Harbinger

Autor: David Mack
Erscheinungsjahr: 2005
Seitenzahl: 380
Band: 1.1

Zeitraum: 2263-65

 

Vorbemerkung

 

Zwei Dinge liegen derzeit bei der Star Trek-Belletristik voll im Trend. Zum einen hat Pocket Books seit dem Millennium damit begonnen, den einzelnen Serien einen Relaunch – eine waschechte Fortsetzung in Buchform – zu verpassen. Zum anderen wurde gerade in diesem Zusammenhang immer öfter und penibler darauf geachtet, den so genannten Canon zu berücksichtigen. Dieser heilige Gral des Franchise steht gemeinhin für die Andickung neuer Romane mit möglichst reichhaltigen Bezügen aus Episoden und Filmen, ganz einfach um das Erleben eines solchen Star Trek-Abenteuers noch authentischer zu gestalten.

 

Mehr noch: Indem manch bislang lose Geschichtsfäden miteinander verwoben werden, können Autoren nicht nur ihr Wissen über das Star Trek-Universum unter Beweis stellen, sondern im besten Fall, begleitet durch einen ordentlichen Schuss Kreativität, beim Leser neue Tatsachen und besondere Aha-Effekte schaffen, weil Gesamtzusammenhänge am großen ST-Wandteppich klarer werden. So wird mit der Vorlage aus TV und Kino nicht gebrochen; vielmehr wird sie durch die Lizenzromane geehrt und bereichert.

 

Bis zum Jahr 2005 ist bei diesem Trend nur eine einzige Ausnahme zu erkennen: TOS, die ursprüngliche Serie Gene Roddenberrys, blieb von etwaigen Relaunchversuchen im modernen Sinne bislang weitestgehend ausgespart. Wer nach den Gründen hierfür fragt, wird eine Menge Antworten bekommen. Zunächst war ein TOS-Relaunch (trotz abgebrochener Bemühungen in den 1990er Jahren, die verlorenen Jahre zwischen dem Ende der dritten TOS-Staffel und Der Film zu füllen) aus Sicht von Pocket Books wohl nicht wirklich reizvoll, weil die Filme ohnehin die Geschichte der Serie in großen Zügen weiter erzählen, und zwar bis hin zum Tod des großen James Kirk. Zudem ist jemand wie Spock noch im 24. Jahrhundert zu sehen und sein Werdegang in weiten Teilen bekannt.

 

Hinzu kommt speziell im Buchsektor eine bislang von anderen Serien unerreichte Zahl von Einzelabenteuern, welche in den letzten dreißig Jahren gediehen sind und die zeitlichen Lücken zwischen TV-Folgen und Filmen zusätzlich füllen. Dann hat sich vor einer Weile obendrein noch William Shatner mit einer eigenen, aus dem Canonsystem vollends ausbrechenden Fortsetzung der Kirk-Saga (dem so genannten Shatnerverse) ins Getümmel des Bestehenden gestürzt.

 

Kurzum: Bei der herrschenden Gemengelage im TOS-Sektor hätte es die Verwirrung wohl komplett gemacht, einen Relaunch nach üblichem Muster zu stricken, der die bekannten Hauptfiguren begleitet. Pocket Books wäre Gefahr gelaufen, sich beim Leser in unnötige Widersprüche zu verheddern. Vor allem hätte man einen Ballast von bisherigem Storymaterial zusammentragen müssen, was freilich den Spielraum für substanzielle Neuigkeiten gegenüber Nacherzählungen arg geschmälert hätte. Die Wahrheit ist recht eindeutig: Über Jim, Spock, Pille und Co. ist einfach schon zu viel erzählt worden.

 

Die Entscheidung, TOS nicht doch irgendeinen neuen Relaunch für eine bestimmte Zeitperiode zu verpassen (z.B. mit Blick auf das niemals im Fernsehen gezeigte Phase Two), sondern stattdessen Vanguard zu erschaffen, trägt all den genannten Problemen Rechnung...und weit darüber hinaus. Trotzdem lässt es sich Vanguard nicht nehmen, das Classic-Universum wieder zum Leben zu erwecken. Ganz im Gegenteil: Die Reihe stellt sich ganz dezidiert die Aufgabe, die TOS-Welt einzufangen und somit die zuweilen wildwestlastige Weltraumromantik dieser Ära zurückzubringen, allerdings mit anderen Schauplätzen, neuen Gesichtern, viel politischem Kontext und einer Menge Ungewohntem. Es ist also, wenn man so will, ein TOS-Remake der besonderen Sorte.

