Revolutionäre fern der Heimat – Der Maquis in Voyager

 

Trotz so mancher Kontroversen hat sich auch die vierte Star Trek-Serie, Voyager, wie andere Star Trek-Sprösslinge vor ihr, einen bleibenden Platz am Franchise-Serienhimmel erobert. Sie hat ihre eigene Szene bekommen. Dennoch machen sich Fans, wenn sie in Foren oder am Stammtisch über Voyager sprechen, immer wieder Gedanken, wie die Serie noch besser hätte werden können, was sie vernachlässigte und welche Versprechen sie nicht einlöste. Abgesehen von der Entwicklung von Figuren wie Harry Kim und Kes sowie dem abrupten Ende der Show entzündet sich häufige Kritik im Zusammenhang mit einem Begriff: Maquis.

 

Die Rebellengruppe namens Maquis ist das verbindende Handlungselement aller im 24. Jahrhundert angesiedelten Star Trek-Serien. In TNG und DS9 eingeführt, geht es beim Maquis um ein paar Millionen ehemaliger Föderationskolonisten, die unter den Bedingungen des Friedensvertrags zwischen Cardassia und der VFP zwischen die Fronten geraten sind. Ihre Welten liegen in Folge des Waffenstillstands zwischen beiden Großmächten plötzlich in cardassianischem Gebiet; sie wurden über ihre eigenen Köpfe hinweg quasi zur Verhandlungsmasse (an und für sich eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit). Der Föderation gelingt es nicht, sie zur Umsiedlung zu bewegen, und spätestens mit dem offiziellen Inkrafttreten der neuen Friedensordnung anno 2370 verlieren die Cardassianer die Geduld: Mit Überfällen und Gewaltaktionen versuchen sie, die Siedler mit allen Mitteln aus dem Raumgebiet zu vertreiben, das sie nun als ihr Territorium ansehen. Die Kolonisten jedoch reagieren mit gestärktem Beharrungswillen, schließen sich zusammen, erklären sich unabhängig und widersetzen sich der cardassianischen Obrigkeit. Unterstützt durch eine Reihe hochrangiger Sternenflotten-Offiziere, die mit ihnen sympathisieren, gelangen sie über inoffizielle Kanäle rasch an Waffen, Schiffe, technische und medizinische Ausrüstung und beginnen einen Freiheitskampf um ihre Welten. 

 

In TNG und DS9 gehörten die Maquis-Episoden mit zum Besten, was die Serien zu bieten hatten (man denke an Die Rückkehr von Ro Laren, Der Maquis, Teil 1 und 2, In eigener Sache und Für die Uniform). Im Gebiet der sogenannten Entmilitarisierten Zone zeigten diese Folgen nicht nur ein anderes, düsteres und politisch aufgeheiztes Star Trek, sondern auch den Freiheits- und Guerillakampf in seiner ganzen Ambivalenz. Männer wie Calvin Hudson und Michael Eddington waren ebenso unbestechlich, wahrhaftig, idealistisch und gerechtigkeitsorientiert wie sie drohten, ihren eigenen verklärten Rollenbildern und ihrem Hass auf die Cardassianer zu erliegen. Im weiteren Verlauf von DS9 sahen wir tatsächlich, wie der Maquis immer mehr von seinem ursprünglichen Ziel – die Verteidigung der Kolonien – abzurücken begann und sich in ressentimentgetriebenen Feldzügen gegen den cardassianischen Feind verlor. Dementsprechend zog er nicht nur Gutmenschen an, sondern auch Rachsüchtige (z.B. Kenneth Dalby in Erfahrungswerte), politische Extremisten (z.B. Teero Anaydis in Verdrängung) und Psychopaten (z.B. Lon Suder in Gewalt, Der Kampf ums Dasein).

 

Als es die Voyager 70.000 Lichtjahre in den entlegenen Delta-Quadranten verschlug, kamen auch Maquis an Bord – nach Adam Riese mindestens fünfunddreißig an der Zahl, wenn man eine Aussage in der Episode Verdrängung für bare Münze nimmt. Angeführt von einem ehemaligen Sternenflotten-Commander namens Chakotay, waren diese Frauen und Männer ein potenziell instabiles Element in der Besatzung. Bevor das Schiff seine lange Reise in Richtung Heimat antrat, zeigte Captain Kathryn Janeway guten Willen und verschmolz ihre eigene mit Chakotays Crew. Das Ende des Pilotfilms ließ jedoch große Spannungen und Interessenkonflikte zwischen beiden Gruppen erwarten. Doch bereits die nächste Folge Die Parallaxe ließ erahnen, dass dieser Fall vermutlich nicht eintreten würde. So kamen die Dinge dann auch: Abgesehen von der Verräterin Seska, die frühzeitig zu den Kazon übersetzte (Der Verrat), ereigneten sich kaum Konflikte zwischen Sternenflotten- und ehemaliger Maquis-Besatzung. Selbst die Reibungen zwischen Janeway und Chakotay ließen sich in sieben Serienjahren an einer Hand abzählen.

