Enigma Tales

Autorin: Una McCormack
Erscheinungsjahr: 2017
Seitenzahl: 360
Band: DS9 Post-Season-9/Post-Destiny 19

Zeitraum: 11/2386

 

Inhalt

 

Elim Garak ist die Treppe hinaufgestürzt. Gerade er, der Mann mit der zweifelhaften, ja dubiosen Vergangenheit (Obsidian-Agent, Folterspezialist,Schneider im Exil…), steht nun der jungen cardassianischen Demokratie vor. Welch Ironie der Geschichte. Nach wie vor muss sich die Zentralwelt mühsam empor kämpfen. Die Schlachten und Massaker haben ein verwüstetes und weitgehend entvölkertes Cardassia Prime hinterlassen, und die verbleibende Bevölkerung hängt nach wie vor am Goodwill der Föderation und anderer Mächte, die den Wiederaufbau größtenteils getragen haben.

 

Als Kastellan und somit Regierungschef hat Garak Entscheidungen in die Wege zu leiten, die nicht jedem auf seiner Welt gefallen. So verhält es sich auch mit einem Bericht, der die zahlreichen Kriegsverbrechen des cardassianischen Militärs zur Zeit der Besatzung Bajors schonungslos dokumentieren und die Ergebnisse der Justiz zuführen soll, auf dass dann all Jene ehemaligen Militärs, die Verbrechen begingen und bislang ungeschoren davon kamen, ihre gerechte Strafe erhalten. Und dann wäre da noch die Enthüllung eines grausamen Experiments an einigen Cardassianern, die bajoranische Vorfahren haben. Garak sieht sich Protesten aus den konservativ-reaktionären Teilen seines Volkes gegenüber.

 

Inmitten dieser ohnehin aufgeheizten Lage erscheint plötzlich Katherine Pulsaki auf Cardassia (eigentlich nur um an der Universität einen Preis entgegenzunehmen) – und hat die ungute Eigenschaft, sich in verschiedenste Angelegenheiten einzumischen.  So möchte sie zum Beispiel wissen, was mit Julian Bashir los ist. Letzterer hat sich nach den Ereignissen um Ureia, die AI, die tief im Kern der Föderation steckt, nach Cardassia Prime in die Residenz Garaks zurückgezogen, wo er ärztlich versorgt werden muss. Bashir befindet sich nach wie vor in einem katatonischen Zustand, und Garak hat geschworen, ihm die Hilfe zu gewähren, die sein alter Freund benötigt.

 

Pulaskis aufdringliche und forsche Art behagt Garak gar nicht, und so kommt es rasch zu Spannungen zwischen beiden. Diese verschärfen sich noch, als Pulaski in einem Live-Interview nicht nur feststellt, dass alle Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Dominion-Krieg und der Besatzung Bajors vollumfänglich und schonungslos geahndet werden sollten – was auch Garak in Schwierigkeiten bringen muss –, sondern auch offiziell eine Nachfolgerin für die Leitung der Universität der Union benennt, die nicht die Favoritin Garaks ist.

 

Sofort nach dem Interview kommt es zu einem Gespräch mit der Botschafterin der Föderation, die Pulaski zu mehr Feingefühl rät. Doch das ist nicht Pulaskis Art, und so verstrickt sie sich mehr und mehr in die aktuelle Tagespolitik der Universität und auch ganz Cardassia Primes, was schließlich ihr Leben in Gefahr bringt…

 

 

Kritik

 

Enigma Tales ist eine direkte Fortsetzung von Section 31: Control. Der Roman knüpft an das Ende des Buches an. Angefangen mit dem Finale von DS9, das Garaks Heimkehr in ein verwüstetes Cardassia zeigte, aber auch auf Basis der äußerst bedeutenden und im Hinblick auf vertieftes World Building meisterhaften Vorarbeit von Una McCormack (The Never-ending Sacrifice, The Lotus Flower, The Crimson Shadow), erleben wir ein weiteres Kapitel in punkto Einblicke in die Seelenlage der cardassianischen Nation. Diese ist inzwischen mehr als eine Dekade nach dem Dominion-Krieg angelangt.