 

Vanguard ist – wenn auch kein genuiner TOS-Ableger – nach Bekennen von Marco Palmieri eine Ergänzung und Vertiefung der klassischen Geschichte, die bislang nicht in größeren Zusammenhängen (also über die unmittelbaren Enterprise-Missionen hinaus) betrachtet wurde. Gleichzeitig kann Vanguard aber auch als kleines Experiment gesehen werden für eine Interpretation von Star Trek im 21. Jahrhundert. Insofern liegt eine gewisse Ironie darin, dass gerade auf dem Sockel der angestaubten Sixties-Serie eine Innovation begründet werden soll. Dazu passt der Cameoauftritt der Enterprise-1701 im Auftaktroman von Vanguard: Kirk und seine Leute halten einer Schar neuer Helden wie Antihelden die Hand, die sich mit ihren Abenteuern am langen Ende einreihen sollen in den Reigen von TOS und den Glanz früherer Tage auf eigene, unorthodoxe Weise erneuern sollen.

 

 

Inhalt

 

Dabei setzt Vanguard dort an, wo TOS selbst gerade seinen Auftakt genommen hat: Schwer beschädigt, befindet sich die Enterprise anno 2265 - nach den Ereignissen aus Spitze des Eisbergs - auf dem Flug zurück in die Föderation. Mit dem Verlust seines Studienfreunds Gary Mitchell hat der blutsjunge James Kirk soeben seine erste Bewährungsprobe als Kommandant hinter sich gebracht. Der Weg zum nächsten Trockendock ist vom Rand der Galaxis noch weit, und es scheint so, als hätte Kirk jede Menge Zeit, um die zurückliegenden Geschehnisse zu verdauen.

 

Doch weit gefehlt: Noch etliche Monate vom eigenen Raum entfernt, taucht beim Streifen der bis dato so gut wie unerforschten Taurus-Ausdehnung aus dem sprichwörtlichen Nichts ein Außenposten der Sternenflotte auf. Sternenbasis 47, Codename Vanguard, ist eine gewaltige, autarke Konstruktion der Watchtower-Klasse, die, gelegen am Rand der Taurus-Region, auf eine Reihe eigener Fregatten und Kreuzer zurückgreift. Kirk und seinen Leuten geht beinahe die Kinnlade herunter, als sie in Reichweite der Station kommen, die laut Datenbank erst in den kommenden Jahren hätte gebaut werden sollen und daher gar nicht existieren dürfte.

 

Übereifrig und im Windschatten anderer Ereignisse hat die Sternenflotte hier offenbar ein Sprungbrett in unbekannte Stellargrade geschaffen, weit abseits von ihrem Hoheitsraum. Kein Wunder, dass da Fragen aus dem Kraut schießen, die sich beileibe nicht nur der Captain der Enterprise stellt: Warum wurde die Konstruktion von Vanguard so vorangetrieben? Wieso sind der Basis - anders als ursprünglich geplant - drei Schiffe der Sternenflotte permanent zugeordnet, ganz zu schweigen von einem rasch expandierenden Netzwerk aus zivilen Kolonien, das sie mit erstaunlichem Durchgriff koordiniert? Was macht die Taurus-Region für die Wirtschaft und die Kolonisation wertvoller als zum Beispiel den Kalandra-Sektor, der deutlich näher am Föderationsraum gelegen ist? Und last but not least: Warum wurden überhaupt derart immense Ressourcen darauf verwendet, eine große Raumbasis am Ende des erforschten Raums im Rekordtempo fertig zu stellen, wo diese doch im Konflikt mit den Klingonen weit dringender benötigt worden wären? Was zum Teufel will die Sternenflotte eigentlich hier, im Nirgendwo?

