Weltraumnomaden der ersten Stunde - Frachter und Glücksritter erobern die Sterne

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Kobayashi Maru (Kobayashi Maru), Cross Cult 2014.

 

Denkt man im Zusammenhang mit Star Trek an die Entdeckung des Alls, an das Vordringen in neue Raumbereiche und den Kontakt mit bislang unbekannten Spezies und Phänomenen, so kommt einem unverzüglich die Sternenflotte in den Sinn. Warum auch nicht? In Aberhunderten TV-Episoden und einem Dutzend Kinofilmen sind es Sternenflotten-Offiziere, denen wir über die Schulter gucken dürfen.

 

Und doch haben wir durch den jüngsten Serienspross Enterprise erfahren, dass es nicht die Forschungs- und Verteidigungsinstitution der Erde bzw. Föderation war, die den Weltraum in den ersten achtzig Jahren nach Ende des Dritten Weltkriegs maßgeblich erschloss. Die Sternenflotte wird immerhin erst im Laufe der 2130er Jahre gegründet (vgl. Enterprise 3x08: Dämmerung), und ihr erster leistungsfähiger Pionierkreuzer, die NX-01 unter Captain Jonathan Archer, läuft sogar erst anno 2151 vom Stapel (vgl. Enterprise 1x01/02: Aufbruch ins Unbekannte).

 

Die ersten Schritte zwischen den Sternen gebührten also anderen: zum einen denjenigen, die der ausgebluteten Erde den Rücken kehrten, um ein neues Leben in der Ferne zu beginnen. Zum anderen den sogenannten ‚Weltraumnomaden‘: Familien an Bord von warpschwachen Frachtern, die, um ihre Brötchen mit harter und ehrlicher Arbeit zu verdienen, hinauszogen auf die interstellaren Handelsrouten und dort eher beiläufig den Boden bereiteten für die späteren Streifzüge der Sternenflotte. Ein Blick in den Rückspiegel der Star Trek-Historie.

 

Weg von der Erde, hinein ins Abenteuer

 

Alles braucht seine Zeit zur Veränderung. So ergeht es auch der Erde nach dem Ersten Kontakt infolge von Zefram Cochranes erfolgreichem Warpflug mit der Phoenix im Jahr 2063. Die postatomare Schreckenszeit verschwindet nicht von heute auf morgen. In einer weitenteils staatenlosen und anarchischen Welt werden weiterhin Schauprozesse abgehalten, wüten weiter unter Drogen gesetzte Soldaten für die Ziele vom Wahn zerfressener Demagogen, sind weiter durch die hohe Konzentration radioaktiver Isotope viele Gebiete der Erde unbewohnbar, und selbst die Neuen Vereinten Nationen scheitern. Trotz der Unterstützung durch die Vulkanier ist es ein äußerst beschwerlicher Weg in eine bessere Zukunft.

 

Es sind gerade die ersten Jahrzehnte nach Kriegsende, in denen zahlreiche abenteuerlustige Zivilisten die junge Warptechnologie erwerben und für sich nutzen, weil sie aus der Enge der darbenden irdischen Gesellschaft ausbrechen wollen und es sie ins All zieht, oder weil sie eine ganz neue Heimat für sich finden und aufbauen möchten. Diese Pioniere betreten einen Weltraum, der für sie vollständig neu ist; sie haben keine Sternenkarten oder anderes kartographisches Werkzeug, keine Kontakte und außer ihrem Mut, ihrer Neugier und Entschlossenheit keinen nennenswerten Schutz. Mehrere prominente Beispiele lassen sich hierfür anführen:

 

  • Bereits Ende des Jahres 2065, also nicht einmal drei Jahre nach dem Flug der Phoenix, verlässt die S.S. Valiant zu einer Expedition des Tiefenraums die Erde. Obwohl das Schiff, wie sich erst zwei Jahrhunderte später herausstellt, tragisch verunglückt, ist es das erste irdische Fluggefährt, das die Milchstraße hinter sich lässt und die Galaktische Barriere erreicht (vgl. TOS 1x01: Die Spitze des Eisberges).

 

  • Im Jahr 2069 bricht die S.S. Conestoga unter Captain Mitchell zum rund zwanzig Lichtjahre entfernten Klasse-M-Paneten Terra Nova auf, um zum ersten Mal eine Welt zu besiedeln. Nach neun Jahren der unablässigen Reise erreicht das Schiff Terra Nova tatsächlich und landet auf dem nördlichen Kontinent, wo es zerlegt wird, um die Terra Nova-Kolonie aufzubauen (vgl. Enterprise 1x06: Terra Nova).

