Raubvogel im Sturzflug - Der Irdisch-Romulanische Krieg in Star Trek

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Beneath the Raptor's Wing (Unter den Schwingen des Raubvogels II), Cross Cult 2014.

 

Alle haben von ihm gehört, und über beinahe sämtliche Star Trek-Serien hinweg finden wir eine Reihe von Anspielungen und Andeutungen. Und doch ist der Irdisch-Romulanische Krieg ein historisches Gespenst geblieben, über das zahlreiche ungeklärte Fragen existieren und der Canon auf den ersten Blick Widersprüche zu offenbaren scheint. Eine kleine Zusammenstellung von Aspekten und möglichen Interpretationen, der eine Romanerzählung Rechnung tragen kann und sollte.

 

In welchem Zeitraum tobte der Krieg zwischen Menschen und Romulanern?

 

In der TOS-Episode Spock unter Verdacht, in der die Romulaner ihren allersten Auftritt hatten, erhalten wir eine grobe Zeitangabe. 2266 liegt der Krieg mit dem Sternenimperium bereits über einhundert Jahre zurück. Ansonsten wird aber niemals expressiv verbis eine Jahreszahl oder ein Zeitraum genannt. Abseits der Star Trek-Serien und -Filme wird jedoch überall von der Spanne 2156 bis 2160 ausgegangen, also unmittelbar vor Gründung der Föderation.

 

Warum heißt er überhaupt Irdisch-Romulanischer Krieg?

 

Eine der Fragen schlechthin. Tatsächlich ist es so, dass in Spock unter Verdacht explizit von einem Krieg zwischen Menschen und Romulanern die Rede ist. Das impliziert, dass zumindest über weite Strecken der Kampfhandlungen dies die beiden Hauptantagonisten waren.

 

Doch wie passt das zu den Entwicklungen, deren Zeuge wir in der vierten und letzten Staffel von Enterprise werden durften? Dort sahen wir unter Vermittlung der Menschen die Geburt der Koalition der Planeten, einer mächtigen Defensivallianz, der sich Erde, Vulkan, Tellar und Andoria anschlossen und an der immerhin auch andere Welten Interesse zu haben schienen (vgl. Enterprise 4x21: Terra Prime). Offensichtlich passierte unmittelbar vor Beginn oder kurz nach Ausbruch des Kriegs etwas, das dazu führte, dass die Menschen den Romulanern über weite Strecken hinweg allein die Stirn bieten mussten.

 

Hier ist Verschiedenes vorstellbar:

 

  • Zum einen ist es denkbar, dass die Bezeichnung ‚Irdisch-Romulanischer Krieg‘ dieses Schwergewicht der Terraner und Romulaner im Kriegsgeschehen betonen möchte, ohne dass eine Teilnahme anderer Parteien ausgeschlossen wird.

 

  • Zum anderen kann es aber auch sein, dass die Koalition wegen innerer Probleme zerfiel oder wenigstens handlungsunfähig wurde und sich die Vulkanier, Andorianer und Tellariten weitestgehend aus dem Krieg zurückzogen.

 

Welche Ursache hat der Krieg? Oder: Wieso führen Romulaner einen heißen Krieg?

 

Abgesehen von Spocks Einlassungen über besonders grausame und hinterlistige romulanische Feinde zurzeit der Kampfhandlungen schweigt sich der Canon über konkrete Ursachen des Irdisch-Romulanischen Kriegs aus. Auch hier können verschiedene Theorien ins Feld geführt werden:

 

  • Erstens lässt sich davon ausgehen, dass die Romulaner den Plan hegen, ihr Imperium deutlich auszudehnen und die Tür in den Alpha-Quadranten aufzustoßen. Um wirklich in diesem neuen Teil der Galaxis Fuß zu fassen, müssen sie die Erde und ihre (potenziellen) Koalitionsverbündeten zuerst besiegen. Die Diskussionen rund um das Gesetz der unbegrenzten Expansion, die Admiral Valdore erwähnt, können als Beleg für diese Vermutung gewertet werden. Außerdem sind die expansiv-militaristischen Verhaltensweisen der Romulaner, wie wir sie aus späteren Star Trek-Serien kennen, mit dieser Theorie am ehesten in Einklang zu bringen.

 

  • Zweitens ist vorstellbar, dass die Romulaner sich durch die Menschen beziehungsweise die Koalition in besonderer Weise als Imperialmacht herausgefordert fühlen, ohne dass die Erde dies beabsichtigt hätte. Die verbissenen Bemühungen, mithilfe eines Drohnenschiffes die Annäherungen zwischen den bedeutenden Völkern im stellaren Umfeld der Erde zu verhindern, erleben wir im Marodeur-Dreiteiler. Sie können durchaus dahingehend interpretiert werden, dass das Sternenimperium im Agieren der Menschen und den politischen Entwicklungen in ihrem Umfeld eine Bedrohung für seine eigene Existenz und deshalb keine Alternative zu einem Krieg sieht.