 

An Bord der riesigen Station geht auch der Journalist Tim Pennington diesem Rätsel nach und wird immer wieder von Jetanien, dem Föderationsbotschafter auf Vanguard, und dem verschlossenen Befehlshaber, Commodore Diego Reyes, mit floskelhaften Antworten abgespeist. Längst sind auch die Klingonen und Tholianer, an deren Territorien die Taurus-Gegend angrenzt, in Lauerstellung verfallen, möchten sie doch genauso in Erfahrung bringen, wonach die Föderation in der unbekannten Ausdehnung auf der Suche ist. Auf dem diplomatischen Parkett brodelt es bereits, und so hat die Taurus-Region das Zeug dazu, in absehbarer Zeit ein politischer Zankapfel zwischen den Großmächten zu werden. Womöglich sogar ein Pulverfass? Festzustehen scheint bislang nur, dass die Sternenflotte sich zivilies Engagement massiv zunutze macht, indem sie Planeten eilig von Kolonisten besiedeln lässt, um ihre friedliche Ausdehnung in diesem Gebiet zu rechtfertigen. Kurz darauf vollzieht Reyes nicht selten militärische Enteignungen, womit er sich den Zorn der Justizabteilung auf SB 47 zuzieht.

 

Kirk ist diese Angelegenheit nicht geheuer. Während sein Schiff die wohl verdiente Überholung im Dock von Vanguard spendiert bekommt, macht er sich auf die Suche nach ein paar Antworten. Die zu bekommen ist schwerer, als er zunächst angenommen hat. Bei Reyes, einer beunruhigend zugeknöpften Persönlichkeit, beißt er auf Granit. Der Stationsleiter will sich vom (noch) unebenbürtigen Captain nicht in die Karten schauen lassen und schüttelt Kirk ab. Letztlich ist es ein dramatischer Zwischenfall jenseits von Kirks Nachforschungen, das der Diskussion um das Vanguard-Mysterium neuen Auftrieb gibt: Die U.S.S. Bombay, ein SB 47 zugeteiltes Versorgungsschiff der Miranda-Klasse, wird im Ravanar-System aus dem Hinterhalt von sechs tholianischen Schiffen angegriffen und vernichtet.

 

Für Tim Pennington ist dieses aufrüttelnde und scheinbar grundlose Ereignis, das die Bedrohung eines systemweiten Kriegs gegen die Tholianer real werden lässt, ein gefundenes Fressen, um seinen investigativen Journalismus zu Höchstform auflaufen zu lassen. Durch die Informationen, die er mit Glück und Vitamin B hinter den Kulissen in die Hände bekommt, findet er heraus, dass auf Vanguard Unmengen als geheim klassifiziertes Frachtgut umgeschlagen und verschifft werden...und dass die Bombay nicht direkt zerstört wurde, sondern ihr Captain vielmehr die Selbstzerstörung aktivierte - und eine Ladung an Bord hatte, von der die Tholianer um keinen Preis etwas in Erfahrung bringen durften.

 

So wird schließlich Kirk darauf aufmerksam, dass der Grund für Vanguards Existenz noch heikler ist, als ihn sein Bauchgefühl vermuten ließ. Er geht zurück auf einen Beschluss abgeschotteter diplomatischer und Geheimdienstkreise, zu denen auch Reyes und der kleine Zirkel seiner Vertrauenspersonen auf Vanguard gehören. Alles dreht sich um das Taurus-Metagenom, eine unendlich komplexe DNA-Struktur, die zusammen mit den Hinterlassenschaften einer uralten, fremden Spezies in der Raumausdehnung entdeckt wurde. Nun versuchen diese verschwörerischen Elemente in der Sternenflotte zu verhindern, dass die Wahrheit ans Tageslicht gerät: Sie starten eine Desinformationskampagne, die kaum Skrupel kennt...

