Abenteuer im großen Abenteuer - Über das Familienleben im All

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Greater Than The Sum (Mehr als die Summe), Cross Cult 2010.

 

Für Sternenflottenangehörige spricht man von Einsatzorten. Eine solche Bezeichnung soll neutral klingen und emotionalen Bindungen vorbeugen. Aber wenn Frauen und Männer eine gewisse Zeit an einem Ort verbringen, wenn sie dort gemeinsam arbeiten, Freunde finden und Beziehungen entwickeln, dann wird – es ist ein altes Prinzip – schnell mehr daraus. Und doch zeigt kaum eine Science-Fiction-Saga besser als Star Trek, wie schwierig es ist, auf einem Raumschiff oder einer Sternenbasis die Grundlagen für das Gedeihen familiärer Strukturen zu legen.

 

Wiege zwischen den Sternen

 

Alles begann damit, dass Gene Roddenberry Wesley Crusher ausgrub. Von vorneherein menschelte die Sache: Der junge Schauspieler Wil Wheaton lag dem Star Trek-Erschaffer am Herzen. So kam er dann auch recht bald in den Genuss, die neue Crew unter Jean-Luc Picard ergänzen zu dürfen. Zugegeben, der langjährige Ehrenhalber-Fähnrich und Musterknabe entwickelte sich nicht gerade zum Publikumsmagneten. Trotzdem darf man die Einführung dieses Teenagercharakter in The Next Generation nicht klein reden: Zweifellos hatte sie nachhaltige Auswirkungen auf die Konzeption der nachfolgenden Star Trek-Shows. Von nun an betrachtete das Franchise die Zukunft unter einem ganz neuen Blickwinkel: nämlich jenem des Familienlebens.

 

Es kommt nicht von irgendwoher, dass uns im TNG-Pilotfilm Mission Farpoint die Enterprise-D als Raumschiff neuen Typus vorgestellt wird. Dieser schwere Kreuzer der Galaxy-Klasse unterscheidet sich grundlegend von der früheren Enterprise eines James Kirk und begründet ein neues Konzept von Sternenflottenschiffen. Um den gewachsenen Ansprüchen von Offizieren gerecht zu werden und als Institution attraktiv zu bleiben, bietet die Galaxy-Klasse erstmals die Möglichkeit, ganze Familien mitzuführen. Ihres Zeichens ist sie eine regelrechte Wiege zwischen den Sternen: Es gibt ein Arboretum, zahlreiche Spiel- und Freizeiteinrichtungen und sogar einen Kindergarten – ganz zu schweigen von den Holodecks, eine virtuelle Revolution. Man stelle sich vor: In Zeiten, in denen wir auf dem Boden von Mutter Erde um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ringen, vollzieht sich das in der Zukunft von Star Trek im galaktischen Maßstab.

 

Die Sternenflotte des 24. Jahrhunderts macht gerade in den frühen TNG-Jahren einen paradigmatischen Wechsel durch: weg vom Militärischen, hin zum Zivilen. Die sozialen Aspekte des Zusammenlebens werden neu organisiert, sodass sich auf der Enterprise nun zahlreiche Reisende finden, die keine Uniform tragen – ein für frühere Verhältnisse nahezu unvorstellbarer Ansatz. Die Devise lautet bunt statt eintönig, und nicht zuletzt wird dem Leistungsprinzip gedacht: Um wie viel besser arbeitet nämlich ein Offizier, wenn er die eigene Familie in seiner Nähe weiß, wenn Lebenswege nicht durch die Pflicht zerrissen werden? Diese grundlegende Veränderung – die, wie wir heute sagen würden, eine Investition ins Humankapital ist – macht die Sternenflotte plötzlich für Leute interessant, die ihr früher den Rücken gekehrt hätten.

 

Eine dieser Personen ist Anfang der 2360er Jahre die allein erziehende Beverly Crusher. Nach dem Tod ihres Ehemanns Jack wollte sie eigentlich nichts mehr mit der Sternenflotte zu tun haben. Doch das Konzept der Galaxy-Klasse bietet ihr auf einmal die Möglichkeit, eine Vereinbarkeit zu erreichen, wo bislang keine existierte: Sie kann den Dienst wieder aufnehmen, gleichzeitig aber für ihren Sohn Wesley da sein und ihm zu alldem noch eine Umgebung bieten, die den Erfordernissen eines Jugendlichen weit entgegenkommt. So begann das Star Trek des nächsten Jahrhunderts, als es in den späten achtziger Jahren anlief, auch und vor allem mit einer kulturellen Innovation, die alte Vorstellungswelten vom Leben inmitten der Sterne über den Haufen warf.