 

  • Eine dritte Theorie ist, dass die Romulaner zunächst eigentlich nur daran interessiert sind, Vulkan zurückzuerobern, weil sie aus ihrem historischen Selbstverständnis heraus Anspruch auf ihre alte Heimat erheben. Zur Zeit von Suraks Reformation mussten ihre Ahnen („Jene, die unter den Schwingen der Raptoren marschierten“) damals von Vulkan fliehen, um ihre eigene leidenschaftliche Weltanschauung leben zu können. Nun, so ließe sich auf Basis der Spionageaktivität im Enterprise-Dreiteiler Der Anschlag/Zeit des Erwachens/Kir‘Shara vermuten, wollen sie zurückkehren, um Vulkan nach ihren Vorstellungen zu formen. Ein ähnliches Muster sahen wir bereits in der TNG-Doppelfolge Wiedervereinigung (wenngleich die Kontrolle über Vulkan dort auch ein erster Schritt zur Eroberung der Föderation sein soll). Da sie die politische Kontrolle aber aufgrund der Einmischung der Menschen nicht an sich reißen können, sehen die Romulaner fortan nur im Ausschalten der Erde und einer potenziellen Koalition die Lösung, Vulkan in ihren Besitz zu bringen.

 

  • Viertens ist es möglich, dass das Sternenimperium zu dieser Zeit eine Ära der politischen Instabilität erlebt und die Machthaber versuchen, die innere Spannungen nach außen abzuleiten. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Staat einen bewaffneten Konflikt anzettelt, um seinen eigenen inneren Niedergang abzuwenden. Diese Theorie würde erklären, warum die Romulaner schließlich einen offenen und eigentlich für sie untypischen heißen, jahrelang dauernden Krieg führen. Vielleicht haben aber auch Umstürze in der politischen Führung erst dazu geführt, dass es zum offenen Krieg kam.

 

Welche Vorgeschichte hat der Irdisch-Romulanische Krieg?

 

Wie bereits gesagt, finden sich für alle vier Theorien mehr oder weniger starke Belege im Canonmaterial. Sicher ist, dass die Romulaner die Erde spätestens seit der eher zufälligen ersten Begegnung im Jahr 2152 (vgl. Enterprise 2x03: Minenfeld) genauestens beobachtet haben. Die bereits erwähnte Undercoveraktion, welche Vulkan insgeheim der politischen Lenkung des Sternenimperiums unterwerfen und zudem einen Krieg zwischen Vulkan und Andoria anzetteln soll, schlägt durch Einmischung der Sternenflotte fehl. Als die Wahrscheinlichkeit mehr und mehr zunimmt, dass die Erde in absehbarer Zeit zum Scharnier eines tragfähigen Bündnisses aus mehreren regionalen Mittelmächten werden könnte, entsteht eine neue Bedrohungsperzeption.

 

Anlässlich eines diplomatischen Gipfels zwischen Andorianern und Tellariten beginnt das Imperium mithilfe eines speziellen Drohnenschiffes, verdeckte Angriffe auf eine Reihe von Spezies zu verüben, um sie so gegeneinander aufzuhetzen. Jedoch misslingt auch dieser Versuch: Unter Führung der Menschen kooperieren die verschiedenen Rassen enger denn je zuvor. Es kommt sogar zu einem exklusiven Militärbündnis zwischen Sternenflotte, vulkanischen und tellariten Truppen sowie imperialer Garde, um das Drohnenschiff zu zerstören. Die weiteren Ereignisse führen in der Ersten Babelkonferenz zu einer Aussöhnung zwischen Andorianern und Tellariten.

 

Über die genaue weitere Entwicklung hin zum Kriegsausbruch kann nur spekuliert werden. Doch das gescheiterte Drohnenschiff-Projekt ist mit Sicherheit entscheidend daran beteiligt, dass die Romulaner nun bereit sind, radikalere Maßnahmen gegen Erde und Koalition ins Werk zu setzen.

 

Wie ist der Krieg verlaufen?

 

Hier ist die Informationslage besonders dünn. Spock spricht über ein Jahrhundert später davon, dass die Kämpfe teilweise mit Atomwaffen geführt wurden, was viele Todesopfer durch Strahlenverseuchung zur Folge hatte. Denkbar ist auch, dass von romulanischer Seite wieder Drohnenschiffe und andere Camouflagetechnologien zum Einsatz kamen.

