgeben. Die Schilderung des Coups ist sicher einer der Höhepunkte des Romans.

 

Viel kündet in dem Werk von der Überkommenheit der cardassianischen Kultur. Und ist es nicht das, was Thomas Manns Buddenbrooks ebenfalls ins Zentrum rückt? In der TV-Serie gingen Vorurteile über die "faschistischen Cardassianer" trotz mancher Erläuterungen immer recht leicht von der Hand. Hat man diesen Roman gelesen, wird es alles etwas komplizierter, weil im Laufe der Story fühlbar wird, welchen Zwängen und welcher Selbstverleumdung auch und gerade eine Gesellschaft unterliegen kann, die das Atom gespalten und die Sterne erreicht hat. Rugal wird es einmal so ausdrücken: On Cardassia [...] everybody just keeps on playing the game (Seite 95). Diesem Spiel liegt ein todernster Mechanismus zugrunde.

 

Jenseits der herrlichen Sprache Una McCormacks und der grandiosen, komplexen Geschichte (die nur jemand mit dem nötigen Hintergrundwissen aus der Serie vollends verstehen kann), besteht ein weiterer Reiz von The Never-ending Sacrifice darin, dass es sich der globalen DS9-Geschichte aus cardassianischer Sicht anschmiegt. Rugal ist nämlich nicht der einzige, der sich verändert, als er Cardassia kennen zu lernen beginnt und sich sein eigenes Urteil bildet.

 

Mit den Jahren seines Erwachsenwerdens macht die ganze Union gravierende Umwälzungen mit. 2372 kommt seit einer langen Zeit eine zivile Regierung an die Macht – eine Entwicklung, die keine anderthalb Jahre später wieder konterkariert wird, als das Zentralkommando erneut die Herrschaft an sich reißt und ein Bündnis mit dem Dominion eingeht. Nach diesen Zeitenwenden ändert sich Rugals Leben jedes Mal aufs Neue, und als Cardassia am Morgen nach dem Dominion-Krieg in Trümmern liegt, scheint vieles verloren - aber auch eine Chance gegeben, ein neues, lebenswerteres Cardassia zu errichten, das die Erfahrungen zweier Welten verinnerlicht. So gesehen ist selbst hier der Geist von Star Trek quicklebendig, der da heißt: Nur die Vielfalt fördert Horizonte und hat Zukunft. Und im Speziellen wird auch dem Spirit of DS9 Genüge getan, das wie keine andere Show Zwischenweltler und Grenzgänger in ihren Reihen hat.

 

 

Fazit

 

Kann es ein Zufall sein? Während die Männerzunft der Riege bei TNG- und ENT-Relaunch oder Titan Altbackenes brühwarm wiederaufkocht, trumpft nach dem grandiosen VOY-Roman Full Circle von Kirsten Beyer erneut ein weiblicher Autor.

 

Wir haben es mit einem Juwel unter den Star Trek-Geschichten zu tun. Die Schilderung der Adoption eines Cardassianers durch Bajoraner zersprengt die üblichen Klischees und zeigt den Reichtum an Möglichkeiten, die bei Star Trek noch längst nicht ausgeschöpft zu sein scheinen. Es geht um Themen wie Entwurzelung, Schuld und Wahrheit. The Never-ending Safrifice ist jedoch vor allem eine Ode an individuelle Erzählkunst, denn kaum ein Buch lebt so sehr von seiner Sprache und kommt über so lange Strecken ohne Dialogszenen aus, ohne langweilig zu werden.

 

Es scheint für einen Star Trek-Roman kein Muss mehr zu sein, aus der Serie bekannte Stammcharaktere oder zumindest prominente Gastrollen zu importieren, um etwas wirklich Großes abzuliefern. The Never-ending Sacrifice ist eine Operation am offenen Herzen Cardassias. Und sie gelingt meisterhaft. Es zeigt die Abgründe einer Welt, die verlernt hat, der Wahrheit nachzugehen. Der Roman besitzt episches Format, das durch die bestechende Wortkunst McCormacks zum denkbar Besten abgerundet wird.

 

Der einzige Wehrmutstropfen hat eigentlich nichts mit dem Buch zu tun: Ein neues Leitthema für den DS9-Relaunch ist nach einschläfernden Paralleluniversumsabenteuern leider nach wie vor nicht in Sicht. The Never-ending Sacrifice ist ein leicht nostalgischer Abstecher in den Stoff, der DS9 groß gemacht hat.

 

10/10 Punkten.

9-2009