Collateral Damage

Autor: David Mack
Erscheinungsjahr: 2019
Seitenzahl: 380
Band: 27

Zeitraum: 1/2387

 

Inhalt

 

Im letzten Roman Available Light konnten wir verfolgen, wie höherrangige Offiziere der Sternenflotte für ihre rechtlosen Taten und Kooperationen mit Sektion 31 zur Rechenschaft gezogen wurden, und die juristischen Mühlen haben seitdem weiter gemahlen. Es hatte sich bereits angekündigt, dass Jean-Luc Picard in ein für ihn unangenehmes juristisches Verfahren hineinrutschen würde, welches seine persönlichen Kontakte, Verstrickungen und dergleichen mehr in eine Operation von Sektion 31 untersuchen soll. Nun ist es soweit: Picard, so dekoriert und anerkannt er auch sein mag, muss sich einem handfesten Sternenflotten-Untersuchungsausschuss stellen, der die Frage nach seiner (möglichen) Beteiligung an der Absetzung und späteren Ermordung des ehemaligen Föderationspräsidenten Min Zife beantworten soll.

 

Da Picard zwar in die Angelegenheit der letztlich zur Strecke gebrachten Geheimabteilung teils involviert war, jedoch nicht in Zifes Ermordung, könnte er sich einigermaßen entspannt zurücklehnen. Doch Phillipa Louvouis, eine alte Bekannte, wird als Anklägerin das Verfahren gegen ihn leiten – und diese Frau hat Haare auf den Zähnen. Sie wirft ihm in scharfer Weise vor, vom Mord am VFP-Oberhaupt gewusst zu haben, und angesichts wenig angenehmer Erfahrungen mit ihr in der Vergangenheit verspricht die Anhörung, unerwartet heiß zu werden. Erinnern wir uns: Schon vor vielen, vielen Jahren während des Prozesses um den Verlust der Stargazer brachte Louvouis Picard aufgrund ihres beruflichen Ehrgeizes fast in die Bredouille, so wurde es jedenfalls in Wem gehört Data? angedeutet. Für den Captain der Enterprise wird das Gerichtsverfahren daher in jedem Fall weit unangenehmer als es sein müsste.

 

Während Picard abwesend ist, übernimmt Worf den Befehl über die Enterprise. Schon bald werden er und die Crew in den Racheakt überlebender Nausicaaner verwickelt. Die Situation wird nicht gerade dadurch verbessert, dass insgeheim der Geheimdienst der Sternenflotte seine Finger in der Sache hat und die Lage durch seine Aktionen weiter verkompliziert…

 

 

Kritik

 

David Mack findet sich mit einem Roman, der im Hauptplot ein Gerichtsverfahren behandelt, in einer für ihn eher ungewohnten Rolle wieder. Denn normalerweise kennen wir den auf breiter Front etablierten ST-Autor für seine ausgeklügelten und schillernden Thriller-, Action- und Intrigenstorys. Ein gerichtliches Untersuchungsverfahren ähnlich spannend zu gestalten, stellt da durchaus eine Herausforderung dar. Doch man staunt, wie klug und zuweilen spritzig Mack die Schilderung des Prozesses aufgebaut. Die Verhandlung liest sich flüssig und abwechslungsreich. Gut, man mag einwenden, dass von vorneherein klar ist, wie die Verhandlung ausgehen wird (auch wenn Picard in gewisser Weise am Ende doch bestraft wird). Trotzdem kommt keine wirkliche Langweile auf. In gewisser Weise stellt sich Picard einer neuen Schlacht, doch es ist eine, bei der die Waffen aus Argumenten und den Utensilien juristischer Verfahren bestehen.

 

Besondere Wucht weiß die durchaus für ihn brenzlig verlaufende Anhörung aus der Portraitierung der Anklägerin Phillipa Louvouis zu ziehen. Sie wirkt förmlich besessen von der Idee, Picard der Mithilfe an der Ermordung von Min Zife zu überführen. Was treibt sie so sehr? Ist es etwas Persönliches zwischen beiden, will sie ihn einfach ruinieren, oder verrennt sich Louvouis (wieder einmal, müsste man sagen) in ihrem Ehrgeiz als Juristin, auf der Suche nach dem ganz großen Kick, indem sie den Captain des Flaggschiffes zu Fall bringen will? Einen Roman vorher hatte sie noch gesagt, das sie eigentlich nicht an Picards Schuld glaubt. Was hat es damit auf sich?

 

Trotz ihres bissigen, spitzfindigen und aggressiven Auftretens während der Verhandlung überzieht Mack nicht gänzlich: Louvouis wirkt nicht wie eine bösartige Person, die bereit ist, alle Grenzen zu sprengen und möglicherweise selbst amoralisch zu handeln. Sie hält sich immer noch an die Regeln, die juristisch vorgegeben werden, auch wenn sie die entsprechenden Regeln stellenweise weit auslegt, und ein wenig im Unklaren über ihre Motive zu sein, erhöht die Spannung.

 

Weniger überzeugend wirkte auf mich die auffallend passive Art, die Picard an den Tag legt. Gut, er weiß, dass er sich nichts vorzuwerfen hat, und er verlässt sich auf seinen kompetenten Anwalt, und doch erscheint er eigenartig zurückgenommen. Dieses Verhalten, finde ich jedenfalls, ist eher verdächtig, und es beraubt Picard, der doch gerade in solchen Situationen immer gut in die Offensive gehen konnte (z.B. Wem gehört Data?, Das Standgericht), gewisser Möglichkeiten (auch in dramaturgischer Hinsicht). Auch manche der Personen, die zugunsten Picards ausgesagt haben, empfand ich als etwas zwiespältig. Na ja, dies fällt aber nicht so stark ins Gewicht.

