Moments Asunder

Autor: Dayton Ward
Erscheinungsjahr: 2021
Seitenzahl: 360
Band: TNG 28, Titan 14, DS9 Post-Season-9/Post-Destiny 20

Zeitraum: 2387

 

Vorbemerkung

 

Spätestens mit dem Erscheinen von Star Trek: Picard im Jahr 2020 wird nun im TV die Geschichte des 24. Jahrhunderts ganz offiziell weiter gesponnen, was bislang den Serien-Relaunches zu TNG, DS9, VOY etc. vorbehalten war. Bedauerlicherweise geschieht die Forterzählung unter der Ägide von Alex Kurtzman & Co. im eklatanten Widerspruch zu den so weit gediehenen und teilweise sehr ambitionierten Serien-Relaunches.

 

Im Herbst 2021 ist mit der Trilogie Star Trek: Coda ein Abschluss der eigenständigen Kontinuität des Romanuniversums im 24. Jahrhundert erschienen. Sie stammt aus der Feder des Autorentrios Dayton Ward, James Swallow, David Mack, die selbst lange Jahre zahlreiche Star Trek-Romane zum eigenständigen Literaturkosmos beigesteuert haben. In Interviews haben die Autoren gesagt, dass es ihnen wichtig gewesen sei, eine Art von natürlichem und begründetem Schlusspunkt für mehr als zwei Dekaden Star Trek-Relaunch zu setzen und zugleich eine Überleitung in die Welt der neuen ST-Streaming-Serien zu schaffen. Wir haben es hier also mit dem definitiven Ende des autarken, abgenabelten Romanuniversums zu tun.

 

 

Inhalt

 

Ein erheblich älterer Wesley Crusher, seines Zeichens Reisender, ist halb auf der Suche, halb auf der Flucht. Während seiner Reisen durch Raum und Zeit hat er über Jahre und Jahrzehnte hinweg starke Hinweise darauf gefunden, dass es eine neue, große Bedrohung gibt. Wesenheiten, die in Gegenwart und Zukunft aus Anomalien auftauchen, welche von ihnen instrumentalisiert werden, und die Struktur des Multiversums selbst bedrohen, scheinen eine Art von Invasion begonnen zu haben. Dabei scheinen sie sich auf verschiedenste Zeitlinien auszubreiten und von der Energie der in ihnen existierenden Objekte und Lebensformen zu ernähren.

 

Doch wer die fremden, übermächtigen Angreifer sind, bleibt Wesley trotz seiner fieberhaften Versuche, Antworten zu finden, lange Zeit verborgen. Einzig die zerstörerische Gefahr, deren Zeuge er wird, türmt sich immer weiter auf. Nachdem er der Vernichtung des legendären Hüters der Ewigkeit beigewohnt hat und sich auch im 29. bzw. 13. Jahrhundert an Bord des Zeitschiffs Relativity davon überzeugen konnte, dass die namenlosen Invasoren in die physische Realität übergesetzt haben, beginnt Wesley – zusehends mit dem Rücken zur Wand – zu begreifen, dass er die Unterstützung seiner alten Freunde von der Enterprise benötigen wird, um die größtmögliche Katastrophe zu verhindern.

 

Obgleich Wesley es zu Jean-Luc Picard und seiner Mutter Beverly Crusher schafft, erliegt er schweren, temporalen Reisen geschuldeten inneren Verwundungen. Doch selbst sein Tod hält ihn nicht auf: Mithilfe eines unermesslich fortschrittlichen Geräts gelingt es ihm noch, einen jüngeren Wesley auf die Enterprise zu holen, der die Aufgabe seines Alter Egos übernimmt (dank des erwähnten Geräts, das voll mit Daten ist und als Omnichron bezeichnet wird).

 

Als Geordi LaForge die gesammelte Telemetrie aus den Kontakten mit den unbekannten Angreifern untersucht, fallen ihm eigenartige triologische Energiespuren auf…was den Schluss nahe legt, dass sie es mit den Devidianern (TNG-Doppelfolge Gefahr aus dem 19. Jahrhundert) zu tun haben. Offenbar ist diese transphasische Spezies, die der Menschheit bereits das Leben schwer zu machen suchte, zu ungeheurer Macht gelangt. Zugleich mehren sich die Anzeichen, dass die Fremden immer stärker und gewaltsamer in unterschiedliche Zeitlinien eindringen und diese zum Kollabieren bringen. Dabei sind bestimmte Dimensionen der Raumzeit stärker betroffen als andere.

