2063-2123: Flucht von der Erde
Im Laufe des 21. und frühen 22. Jahrhunderts verlassen verschiedene Schiffe die Erde und brechen ins bis dato unerforschte All auf. So unterschiedlich ihre Ziele sein mögen: Sie alle teilen die Gemeinsamkeit, dass sie der ausgebluteten Wiege der Menschheit den Rücken kehren und eine neue Heimat zwischen den Sternen finden wollen.
HintergrundAuch nach dem Ersten Kontakt mit den Vulkaniern infolge von Zefram Cochranes historischem Warpflug am 5. April 2063 blieb die Erde auf etliche Jahrzehnte ein darbender, verwüsteter und sozial prekärer Planet. Trotz der Bemühungen der hilfsbereiten Vulkanier, mit denen vergleichsweise schnell Handels- und Unterstützungsabkommen geschlossen wurden, waren die Staaten und Gesellschaften auf den meisten Kontinenten weitgehend zerstört und mussten von Grund auf neu errichtet werden. Obwohl der Dritte Weltkrieg 2053 zu einem Ende gekommen war, wurde die Lage vielerorts zunächst schlimmer anstatt besser.
Bis in die 2080er Jahre prägte die postatomare Schreckenszeit das Leben auf der Erde, eine Phase von ökologischer Verwüstung und radioaktiver Verstrahlung sowie politischem Chaos und Anarchie. Infolgedessen setzten sich auf dem Gebiet zahlreicher ehemaliger Nationen terroristische Regime durch, die ihre Bevölkerungen ausbeuteten und tyrannisierten. In dieser geschichtlichen Epoche ließen mit Drogen gefügig gemachte Soldaten in Strahlenschutzanzügen Willkür und Schrecken walten; es wurden mörderische Schauprozesse veranstaltet, die an längst überwunden geglaubte Phasen der menschlichen Historie erinnerten. Der Rechtsspruch ‚Unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist‘ wurde zur schnellen Aburteilung von Angeklagten aufgelöst. Nun galt als schuldig, wessen Unschuld nicht bewiesen werden konnte. Parallel zu diesen barbarischen Schurkenstaaten wüteten zudem Fanatiker wie Colonel Green und seine dezimierten Anhänger weiter und begannen im Glauben an eine neue, rassisch gereinigte Menschheit, Strahlenopfer des Kriegs zu euthanasieren, um spätere Generationen „vor dem Unreinen zu bewahren“.
In diesem postapokalyptischen Klima konstanter Depression und Existenzangst verloren viele Menschen den Glauben daran, dass die Erde sich jemals würde erholen können. Angesichts des Jahrzehnte währenden Weltkriegs, der bis zu einer Milliarde Opfer gekostet und nahezu alle großen Städte in Schutt und Asche gelegt hatte, fehlte es vielerorts an Kraft und Zuversicht, dass der Blaue Planet in Zukunft wirklich wiedererrichtet und zu einem besseren Ort werden könnte.
Zefram Cochrane hatte demonstriert, dass es eine realistische Perspektive war, neue Planeten innerhalb von einer oder zwei Generationen zu erreichen und diese zu besiedeln. So entstanden infolge seines legendären Überlichtflugs verschiedene Gruppierungen von Idealisten und Separatisten, die den Wunsch hegten, die Erde dauerhaft zu verlassen, eine neue Heimat in der Ferne zu finden und noch einmal von vorne anzufangen. Sie gedachten, eine Gesellschaft nach ihren eigenen Vorstellungen zu errichten. Nicht wenige dieser Leute waren Anhänger der philosophischen Strömung des Neo-Transzendentalismus (Begründer: Liam Dieghan), einer utopistischen Bewegung, die in der ungehemmten Expansion von nicht kontrollierbarer Technologie die Ursache des menschlichen Zusammenbruchs ausmachte und die mithilfe der Raumfahrt zu einem ursprünglicheren Lebensstil zurückkehren wollte. Besagte Personenkreise entstammten sozialen und religiösen Rand- und Splittergruppen, die den Wunsch hegten, in der Abgeschiedenheit eines anderen Sonnensystems ein einfaches Leben zu führen, das nicht nur mit der Natur, sondern auch ihren Vorfahren und/oder althergebrachten Bräuchen in Einklang steht. Auch eine Reihe von Wissenschaftlern schlossen sich diesen traditionalistisch fühlenden Personen an.