 

Es gibt zaghafte Neuanfänge, und doch geht es nach wie vor um das Erkennen, Eingestehen, Abarbeiten von Schuld. Nur in der Selbsterkenntnis, so glaubt auch Garak, liegt der Pfad in eine hellere Zukunft. McCormack hat die spezielle Ambivalenz der cardassianischen Kultur schon in der Vergangenheit exzellent eingefangen, und auch jetzt tut sie dies wieder. Sie zeigt eine auf wackeligen Beinen stehende cardassianische Demokratie, an deren Spitze nun Kastellan Garak steht und darum kämpft, sein Volk in eine neue Zeit zu führen. Doch nach wie vor stellen sich Fragen, die schon seit A Stitch in Time prägend sind.

 

Wie baut man eine neue Zivilisation auf, der immer noch ihr alter, langer Schatten anhaftet? Ein Schatten, der von Jahrhunderten brutaler Expansions- und Kolonisationspolitik und einer chauvinistischen, ja vernichtenden Ideologie kündet, von einer Menge Blut, Leid und Tod. Ebenfalls eingebrannt hat sich den Cardassianern ihr tiefer Fall zum Ende des Dominion-Kriegs, ihre zahllosen Opfer als 'Kanonenfutter' der Gründer, ihre Demütigung und wirtschaftliche Not. Garak kann sein Volk nicht einfach nur verwalten – er muss es mitnehmen, indem er das, was er ihm zumutet, zum Teil einer überwölbenden Erzählung macht. Das macht jeden Schritt, den er geht, so schwer und bedeutungsvoll. Wie verarbeitet ein Volk das, was es sich selbst und vor allen Dingen auch so vielen anderen angetan hat? Das ist eine der Leitfragen in McCormacks Roman.

 

Erinnerungskultur ist dabei ein zentrales Stichwort, denn Garak steht vor der Herausforderung, in der Erinnerung der Cardassianer zu verankern, was sie in der Galaxis verbrochen haben, um ihnen längerfristig ein neues Narrativ zu geben. Die Kriegsverbrecher Cardassias sollen verurteilt werden für das, was auf Bajor geschehen ist (zumindest die noch Lebenden). Hier gibt es authentische innergesellschaftliche Konflikte und Diskussionen darüber, ob man dies nach all den Jahren und all dem Leid, das auch Cardassia widerfahren ist, überhaupt noch tun sollte. Wobei die Autorin schnell deutlich macht, dass nur ein ‚Ja‘ in Frage kommt. Dann schwenkt die Handlung ein Stück weit um, denn es tauchen Dateien auf, die Natima Lang (die ebenfalls eine Rolle im Roman spielt) belasten. Auch hier wieder ein schönes Star Trek-Thema: Rassismus bzw. Kinder mit gemischtem Erbgut.

 

Enigma Tales glänzt einmal mehr durch McCormacks herausragende Charakterarbeit. Die Geschichte wird über weiteste Strecken von den Figuren Garaks und Pulaskis getragen. Garak agiert in guter Tradition von sich selbst nach wie vor geheimniskrämerisch, aber auch unter dem Druck seiner hohen politischen Verantwortung. Ihn zu lesen, macht große Freude, einfach weil man erkennt, wie verschiedene Herzen in seiner Brust schlagen und er regelrecht zwischen seinem früheren Ich und seiner neuen Rolle in der cardassianischen Öffentlichkeit agiert. Statt direkt über manche Themen zu reden, umschifft er heikle Punkte etwa und taktiert.