 

Picard setzt sich mit Admiral William Riker sowie dem Sternenflotten-Oberkommando in Verbindung und holt sich die Genehmigung, bei Devidia II Nachforschungen anzustellen - ein System, in dem er sich seit fast zwei Dekaden nicht mehr aufgehalten hat. Wie sich bald darauf herausstellt, waren die Verdachtsmomente richtig. Irgendetwas ist mit den Devidianer geschehen; sie konnten ihre Fähigkeiten zu temporalen Interventionen wieder aufbauen und ganz neue, ungeahnte Fertigkeiten entwickeln. Von einem Punkt in einer fernen, leblosen Zukunft - ein Punkt seltsam außerhalb des Zeitstroms - operieren sie und schwingen sich auf, eine Quantenrealität nach der nächsten 'aufzufressen'. Dazu haben sie einen gewaltigen Mechanismus gebaut, der gigantische, ja schier endlose Mengen neuraler Energie absorbieren kann.

 

Diesmal scheint tatsächlich die Existenz des ganzen Multiversums auf dem Spiel zu stehen, sollte es Picard, Wesley und Co. nicht gelingen, das diabolische Werk der entfesselten Devidianer zu stoppen…

 

 

Kritik

 

Es liegt der Coda-Reihe eine gewisse Reflexion zugrunde, dass dereinst TNGs furioses Finale Gestern, Heute, Morgen eine temporale Irrungs- und Wirrungsgeschichte darstellte. In gewisser Weise knüpft die Finaltrilogie nun daran an, auch wenn die Ausgangsbedingungen selbstverständlich ganz andere sind.

 

Coda-Buch Nummer eins, Moments Asunder, ist wirklich noch eine Menge Exposition. Die Geschichte nimmt sich viel Zeit, die rätselhafte und enorm mächtige Bedrohung aufzubauen. So dreht sich die erste Hälfte des Buches über weite Teile um den älteren Wesley, der den temporalen Angreifern habhaft zu werden versucht, und deren Invasion in anderen Zeitperioden bzw. Zeitlinien untersucht (dieses Springen erinnert ein Stück weit an die TNG-Episode Parallelen oder auch Wards späteren Roman Headlong Flight). Erst in der zweiten Hälfte kommt dann die Enterprise-Crew stärker ins Spiel, als diese - mithilfe von Wesley - nämlich allmählich erfährt, was sich hier im Hintergrund für eine urgewaltige Gefahr auftürmt. Infolgedessen ereignet sich auch eine erste schwere Konfrontation, die offenbart, worauf die gierigen und chauvinistischen Devidianer aus sind.

 

Dabei ist jenseits der ersten Enterprise-Reihe durchaus auch Platz für im Laufe der zurückliegenden Romane gut gepflegte Nebencharaktere wie etwa den Vulkanier Taurik, der aufgrund widriger Umstände bei einer der letzten Missionen eine Menge Wissen über die Zukunft anhäufte (siehe Roman Armageddon's Arrow), oder seine für den TNG-Relaunch zusehends wichtiger gewordene Freundin T'Ryssa Chen.

 

Neben den Recken aus TNG, die das Buch dominieren, spielt auch die U.S.S. Aventine unter Captain Ezri Dax bereits eine Rolle. Dax und ihre Leute werden Zeuge, wie eine weitere temporale Anomalie unter der Intervention der Devidianer verrückt zu spielen beginnt; die Aventine wird angegriffen und kann ein fremdartiges Subraumsignal der phasenverschobenen Angreifer ins devidianische Heimatsystem aufschnappen. Auch auf der Titan spielen einige wenige Szenen, wobei diese sich auf Riker und Troi beschränken. Obgleich der Voyager-Relaunch in der Coda-Reihe keine Rolle mehr spielt (was mit dem zeitlichen Abstand zu tun hat; der VOY-Relaunch endete bereits im Winter 2382), war es dennoch nett, ein paar im Alpha-Quadranten verbliebene vertraute Gesichter (Paris, Torres) bei der Klärung des Devidia-Rätsels einzubeziehen und zurückliegende Erfahrungen mit den Kremin einfließen zu lassen.

 

Verwirrend finde ich den Umgang mit Wesley, der zum einen für meinen Geschmack zu viel Platz einnimmt. Zum anderen: Seine Reisenden-Fähigkeiten sind mittlerweile nachgerade unerklärlich und erinnern mehr an einen Fantasy-Roman. Noch den Hut setzt die Story aber allem auf, als 'Mary Sue'-Wesley es zu Picard und Beverly schafft, dort stirbt…und kurz darauf eine andere Version seines Selbst mithilfe eines futuristischen Wundergeräts hergezaubert wird, die anstatt des älteren Wesley seine Aufgaben übernimmt. Ja, wir erfahren im Laufe des Buches sogar, dass Wesley bereits ein Dutzend mal gestorben sein muss, auf dass irgendeine alternative Variante von ihm aus einer anderen Zeitlinie seine Tätigkeit fortsetzte. Dies alles verstehe ich nicht wirklich, und für meinen Geschmack hat sich die Darstellung der Reisenden inzwischen ein wenig zu stark gesteigert, wenn man bedenkt, wie es noch in der frühen TNG-Episode dargestellt worden war.