 

Aufgrund der großen Entfernung zwischen Koalitionsraum und romulanischem Territorium sowie der Tatsache, dass beide Mächte im Hinblick auf das Ausmaß ihrer Flotten noch längst nicht mit der Situation im 23. oder 24. Jahrhundert verglichen werden können, ist vorstellbar, dass der Irdisch-Romulanische Krieg nicht durchgehend tobte, sondern immer wieder Ruhephasen existierten. Vier Jahre sind immerhin eine ziemlich lange Zeit. Selbst der Dominion-Krieg dauerte gerade einmal halb so lange.

 

Warum hat niemand einen Romulaner zu Gesicht bekommen?

 

Eine heilige Kuh des Canons. Offensichtlich setzten die Romulaner im 22. Jahrhundert darauf, ihre Identität vor anderen Völkern geheim zu halten. In der Auseinandersetzung mit der Erde nutzten sie ihre Anonymität zur psychologischen Kriegsführung. Bis ins mittlere 23. Jahrhundert kommt es nie zu einer visuellen Schiff-zu-Schiff-Kommunikation. Dass es jedoch inoffizielle Sichtungen eines Romulaners gab, kann nicht ausgeschlossen werden.

 

Haben die Romulaner den Krieg wirklich mit Tarnvorrichtungen und Birds-of-Prey geführt?

 

An dieser Stelle gibt es die wohl frappantesten Widersprüche zwischen den offiziellen Quellen. In Spock unter Verdacht entsteht der deutliche Eindruck, dass die Sternenflotte einer Technologie wie der romulanischen Tarnvorrichtung so noch nie begegnet ist, doch in der Enterprise-Folge Minenfeld sehen Captain Archer und seine Besatzung derlei Maskierungssysteme bereits im Einsatz. Selbiges gilt für die Kreuzer vom Typ Raubvogel, deren Design in Minenfeld große Ähnlichkeit mit dem späteren Bird-of-Prey-Modell aufweist, wobei in Spock unter Verdacht die Sternenflotte ziemlich überrascht scheint vom neuen romulanischen Kampfschiff. Wie passt das alles zusammen? Ohne jede Frage einer der großen Knackpunkte für eine schlüssige Erzählung des Irdisch-Romulanischen Kriegs. 

 

Wie wurde der Krieg beendet?

 

Wir wissen nicht viel darüber, wie der Krieg schließlich ein Ende fand, doch dieses ist unmittelbar mit der militärischen Niederlage der Romulaner verknüpft. Die große Entscheidungsschlacht fand 2160 im Cheron-System statt (vgl. TNG 3x10: Der Überläufer). Auch noch in Jahrhunderten werden die Romulaner diese Niederlage als schwere Demütigung empfinden. Sie wird unmittelbar mit der imperialen Staatsraison im 23. und 24. Jahrhundert verflochten sein, denn mit dem Unterliegen im Krieg gegen die Menschen und ihre Verbündeten misslang der Versuch, sich in den Alpha-Quadranten auszudehnen. Im romulanischen Senat der Zukunft werden die Grenzen zwischen Föderation und Sternenimperium als Bodenmalerei zu sehen sein (vgl. Star Trek X: Nemesis).

 

Welche Konsequenzen hatte der Krieg?

 

Nach Beendigung der Kampfhandlungen wurde per Subraumkommunikation die Einrichtung einer Neutralen Zone ausgehandelt. Auf beiden Seiten dieses interstellaren entmilitarisierten Grabens wurden Außen- und Überwachungsstationen, häufig auf Asteroiden, eingerichtet. Das Eindringen in die Neutrale Zone wird als Vertragsbruch gewertet. Infolge des Tomed-Zwischenfalls im Jahr 2311 werden die Neutrale Zone sowie die Friedensbedingungen zwischen beiden Parteien weiter präzisiert werden (Vertrag von Algeron). Obwohl sich die Romulaner für die nächsten hundert Jahre ruhig verhalten, glauben viele hochrangige Sternenflotten-Offiziere, dass sie als Antagonisten der Föderation in später Jahrhunderten gesetzt sind.

 

Wie stark hängen Krieg und Föderationsgründung zusammen?

 

Auch eine Frage, auf die es nie eine eindeutige Antwort gab. Allerdings ist ein Einfluss des Kriegs auf die Föderationsgründung am 11. Oktober 2161 sehr wahrscheinlich. Doch die Föderation ist ja längst keine reine Defensivallianz oder ein intergouvernementales Bündnis mehr, sondern eine extrem weitreichende politische Union, getragen von unveräußerlichen Werten. Insofern wird der Krieg nicht allein den Weg zu ihrer Gründung geebnet, mag ihn jedoch erheblich beschleunigt haben.