Jean-Luc Picard

 

 

Locutus und Liebe

 

In der TNG-Serie durfte man Captain Jean-Luc Picard, damals Kommandant der U.S.S. Enterprise-D, als einen Würdenträger von Idealismus und Ethik kennen lernen, der geistes- und naturwissenschaftliche Standpunkte aufgrund großer kultureller Beflissenheit zu neuem Ausgleich bringen konnte. Dadurch war er seinerseits die fleischgewordene Utopie von Humanismus und Aufklärung, die Wissenschaft und Fortschritt nicht verklärt, sondern auf menschliche Maßstäbe zurückführt und, mehr noch, ein Plädoyer für das Gefühl, aber gegen das reine Gefühl.

 

Diese unantastbare Aura erfährt in der Zeit der TNG-Kinofilme, in denen Picard den Befehl über die Enterprise-E übernimmt, eine radikale Zäsur. Es ist vor allem das ungebrochene Rachegelüst an seinen Peinigern, den Borg, das seine erhabene Persönlichkeit in die Niederungen der Wirklichkeit zurückreißt. Hierbei handelt es sich um eine Wirklichkeit, in der man sich in jenem reinen Gefühl zu verlieren droht, gegen das der rationale Picard immer stand. Das wiederum ist seine wahre Nemesis (und, nebenbei bemerkt, nicht irgendein Shinzon von Remus), die sich in einem stetigen Spannungsverhältnis zu seiner übrigen Identität befindet.

 

Insofern knüpft der TNG-Relaunch, die so genannte Second Decade, an dieses sehr zeitgemäße Leitmotiv an, bei dem es darum geht, auch die Schwächen eines Charakters zu herauszuarbeiten. Von daher nimmt es nicht wunder, dass die literarische Fortsetzung nach Star Trek: Nemesis dominiert ist von Konfrontationen mit den Borg und – das ist die Gemeinsamkeit mit der TV-Serie – von der Figur Picards. Im Hinblick auf die Protagonistenkonstellation in der Second Decade ist weiter bemerkenswert, dass durch den Wegfall der Quasi-Lehrerstellung Picards in Bezug auf den verstorbenen Androiden Data seine Figur deutlich egozentrischere Züge annimmt, der gleichzeitig der Fortgang der Zeit verstärkt bewusst wird.

 

Das hat jedoch nicht nur schlechte Auswirkungen; so bekennt sich der Captain beispielsweise nach fünfzehn Jahren Kollegialität und Freundschaft endlich zu seinen Gefühlen für Beverly Crusher. Das wiederum wird die Grundlage für seine spätere Entscheidung sein, mit ihr eine Familie zu gründen.