 

 

Kritik

 

Verschlagene Klingonen, emotional-instabiler Vulkanier, mysteriöse Tholianer, Gangster und Agenten, die ganze Vielfalt der Föderationsvölker in ihrer nicht immer einfachen Diversität. Eine abgelegene Raumstation, die ein düsterer Nexus verborgener Erkenntnisse ist, die erst mühsam an die Oberfläche gezogen werden müssen. Vom ersten Moment an ist Vanguard spürbar anders als übliche Star Trek-Inkarnationen. Überall lauern dunkle Geheimnisse und Intrigen, und ständig wäscht die eine Hand die andere - man weiß nie, ob sich ein soeben geschlossener halbgarer Kompromiss nicht sehr schnell gegen einen wenden wird. Alles ist ein Vabanquespiel, alles ist 'Auge um Auge, Zahn um Zahn'. DS9 mutet dagegen bestenfalls wie eine Lightversion an: Vanguard eröffnet uns eine Welt der raueren Sitten, der Zugzwänge und der niemals perfekten Lebenswirklichkeit von Leuten, die sich über Wasser halten, indem sie sich immer wieder bewusst machen, welche Verantwortung sie bürden.

 

Ein Mann wie der vermeintlich lässig-lakonische Latino-Commodore Diego Reyes ist das beste Beispiel hierfür: Er stellt alles in den Dienst seiner Top-Secret-Mission, auch sein eigenes Seelenheil. Mitunter schließt er Jointventures mit Ganz, einem auf SB 47 geduldeten Ganovenprinzen des Orion-Syndikats, das in der Taurus-Ausdehnung Wurzeln geschlagen hat. Reyes ist klug genug zu wissen, dass er von einem offenen Kampf gegen subversive und kriminelle Elemente am langen Ende mehr Schaden als Nutzen hätte, also ist er zu jeder Zeit bemüht, sie in seine Interessen einzubinden und mit ein paar Tücken und Tricks für sich arbeiten zu lassen. Die größte Waffe des Commodore ist dabei, jenes schlechte Gewissen vorübergehend auszuschalten, das ihn bei weiterem Nachdenken überkommen könnte - oder die Tatsache, dass er selbst, um seine Ziele zu erreichen, nicht selten hart an der Grenze der Regelwerke und Vorschriften operiert. Mehr noch: Für die Aufklärung und Sicherung des namenlosen Geheimnisses rund um die Taurus-Region ist Reyes bereit, das Föderationsgesetz mit Füßen zu treten. Doch er macht es eindeutig nicht mit Freude. Nein, Reyes ist ein Getriebener unter der Last seiner unsäglichen Verantwortung. Das Kommando dieses Mannes ist eine schwere Bürde und Hypothek, kein leichtfüßiges Vergnügen. Die Begegnung zwischen Kirk und Reyes, aber im weiteren Verlauf auch Spock und T'Prynn macht die Unterschiede zwischen TOS und Vanguard intuitiv klar.

 

Überhaupt sind die Figuren in Vanguard so erfrischend ab der Norm, dass sie - nachdem sich die Serienableger von TOS und TNG immer an denselben charakterlichen Grundkonstellationen orientiert haben - meiner Meinung nach die erste wirkliche Innovation in Star Trek seit langer Zeit ausmachen. Dies gilt nicht nur für den Umstand, dass wir nun zum Beispiel eine Geheimdienstoffizierin, einen Botschafter, einen Journalisten, eine Juristin und einen intergalaktischen Mafiaboss im Cast haben. Gestalten wie die instabile, homosexuell orientierte Vulkanierin T'Prynn, der Reporter Pennington oder der Harry Mudd-Verschnitt Cervantes Quinn haben, wie auch die klingonische Spionin Anna Sandesjo/Lurqal, das Zeug, tradierte Grenzen zu sprengen und für viel Abwechslung zu sorgen: Einmal sind sie grausam und gewissenlos, dann wieder senisbel und voller Anteilnahme.