 

Vor allem fragt man sich, wieso Super-Wesley Picards Hilfe braucht, wenn er derartige Fertigkeiten besitzt (und wo ist eigentlich seine eigene Fraktion oder zumindest Teile davon, warum agieren sie nicht zumindest teilweise im Verbund? Ich hatte es in Cold Equations eigentlich so verstanden, dass nicht restlos alle Reisenden die Milchstraße verlassen haben). Zur in meinen Augen deutlich übertriebenen Inszenierung von Wesley gesellt sich die merkwürdige Verbindung zu seinem Halbbruder René hinzu, den er ja eigentlich kaum kennen kann. Ganz ähnlich zwischen Raum und Zeit tanzen die großen Widersacher der Trilogie; es ist aufgrund dieses komplexen Verschwimmens von Zeitlinien und raumzeitlichen Strukturen alles ein wenig schwer nachzuvollziehen. Im ersten Buch finden Picard und Co. heraus, dass die Devidianer offenbar von einem Punkt in der entlegenen Zukunft aus operieren, der aber selbst irgendwie außerhalb der normalen Raum-Zeit existiert. Geht es noch etwas komplizierter?

 

Dessen ungeachtet zehrt der Roman von dem Gefühl, dass wirklich etwas Irreversibles passieren wird und ein ultimatives Ende bevorsteht (was bereits die ersten Opfer, die die Enterprise zu beklagen hat, nähren). Die Bedrohung durch die veränderten Devidianer ist wirklich unheimlich, insbesondere die Schilderungen ihres Auftauchens und ihrer Fähigkeiten (wobei ich mich natürlich frage, wie sich sich zu derart machtvollen Geschöpfen weiter entwickeln konnten; eine Erklärung liefert dieses Buch noch nicht), und es kollabieren mehrere Zeitlinien. Sowohl Worf und Beverly Crusher als auch William Riker und seine Frau Deanna Troi sind von gewissen Vorahnungen und Zeichen beseelt, dass großes Unheil sich zusammenbraut, was ein Foreshadowing-Gefühl erzeugt. Von dem Wissen, das Taurik seit geraumer Zeit mit sich herumschleppt, mal ganz zu schweigen.

 

Zu diesem Foreshadowing-Gefühl zählt auch, dass in der ersten Hälfte der Geschichte immer wieder betont wird, dass es Picard nach so vielen Krisen, Kriegen und Katastrophen, die er in den letzten Jahren durchlebte, endlich so etwas wie inneren Frieden zu finden beginnt und wieder optimistisch in Bezug auf ein neues Zeitalter zu werden beginnt (was auch mit seinem persönlichen Familienglück zusammenhängt). Tja, daraus dürfte leider nichts mehr werden, ahnt der geneigte Leser. Wir hätten auch Worf, der nach Jahren als Picards XO nun - endlich! - die Möglichkeit erhält, das Kommando über ein anderes Sternenflotten-Schiff zu übernehmen. Oder da wäre Geordi LaForge, der nicht bloß sein privates Liebesglück gefunden hat, sondern in die Gunst kommt, eine leitende Stelle auf Utopia Planitia anzunehmen.

 

Diese ruhigen Momente sind für mich beinahe die schönsten, weil sie eine gewisse Fallhöhe für das Kommende definieren. Wobei der vorliegende Roman natürlich erst langsam und behutsam aufbaut, was dann in pure Dramatik in den kommenden beiden Werken kuliminieren wird. Denn was ich angesichts des Ausgangs des ersten Romans (wo bereits mehrere prominente Gesichter das Zeitliche segnet) befürchte, ist, dass diese Trilogie vor allem dazu dient, möglichst viele liebgewonnene ST-Helden spektakulär über die Planke zu schicken. Und das hatten wir dann leider bereits in Destiny. Coda scheint ein wenig nach dem Motto zu funktionieren: Was ich nicht behalten darf, mache ich mit großer Hingabe kaputt...

 

 

Fazit

 

Moments Asunder an sich ist noch kein Überflieger, aber es macht vieles richtig. Es nimmt sich Zeit, baut das Setting einer zunächst äußerst mysteriösen Bedrohung des Multiversums auf, und es fängt die ST-Helden eigentlich genau bei einem gewissen inneren Frieden beziehungsweise Aufbruchsstimmung ab. Das lässt beim Leser das deutliche Gefühl keimen, dass der Ausgang des Ganzen tragisch verlaufen dürfte, zumal uns allen klar ist, dass Coda wirklich das Ende markiert. Erste tragische Opfer bestätigen dies; es werden noch viele weitere folgen.

Zwar hätte ich aufgrund der im wahrsten Wortsinn abgespaceten Raum-Zeit-Story, die teils arg aufgesetzt und größenwahnsinnig herüberkommt (siehe Devidianer, Wesleys Darstellung), einen Punkt weniger vergeben, aber es ist nun einmal erst Teil eins, er ist atmosphärisch, und die Erwartungen an das Kommende sind geweckt...

 

7/10 Punkten.

11-2022