 

Der andere Plot des Buches dreht sich um Commander Worfs Jagd nach einer marodierenden Nausikaaner-Gruppe. An und für sich keine überragende Teilstory, wäre da nicht die Frage, was besagte Gruppe antreibt. Die armen Tröpfe fühlen sich von der Galaxis und der Föderation links liegen gelassen, nachdem die Megainvasion der Borg ihre Heimatwelt in Schutt und Asche zurückgelassen hat. Dass sie dafür nun auf einer Art Vergeltungskurs sind, mag etwas platt anmuten, trotzdem gibt es immerhin ein Motiv, das für ihr Verhalten geliefert wird, und das ist eine tiefe Form der Verletzung.

 

Was zunächst wie ein typischer ‚Die Föderation ist an allem Schuld‘-Racheplan entpuppt, erhält im weiteren Verlauf Tiefe und wird – sehr positiv – in guter Trek-Tradition aufgelöst. Erst als die Föderation realisiert, dass man die Nausikaaner im Stich gelassen hat, findet ein Umdenken statt. Dass man gemeinsam nach vorne schaut und nach Eintracht strebt, ist eine zeitlose Botschaft. Zugegeben, es ist am Ende ein wenig zu viel Friede, Freude, Eierkuchen und das bewusst brutale und letale Vorgehen dieser Marodeure wird ignoriert, als hätte es nie stattgefunden. Trotzdem bleibe ich dabei: Es ist prinzipiell keine schlechte Auflösung.

 

Natürlich sind wir gespannt, wie Worf, wo er nun im Chefsessel sitzt, sich verhält. Der schönste Teil dieses Plots ist daher, permanent Bestätigungen zu erhalten, wie sehr Worf über die Zeit gereift ist und wie eigenständig er denkt und handelt. Besonnenheit und Klugheit prägen jetzt sein Auftreten, obwohl er in der Sache auch hart agieren kann. Der Konflikt wird dank Worfs Vorgehen unblutig beendet, als der klingonische Interimscaptain zum Anführer der vermeintlichen Schurken durchdringen kann.

 

Den guten, alten Charmeur Okona (TNG-Episode Der unmögliche Okona) habe ich nun wirklich nicht vermisst (seine Perspektive wird im Buch übrigens in der Ich-Form erzählt). Aber dass der notorische Schürzenjäger noch ein Agent des Sternenflotten-Geheimdienstes sein soll, habe ich so gar nicht gekauft. Aneta Šmrhová, an die sich Okona heranschmeißt, kommt da etwas besser weg. Die Sicherheitschefin mag zuweilen einen etwas barschen Tonfall haben, aber ihre Charakterisierung nimmt endlich mal ein Stück Fahrt auf, auch wenn ich ihr Bedürfnis, mehr Anerkennung erhalten zu wollen, nicht so richtig nachvollziehen konnte. Klang für mich eher nach einem Compliment Fishing-Typen.

 

Eine weitere Überraschung, allerdings von der positiven Sorte, ist das Wiedersehen mit Naomi Wildman, die man aus Voyager kennt. Sie wird von Mack liebevoll charakterisiert, nämlich als eine Person, die sich von ihrem manchmal moralisch düsteren Job nicht korrumpieren lässt, sondern ihren Frohsinn und Sinn für Gerechtigkeit beibehält.

 

Was an diesem Plot wirklich misslungen ist, bezieht sich auf die krampfige Involvierung des Geheimdienstes. Okona zu einem Agenten zu machen, ist, wie bereits gesagt, höchst merkwürdig, aber unabhängig davon wäre diese ganze Geheimnistuerei nicht nötig gewesen. Und mir passt es ehrlich gesagt nicht, dass Picard wegen S31 eine Verhandlung bestreiten muss, wo der Sternenflotten-Geheimdienst im anderen Handlungsbogen seinerseits keine gerade gute Figur macht. Hört das denn nie auf mit diesen überstrapazierten Geheimdienst-Geschichten?

 

Dafür dass dies das letzte TNG-Buch vor Coda war – jene Trilogie, die die Relaunch-Romane beenden wird –, war es mir trotz einer Reihe von positiven Aspekten ein wenig zu sehr ein Adventure of the week. Zeit, die großen Entwicklungslinien von zwei Dekaden Litverse oder wenigstens den TNG-Relaunch zu betrachten, die Dinge einzuordnen und etwas Abschiedsstimmung aufkommen zu lassen, nimmt sich Collateral Damage zu wenig. Aber gut, wenn man nur Rückschau betreiben würde, würde dies bereits einen ganzen Roman füllen.

 

Was mich auf jeden Fall seit geraumer Zeit und auch in diesem Buch wieder gestört hat, war, wie sang- und klanglos der Typhon-Pakt - einst als große Bedrohung gestartet - wieder zu den Akten gelegt wurde. Plötzlich sind all diese antagonistischen Mächte scheinbar handzahm geworden und keine akute Herausforderung mehr für die Föderation. Es ist schade, dass dieser rote Faden vor innenpolitischen Themen (siehe The Fall, Sektion 31-Wirren) verloren gegangen ist. Dies wäre dann aber ein Kritikpunkt, den ich am Kurs der späteren Relaunch-Bücher insgesamt habe und nichts, was ich speziell Collateral Damage vorwerfen kann.

 

 

Fazit

 

Der Roman mag nicht David Macks größter Wurf sein, doch er ist in sich schlüssig und klar, mag er auch keine großen Überraschungen und Wendungen aus dem Hut zaubern. Picards Gerichtsverhandlung ist interessant beschrieben, und an Bord der Enterprise darf Worf zeigen, dass er vom Besten gelernt hat. Das Trek-typische Ende hat mich durchaus überzeugt..

 

6/10 Punkten.

10-2022