 

Familiäre Belastungsproben

 

Seit TNG waren in jeder Star Trek-Serie, die im 24. Jahrhundert angesiedelt ist, Kinder und Jugendliche mit von der Partie. Sie wurden zum festen Bestandteil der Serienphilosophie und verliehen Star Trek – trotz der nicht selten geäußerten Kritik, die Bedienung all dieser komplizierten Technologie ein Stück weit zu infantilisieren – eine neue Lebensnähe. Trotzdem lässt sich wohl nur schwer behaupten, dass es mit familienfreundlichen Raumschiffen schon getan ist: Das Leben an Bord von interstellaren Duraniumriesen ist kein Zuckerschlecken, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

 

Es ist bezeichnend, dass uns in Star Trek bislang meistens solche Familien an Bord von Raumschiffen und –stationen begegnet sind, die bereits einen schwerwiegenden Verlust wegzustecken hatten. Die besagte Beverly Crusher verlor ihren Mann, Benjamin Sisko, als er sich mit seinem Sohn Jake nach Deep Space Nine aufmacht, ist seinerseits Witwer. Denkt man an Worf und Alexander, so wird auch hier schnell deutlich, dass es sich um ein vorbelastetes Band handelt. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

 

Wie es scheint, ist für einen Sternenflottenoffizier nicht der ‚gerade’ Weg Stein des Anstoßes, mit dem eigenen Kind ins All zu ziehen. Vielmehr eröffnet die Raumflotte des 24. Jahrhunderts besonders unvollständigen Familien die Chance, einen Neuanfang zu versuchen: im Dienst einen gewissen Trost zu finden und das durch den Verlust gestiegene Zusammengehörigkeitsgefühl nicht zu vernachlässigen. Es ist fraglich, ob eine Beverly Crusher oder ein Benjamin Sisko denselben Weg gegangen wären, hätten sie nicht gelitten. Der familiäre Weg ins All scheint demnach nicht selten ein Produkt vorangegangener Katastrophen zu sein, so zumindest lehrt es uns Star Trek.

 

Die Krisen gehen weiter. Denn trotz des gestiegenen Komforts, den die Raumflotte ihren Offizieren nunmehr zur Verfügung stellt, tut die technische und beengte Welt selbst einer großen Sternenbasis etwaigen Kindheitsbedürfnissen längst nicht Genüge. Deshalb wird den anfänglichen Hoffnungen von Offiziersvätern und –müttern oftmals ein Strich durch die Rechnung gemacht. Kinder wollen sich ausprobieren. Umgeben von eisernen Schotts und Maschinen, treffen sie auf erschwerte Bedingungen. Trotzdem lassen sie sich nicht davon abhalten, ihre Grenzen zu testen.

 

Die andere Kindheit...

 

Jake, der sich aufgrund der begrenzten Auswahl an Kindern, schnell mit dem Ferengiburschen Nog anfreundet, ist ein gutes Beispiel hierfür. Obwohl Siskos Sohn seinem Charakter nach eher zurückhaltend ist, hat die Begegnung mit Nog Auswirkungen auf ihn. In Kürze beginnen beide Jungen viele Streiche durchzuführen, die über das Verstecken garanischer Boliten oder das Spiel mit dem Eimer des Formwandlers Odo weit hinausgehen. Der kleine Ferengi ist nicht nur eine willkommene Abwechslung für Jake, er ist auch aufgrund seines fremdartigen Hintergrunds überaus faszinierend.

 

Durch das Zusammenstoßen mit der Ferengikultur entwickelt Jake wesentlich schneller als ein gewöhnlicher Menschenjunge Interesse für Mädchen – sehr zum Missfallen seines Vaters, der befürchtet, Jakes Entwicklung könnte durch den Einfluss Nogs empfindlich gestört werden. Als er später mit Jake darüber redet, weiß der Junge gute Argumente vorzubringen. Immerhin sei es doch der Wunsch seines Vaters gewesen, nach DS9 zu ziehen, diesen Nexus der intergalaktischen Kulturen. Also dürfe er ihn jetzt nicht dafür bestrafen, dass er sich nach anfänglichem Protest auf die Vorstellung eingelassen hat, zwischen den Sternen zu leben.

 

Wie überhaupt schmal der Grat ist, auf dem man sich als Jugendlicher an Bord eines Raumschiffs bewegt, zeigen die multikulturellen Erfahrungen von Wesley Crusher. Mehr als einmal stürzen sie ihn, sein Schiff und die Föderation gleich mit in die Krise. Ein harmloses Blumenfeld, in das der Junge beim Ballspielen steigt, entpuppt sich als heilige Stätte der Edo, deren Verletzen mit der Todesstrafe geahndet wird. Kaum ein Jahr später verliebt der pubertierende Wesley sich in Salia, die Thronfolgerin eines ganzen Planeten, und riskiert damit erneut einen Zwischenfall von intergalaktischer Tragweite.