Diasporen zwischen den SternenAufgrund des Warpflugs der Phoenix sowie des offiziellen Kontakts mit den Vulkaniern begann sich die Warptechnologie allmählich auf dem Erdball zu verbreiten, wenngleich nur die wenigsten Gesellschaften und Fraktionen aufgrund ihrer desolaten Lage überhaupt imstande waren, sie zu nutzen und entsprechende Raumschiffe zu konstruieren. Einigen Gruppen gelang es aber doch. Teils gehörten Mitglieder ehemaliger Raumfahrtorganisationen zu ihnen, teils gelang es ihnen, die Unterstützung intakt gebliebener Strukturen wie der NASA zu erhalten. Meist gediehen die Pläne und Vorbereitungen zum Aufbruch ins All in Eigenregie, denn supranationale Organisationen wie die Neuen Vereinten Nationen oder die Europäische Hegemonie waren in der postatomaren Schreckenszeit ohne nennenswerten Einfluss und Geldmittel. Eine Ausnahme bildete noch die Regierung der USA, die bis zu ihrer Auflösung immerhin teilweise handlungsfähig war und sich rascher als andere Gemeinwesen erholten. In manchen Fällen war die US-Regierung in die unterschiedlichen privaten Initiativen involviert.
Nicht selten waren die Gruppen, die eine Aussiedlung vorantrieben, nicht ehrlich zu den Staaten und/oder Organisationen, von denen sie Unterstützung erhielten. So gaben einige von ihnen vor, den Weltraum erforschen und mögliche koloniale Standorte erschließen zu wollen, doch über ihren insgeheimen Wunsch, nach der Besiedlung einer neuen Welt alle Bande zur vielfach verhassten Erde kappen zu wollen und damit nie wieder zurückzukehren, wurde nichts gesagt. Der Vollständigkeit halber muss aber gesagt werden, dass aufrichtige wissenschaftliche Neugier an der Ergründung des Universums bei vielen dieser Expeditionen eine wichtige Rolle spielte.
Da meistens nicht daran zu denken war, von Grund auf neue Raumschiffe zu entwerfen, wurden alte DY-Modelle verwendet und soweit dies möglich war modifiziert oder erweitert. In einigen davon kam Kryostasetechnologie zum Einsatz, sodass sie in Anbetracht der sehr niedrigen Warpgeschwindigkeit, die sie lediglich erreichen konnten, für lange interstellare Reisen als Schläferschiffe nutzbar waren.
Zwischen 2063 und 2100 kam es zu einer Reihe geordneterer und ungeordneterer Abflüge solcher ‚Flüchtlingsschiffe‘ in den Weltraum. Da viele offizielle Quellen aus der Ära der postatomaren Schreckenszeit verloren gegangen oder unvollständig sind und zudem chaotische Zustände jene Zeitperiode prägten, ist davon auszugehen, dass noch weitere Schiffe die Erde verließen, ohne dass heute Informationen hierzu vorliegen. Im Folgenden die Auflistung der bekannten Expeditionen.
Bedeutung und EinordnungEigentlich ist es verwunderlich, wie viele Expeditionen mit warpfähigen Schiffen kurz nach dem Ersten Kontakt von der Erde aus in den Weltraum starteten. Angesichts der sehr jungen und exklusiven Warptechnologie, der ausgeprägten Skepsis und mangelnden Unterstützungsbereitschaft der Vulkanier in Bezug auf irdische Kolonisierungs- und Explorationsexperimente und der prekären Lage der Erde war die Entstehung all dieser Projekte bemerkenswert und zeugte von einem enormen Vorrat an Idealismus, Einfallsreichtum und Durchhaltevermögen. Ideologisch trug der Überbau des Neo-Transzendentalismus sicherlich dazu bei, dass Gruppierungen, zu denen etwa die Besatzungen der Conestoga oder der Mariposa zählten, ihr Ziel, die Erde mit überlichtschnellen Schiffen zu verlassen, schließlich erreichten.
Obwohl viele Kolonien scheiterten oder die Schiffe gar nicht erst an ihren Zielen anlangten, waren diese Erfahrungen wichtige erste Schritte der Menschheit im All und bereiteten den Boden für die Entstehung von Versorgungs- und Handelsnetzwerken, wie sie später von den Earth Cargo Services genutzt werden sollten, sowie für die breite Durchsetzung des Warpantriebs auch bei zivilen Schiffen. Mehrere Niederlassungen, die ursprünglich aus der Flucht von der Erde entstanden waren, hatten durchschlagenden Erfolg und entwickelten sich zu den ersten menschlichen Außenposten außerhalb des Sol-Systems, die die menschliche Gemeinschaft nach der Erholung und dem Wiederaufstieg der Erde ab 2113 bereicherten. Kolonien wie Alpha Centauri würden einer gedeihlichen Zukunft als souveräne Welten entgegenblicken und später in der Vereinigten Föderation der Planeten aufgehen. Die Diasporen infolge des Dritten Weltkriegs müssen rückblickend als bedeutende Entwicklungslinie hin zur Entstehung einer vereinigten Erde als raumfahrende, aufgeklärte Zivilisation gewertet werden und nicht bloß als Flucht einiger Eigenbrötler in den Weltraum. Referenz
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