 

Mehr als einmal stellt sich heraus, dass seine Aktionen ein Test waren, um zu ermitteln, wie eine Person zu seiner Vision von Cardassia steht. Beziehungsweise ob sie wirklich in der Lage ist, eigenständig zu agieren, ohne Furcht vor potentiellen Repressalien irgendwelcher höherer Beamte (das System ist nach wie vor durchsetzt von Dienern wie Anhängern der alten Militärhierarchie). Garaks ungebrochener Glaube an eine positive Zukunft Cardassias, in dem die dunkle Vergangenheit aufgearbeitet worden ist und die Cardassianer als gleichberechtigte Partner ins galaktische Konzert zurückkehren, besticht. In dieser unbedingten Zuversicht spiegelt sich denn auch der 'neue' Garak.

 

Pulaski wiederum ist auf ihre eigene Weise unbeugsam. Sie hat einen unverfälschbaren Gerechtigkeitssinn, will jedoch oft mit dem Kopf durch die Wand und hat nicht viel übrig für Fingerspitzengefühl. Und mehr als nur einmal spürt man die Verzweiflung der sie umgebenden Personen, weil sie erneut etwas vollkommen Unsinniges macht, ohne nachzudenken oder sich mit anderen abzusprechen. Es ist McCormack durchaus anzurechnen, dass sie seit The Missing etwas aus der Pulaski-Figur gemacht hat, auch wenn sie natürlich keinesfalls die Gravitas von Garaks lange gewachsenem Charakter erreicht.

 

Was beide Protagonisten gewissermaßen eint, ist, dass sie auf unterschiedliche Ereignisse reagieren müssen. Da ist zum einen eine Verschwörung um eine angesehene Professorin (besagte Natima Lang), die plötzlich in den Verdacht gerät, Teil eines Programms des Obsidianischen Ordens gewesen zu sein. Dann wird Pulaski entführt, und ausgerechnet Garak soll der Drahtzieher sein. Wobei Garak ohnedies seine eigenen Probleme hat, weil er sich nicht dazu durchringen kann, Julian Bashir zu besuchen. Auch dieses innere Hadern mit sich selbst macht Garaks Figur interessant.

 

Die sich anschließende Entführungsgeschichte bildet einen Schwachpunkt des Romans. Klar, man konnte sich nicht nur auf die politisch-moralischen Themen konzentrieren und brauchte etwas Abwechslung und Action. Doch derlei Entführungsstorys sind inzwischen recht generisch, daher hätte ich auch darauf verzichten können, erst recht nach all dem Chaos und Durcheinander, das in den vergangenen Relaunch-Romanen unablässig geherrscht hat. Dennoch gab es Plottwists, die ich nicht hatte kommen sehen.

 

Die Hoffnung, dass nach Beendigung dieses Intermezzos zu den moralischen Diskussionen rund um die konsequente Ahndung der cardassianischen Verbrechen zurückgekehrt wird oder gar die Mischlingskinder in den Mittelpunkt rücken, erfüllt sich bedauerlicherweise nicht. Auch dass am Ende jemand vom Geheimdienst bei Pulaski auftaucht und verkündet, man habe den Abtrünnigen jetzt herausgeholt, wirkt etwas fadenscheinig. Enttäuschend ist für mich, dass der Anfang mit den moralischen Dilemma am Ende fast schon in der Versenkung verschwindet und es keine Hinweise mehr darauf gibt, wie diese Strafverfolgung aussieht oder wen es denn nun trifft. Allerdings überwiegen die hellen Seiten dieses Romans bei weitem.

 

 

Fazit

 

Enigma Tales ist insgesamt ein gelungener und gedankenvoller Cardassia-Roman mit klaren Bezügen zur gegenwärtigen politischen Lage auf der Welt, der durch herausragende Charakterarbeit besticht. Am Ende (das nicht auf ganzer Linie überzeugt) gibt die Geschichte dem Leser in Sachen Julian Bashir einen kleinen Hoffnungsschimmer, und auch in Garak ist eine erstaunliche Menge an Zuversicht gewachsen.

McCormack hat damit ihre vermutlich letzte genuine Cardassia-'Studie' vorgelegt, von denen mir eine jede in Erinnerung bleiben wird.

 

7/10 Punkten.

11-2022