 

Nun kann man sich fragen, wieso dieses Potenzial, das der Maquis bot, nicht viel stärker ausgeschöpft wurde. Warum gerieten Chakotay und seine Kommandantin nicht öfter und härter aneinander, warum meuterte er nicht auch mal, warum ließ er sich überhaupt so schnell und bereitwillig darauf ein, wieder die Uniform der Sternenflotte zu tragen?

 

Ganz sicher fehlte am Ende von Der Fürsorger eine erklärende Szene. Janeway und Chakotay hätten die Köpfe zusammenstecken und mit harten Bandagen darüber verhandeln müssen, wie es jetzt, angesichts der neuen Situation im Delta-Quadranten, weitergehen sollte. Womöglich wäre so einiges glaubwürdiger gewesen. Doch selbst dann wäre ein gewisses Maß an Irritation zurückgeblieben, warum Chakotay so rasch die Ideale und Grundsätze der Sternenflotte wieder beherzigt und in Rekordtempo zum willfährigen, proaktiven Unterstützer Janeways wird. Fragt man die Autoren, so war Voyager ursprünglich tatsächlich anders geplant oder sagen wir zumindest angedacht gewesen. Man stellte sich Szenarien vor, in denen die Frage im Raum stand, ob man der Möglichkeit, schneller nachhause zu kommen, den Vorzug vor den Prinzipien und Direktiven der Sternenflotte geben sollte. Diese Szenarien wurden gerade in der ersten Staffel sogar geschildert, und doch blieb echtes Spannungspotenzial zwischen Sternenflotte und Maquis aus. Im Gegenteil, in der Episode Das oberste Gesetz sehen wir, wie Tuvok – der wohl prinzipientreueste Sternenflotten-Offizier, den man sich vorstellen kann – mit ehemaligen Maquis kollaboriert, um die Reise der Voyager auf nicht ganz direktivenkonforme Weise abzukürzen.

 

Im Rückblick sagt Brannon Braga, dass die Idee einer harten und langwierigen Konfrontation zwischen Sternenflotte und Maquis absurd gewesen wäre. Immerhin sei man doch im selben Boot gewesen, einem nicht allzu großen, versprengten Schiff namens Voyager. Denkt man darüber nach, kann man nicht ganz von der Hand weisen, dass die Vorstellung einer Meuterei von Chakotay und seinen Leuten zwar als Denkgebäude reizvoll sein mag, nur leider wenig realistisch. Und das aus gleich mehreren Gründen:

 

  • Chakotay wäre qua Charakter für eine Meuterei der Falsche gewesen. Er wird dem Zuschauer als ehemaliger Sternenflotten-Commander vorgestellt, wirkt relativ besonnen und auf Ausgleich bedacht, im Kern seines Herzens ein wahrer Nobelmann und Offizier. Er ist nicht der typische, heißblütige Revoluzzer, und im Laufe der Zeit erfahren wir, dass er die Sternenflotte nur ungern verlassen hat, weil er seine Heimatwelt vor den Cardassianern schützen musste.
  • Die Maquis waren größtenteils Freiheitskämpfer, aber keine Piraten. Das ist ein zentraler Unterschied. Sie waren nicht auf Profit aus oder auf gewaltsame Aufstände zum Selbstzweck, ganz im Gegenteil. Es waren Leute, die das harte Leben kennengelernt haben, aber mit einem starken Gerechtigkeitsempfinden ausgestattet waren. Wie gerecht und rechtschaffen wäre es gewesen, die Voyager mit Waffengewalt zu erobern?
  • Weit abseits der Heimat sind Revolutionäre nun mal schnell keine Revolutionäre mehr. Die Maquis-Identität verblasste rasch im fernen Delta-Quadranten. Chakotay und seine Besatzung mussten sich eingestehen, dass sie ihr altes Leben nicht zurückbekommen würden, und sie mussten sich davon verabschieden. Sicher hätte man diesen schwierigen Gewissens- und Übergangsprozess besser schildern können, aber es hätte nichts daran geändert, dass die Maquis früher oder später zur Erkenntnis gelangt wären, die alten Lederwesten, -hosen und -stiefel abzulegen und sich mit dem neuen Status quo abzufinden.
  • Was hätte eine dreißig Mann/Frau starke Maquis-Besatzung in der Ferne des Delta-Quadranten davon gehabt, Dreiviertel der Crew einzusperren und selbst die Kontrolle über ein brandneues Sternenflotten-Schiff zu übernehmen, das man selbst nicht kennt? Sicher hätte es mehr Probleme als Nutzen gebracht.