 

Für diejenigen, die bezweifeln, dass ein Raumschiff der richtige Ort für ein Kind ist, liefern derlei Situationen die besten Argumente: In seinem rebellischen Bestreben, die Welt und sich darin kennen zu lernen, gerät ein Kind inmitten einer technologischen Umwelt und einer Vielzahl von Kulturen schnell vor ungeahnte Probleme. Ein Raumschiff ist kein geschützter Raum, und folglich kann es die soziale Idee der Kindheit auch nicht hochhalten: Hier kommt es ungefiltert zu Begegnungen aller Art, die bereits Erwachsenen Schwierigkeiten bereiten können.

 

Die Reaktion eines Kindes muss aber nicht zwangsläufig darin bestehen, dass es die eigenen, kindlichen Maßstäbe an eine andere Kultur anlegt oder indem es sich von fremden Völkern begeistern lässt. Genauso gut kann es durch Vereinsamung reagieren. Weil man ständig unter Beobachtung durch Andere oder zumindest den Computer steht, sucht es sich einen Rückzugsort. Und wenn es den nicht räumlich findet, so doch zumindest geistig. Imaginäre Freunde sind etwas, das zwischen den Sternen auf jeden Fall keine Seltenheit ist. Manchmal sehnen sich auch Erwachsene nach ihnen, wie uns das Beispiel des tollpatschigen Ingenieurs Barclay vor Augen führt. Die zeitweilige Zweckentfremdung der Holodecks mag dazu gehören.

 

...und das Umdenken der Eltern

 

Doch nicht nur die Kleinen sehen sich vor unvorhergesehene Herausforderungen gestellt. Wenn Eltern oder Elternteile erstmals in den neuen Hafen der Sternenflotte einlaufen, wo sie heimisch werden wollen, zeichnen sie sich oftmals durch eine starke Regel- und Ordnungsbezogenheit aus, die nicht nur ihrer Offizierskarriere geschuldet ist. Indem sie versuchen, mit ihren Kindern gemeinsam zu leben, wollen sie Zugriff auf deren Entwicklung haben. Später müssen sie erkennen, dass sie ihre Kinder in eine Welt gebracht haben, in der ihnen die Erziehungskontrolle viel schneller entrissen wird als ihnen lieb sein kann.

 

Beverly Crusher, die mitunter deshalb auf die Enterprise kam, um ihrem isolierten, sich für Wissenschaft begeisternden Sohn ein neues Zuhause bieten zu können, muss Wesley am Ende sogar mit einem mysteriösen Außerirdischen – genannt der Reisende – ziehen lassen. Als der Krieg gegen das Dominion ausbricht, kann sich Benjamin Sisko nicht über Jakes Kopf hinwegsetzen, als letzterer beschließt, auf DS9 zu bleiben, das von feindlichen Truppen erobert wurde. Und auch der Zwischenweltler Worf verliert zeitweilig völlig die Kontrolle über seinen Sohn Alexander.

 

Trotz all dieser Herausforderungen zeigt Star Trek in seiner Schlussmoral, dass Familienleben im Weltraum nicht nur anstrengend, sondern auch sehr lohnenswert sein kann. Die Chance besteht darin, Erfahrungen zu machen, die Kinder und Eltern gleichermaßen neue Horizonte erschließen. Wie so vieles andere auch scheint dieses Ziel ganz ohne Konflikte nicht erreichbar zu sein. Nach einer anfänglichen Phase der schwierigen Eingewöhnung auf einem Schiff oder einer Station können sich aber tatsächlich neue Bekanntschaften ergeben, und manchmal erweitern sich die Familien auf ungeahnte Weise – Patchwork im besten Sinne.

 

Ein nobler Traum

 

Zugegeben, die Enterprise-D, die Familiencouch zwischen den Sternen, gibt es mittlerweile nicht mehr – und der Dominion-Krieg hat die Sternenflotte wieder viel von ihrem antimilitärischen Kurs gekostet. Aber ganz zu alten Ufern kehrt die Enterprise-E auch nicht zurück.

 

Deshalb bleibt auch dort das Kinderhaben und Kinderkriegen ein Thema. Aber wer hätte erwartet, dass es ausgerechnet jenen Mann treffen würde, der in Mission Farpoint noch darauf hinwies, dass die Rolle des Captains nicht mit der des Vaters zu vereinbaren sei: Jean-Luc Picard.

 

In Mehr als die Summe macht er einen erstaunlichen Bewusstseinswandel durch, der in einer gewissen Konsequenz zur Beziehung mit Beverly steht, zu welcher er sich in Tod im Winter endlich offen bekannt hat. Und sieht man hinüber auf das Schiff von Picards ehemaligem Ersten Offizier, William Rikers Titan, zeigt sich, dass der Enterprise-Captain nicht der letzte in der Reihe ist, für den es plötzlich lohnenswert erscheint, eine Familie inmitten der Sterne zu gründen. Das Thema hat Konjunktur.

 

Denn im Grunde ist es ein nobler Traum, und dass selbst eine Person wie Picard schließlich zu ihm findet, beweist die Stärke und die Verheißung dieses Traums: dort draußen zuhause sein.