 

  • Weitere Expeditionen und partielle Besiedlungsprojekte von Wagemutigen gelten dem Ficus-Sektor. In den ersten Dekaden des 22. Jahrhunderts starten mehrere zivile Schiffe, um diesen Sektor zu erforschen und zu besiedeln. Im Ficus-Sektor entstehen unter anderem die Mariposa-Kolonie und die Niederlassung auf Bringloid V (vgl. TNG: 2x18: Planet der Klone).

 

Familientradition zwischen den Sternen

 

Einen noch bedeutenderen Beitrag als die vereinzelten Expeditionsunternehmen haben die Frachter unter dem Deckmantel der Earth Cargo Services an der Ersterschließung des Weltraums. Die E.C.S. ist ein gewaltiges privates Frachtkonsortium, das zwischen den 2070 und 2160 für den Transport von verschiedensten Gütern und Rohstoffen wie Dilithium, Verterium, Boridium oder Lucasid im interstellaren Raum zuständig ist. Die Regierungen der Erde haben sie aus einer größeren Zahl einzelner Frachtergesellschaften als neuen Superkozern gegründet, weil der Blaue Planet, nicht zuletzt zum Wiederaufbau, auf einen möglichst regen interstellaren Handel angewiesen ist.

 

An Bord der trägen und technologisch rustikalen E.C.S.-Frachter der J- und Y-Klasse leben und arbeiten ganze Generationen von Weltraumnomaden: Personen, die auf diesen Schiffen zur Welt kommen und beinahe ihr ganzes Leben dort verbringen. Zu ihnen gehört in der ersten Hälfte des 22. Jahrhunderts auch der junge Travis Mayweather an Bord der E.C.S. Horizon. Da die meisten der Transporter kaum schneller als Warp 1,8 oder 2 fliegen können, dauert bereits eine einzige Frachttour etliche Monate, wenn nicht Jahre; die Familien auf den Schiffen sind also darauf eingestellt, ein ständiges Leben abseits der Heimat führen zu müssen und ständig unterwegs zu sein (vgl. Enterprise 1x10: Familienbande; 2x20: Horizon).

 

Insbesondere in den ersten Jahrzehnten des 22. Jahrhunderts werden die Frachterclans durch ihre regen Handelsaktivitäten zur Nabelschnur der Erde zu neuen Welten und Spezies, lange bevor offizielle diplomatische Erstkontakte erfolgen. Bis zum Aufbruch der Enterprise, NX-01, haben sie Schau- und Umschlagplätze wie Rigel, die Teneebianischen Monde, Trillius Prime, Draylax, nausicaanisches Grenzgebiet oder Teile des Borderlands zwischen klingonsichem und orionischem Territorium besucht (vgl. Enterprise 1x01/02: Aufbruch ins Unbekannte). Vieles spricht dafür, dass diese Leute auch die ersten sind, die Kontakt mit den hoch entwickelten und zivilisierten Denobulanern herstellen (vgl. Enterprise 4x17: Die Verbindung). Zudem gehören die E.C.S.-Frachter durch ihre dauernden Reisen zu den ersten irdischen Schiffen, die erstmals mit gefährlichen Stellarphänomenen wie Strahlungsstürmen in Kontakt kommen (vgl. Enterprise 2x12: Der Laufsteg).

 

Umbrüche

 

Auch die Kobayashi Maru, die im Star Trek-Kosmos eine nahezu legendäre Stellung einnimmt und auch im vorliegenden Buch bedeutsam ist, gehört zur Gruppe dieser weit versprenkelten Frachtschiffe. Nach allem, was wir wissen, verkehrt der alte Neutronentanker unter Captain Kojiro Vance in den 2150er Jahren bei Amber, Tau Ceti IV (vgl. Star Trek II: Der Zorn des Khan).

 

Unabhängig davon, dass die Maru ein tragisches Ende finden wird, steht sie offenbar am Ende des Zeitalters der Weltraumnomaden. Denn mit dem Ausbruch des Kriegs gegen die Romulaner sieht sich die Sternenflotte gezwungen, viele der bislang weitgehend autark operierenden Frachter der E.C.S. in ihren Dienst zu stellen. Nach Gründung der Föderation im Jahr 2161 wird die Transportbehörde dann weitgehend in die Reihen, der neuen, transnationalen Sternenflotte integriert. Dieser stehen nun unglaubliche Ressourcen und technologische Möglichkeiten zur Verfügung. Obwohl es nach wie vor zahlreiche private Fracht- und Transportunternehmen gibt, erfüllen diese nicht mehr die beträchtliche Pionierfunktion früherer Tage, auf denen Helden wie Jonathan Archer oder James Kirk aufbauen können. Es beginnt die Epoche der imposanten Sternenflotten-Kreuzer, die nun dorthin gehen, wo noch nie ein Mensch, wo noch niemand zuvor gewesen ist.