 

Trotzdem kann und sollte man sich fragen, warum im Pilotfilm von Voyager die ganzen Verrenkungen betrieben wurden, zwei verschiedene Besatzungen vorzustellen und zusammenzuführen, wenn am Ende so wenig Reibereien und dramatisches Potenzial entstanden. Auch hier kommen vermutlich verschiedene Faktoren zusammen:

 

  • Offensichtlich wollte man einen prominenten Anknüpfungspunkt aus TNG und DS9 bieten, um von der ersten Minute an Identifikationspotenzial bei den Fans zu schaffen. Der Maquis erfüllte hier einen guten Zweck, ohne dass man gezwungen war, gleich Charaktere aus anderen Shows zu übernehmen.
  • Wie schon erwähnt, trug der Maquis einem düstereren, rebellischeren Star Trek Rechnung. Er bot das Potenzial, die sterile Atmosphäre an Bord eines Sternenflotten-Raumschiffs aufzulockern und dadurch die Konsistenz der Serie zu verändern. Das war jedenfalls eine interessante Vorstellung, doch die Autoren trauten sich nicht, aus Voyager eine Serie zu machen, die sich grundlegend vom bisherigen Trek unterschied. Stattdessen trat sie relativ schnell in die Fußstapfen von TNG und vollzog nicht selten alte Konzepte nach.
  • Nicht zuletzt gehörte VOY zur letzten Generation von Serien, die ohne einen vorab existierenden Storyplan entstanden. So sieht man auch bei anderen Themen bzw. Handlungsfäden Sprünge und Brüche im Laufe der sieben Jahre: Einiges wurde weiterverfolgt, einiges schlicht zugunsten neuer Dinge auf der Strecke gelassen, je nachdem wie es sich situativ anbot. Das gilt auch für die Charaktere. Insofern ist der Umstand, dass der Maquis in Voyager nicht das wurde, was Der Fürsorger versprach, auch ein spezifisches Wesensmerkmal der Produktion der 1990er-Jahre-Star Trek-Serien. Stellt man sich Voyager unter heutigen Produktionsbedingungen vor, wäre einiges vermutlich anders gekommen.

 

Ich für meinen Teil würde bezweifeln, ob ein echter, tiefgehender Sternenflotten-Maquis-Konflikt auf der Voyager tragfähig gewesen wäre. Die Grundlagen hierfür waren einfach nicht gegeben. Was man jedoch hätte tun können, wäre etwas anderes gewesen. Anstatt auf die potenzielle Front zwischen den zwei unterschiedlich großen Gruppen zu schielen, hätte in der ersten Staffel eine neue Front entstehen können, die quer durch die ganze Crew geht: Hat Janeway eine Fehlentscheidung getroffen, indem sie die Fürsorger-Station zerstörte? Verdient sie es noch, das Kommando über das Schiff zu haben? Hat sie noch die nötige Autorität? Wer hält ihr die Treue, wer ist gegen sie eingestellt? Immerhin sahen wir, wie B’Elanna Torres scharf protestierte, kurz bevor Janeway die Trikobalt-Torpedos abfeuern ließ. Man hätte sich vorstellen können, dass B’Elanna Janeway gegenüber fortan feindselig eingestellt ist und es im weiteren Verlauf der Serie schafft, Chakotay auf ihre Seite zu ziehen – möglicherweise nachdem Janeway erneut eine Chance für das Schiff verbaut hat, schneller nachhause zu kommen. Seska hätte hier an der Seite B’Elannas, mit der sie anfangs viel herumhing, ihr Übriges tun können. So hätte Chakotay vielleicht am Ende doch ein Meuterer neuen Typs werden können, nur eben nicht im klassischen Sternenflotten-Maquis-Schema.

 

Unter dem Strich mag der Verlauf des Maquis-Plots enttäuschen, weil er Erwartungen nicht einlöste, aber immerhin versuchten die Autoren mit Episoden wie Rebellion Alpha und Verdrängung Gedankenexperimente zu wagen, wie eine Meuterei an Bord der Voyager hätte aussehen können. Das ist nur ein Trostpflaster, doch bedenkt man, wie gut sich die Show insgesamt ab dem vierten Jahr entwickelte, ist es zu verschmerzen. 

 

Hinweis: Sämtliches in diesem Artikel verwendetes Bildmaterial entstammt www.trekcore.com (öffentlich verfügbare Screencaps)

 

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