 

Sie alle sind grundsätzlich fehlbar, entsprechen nicht dem Heldentypus und verfolgen stets ihre eigenen Agenden. Viele Figuren sind aber auch in wechselnde Interessen- und Abhängigkeitsnetze verstrickt. Sie tragen nicht bloß äußere Konflikte und Ränkespiele aus, denn auch in ihrem Innern sind sie zerrissen. Ihre Loyalitäten sind gespalten. Das Motiv 'Ich schlafe mit meinem größten Feind' bringt einen besonderen Nervenkitzel in die Story. Man findet es bei Konstellationen wie T'Prynn und Sandesjo oder in abgestufter Form auch bei Reyes und JAG-Offizierin Rana Desai vor, die sich im Stationsalltag eher antagonistisch gegenüber stehen. Mehr denn je sind Personae dramatis in Star Trek damit wie wir alle - zutiefst menschlich. Stärkstes Symbol für dieses enorme charakterliche Spektrum ist hierbei mit Sicherheit die Agentin T'Prynn, in deren Brust im wahrsten Sinn des Wortes zwei Seelen schlagen. Alle Figuren sind aufgrund ihrer Fehler und Eigenarten so glaubwürdig, dass sie imstande sind, das schablonenhafte Kirk-Zeitalter mit einer Art von Antiheldentum aufzumischen.

 

Die eigentliche Geschichte ist musterhaft gestrickt und kompakt verschachtelt worden, sodass Spannung über weite Strecken garantiert ist. David Mack, der Vanguard übrigens gemeinsam mit Marco Palmieri am Reißbrett entworfen hat, verwendet seine klare, prägnante Sprache ohne zu viel Schnörkel und Schmuck und demonstriert, dass er für Harbinger fabelhaft recherchiert hat. So begegnet der Leser in der fremden, aufregenden Welt von Vanguard vielen bekannten Gesichtern: Jabilo M'Benga, Clark Terrell oder Commodore Matt Decker sind lediglich ein paar davon. Besonders clever war die Entscheidung, für den wichtigsten Erzählstrang die Perspektive der Enterprise-Crew einzunehmen. Dieser Cameo-Effekt gibt nicht nur die Gelegenheit für einen sanften Übergang, sondern kontrastiert das vertraute Schiffsklima mit dem schnelllebigen und vielschichtigen Nexus von SB 47.

 

Weitere Plots liefern tiefe Einblicke in das Privatleben neuer Figuren oder schildern plastische Eindrücke vom Leben auf der Station, die wohl am ehesten mit Babylon 5 (man denke nur an die Erholungsanlagen) zu vergleichen ist. Actionliebhaber Mack lässt es sich so ganz nebenbei dann auch nicht nehmen, eine Raumschlacht zu schildern, die an Umfang- und Detailreichtum neue Maßstäbe setzt. Wohl nie zuvor wurde ein Raumschiff in einem Roman auf so eindringliche und prickelnde Weise verheizt wie die U.S.S. Bombay in Harbinger. Ähnlich ausführlich und anschaulich geraten Schilderungen über den Stations- und Schiffsalltag aus Sicht diverser Figuren, die einen realistischen Eindruck davon geben, wie anstrengend funktionierende Sternenflotten-Abläufe sein können und vor welchen Herausforderungen Techniker, Ermittler oder Kommandooffiziere zuweilen stehen. Dies passt wiederum zur TOS-Epoche, in der eben noch nicht alles ein Spaziergang ist und zuweilen ordentlich angepackt werden muss.

 

Mit Blick auf den Umgang mit außerirdischen Spezies lässt sich sagen, dass Mack auf ein buntes, abwechslungsreiches Repertoire von Aliens zurückgreift, die vor allem in der TOS-Ära ihre Auftritte haben (natürlich war das auch in der Prequel-Serie Enterprise der Fall). Vulkanier, Andorianer, Tellariten, Rigelianer, Deltaner und viele mehr kommen allenthalben vor und bilden eine Föderation des mittleren 23. Jahrhunderts stilecht ab, wie man sie in der Classic-Serie nie wirklich zu Gesicht bekam. Dabei werden die VFP-Völker im Hinblick auf ihre spezifischen Charakteristika teils faszinierend, teil skurril, teils liebenswürdig bis kauzig beschrieben, was für viel Abwechslung und manchmal auch Humor sorgt. Selbst die Menschen sind inmitten dieses bunten Potpourris nicht so einseitig US-amerikanisch dargestellt wie in der Serie, was nun schon anhand der Namen abzulesen ist. Diversity wird in Vanguard wirklich gelebt, aber auf eine selbstverständliche Weise, sodass es dem Leser nicht unnötig unter die Nase gerieben wird.

 

Während bis zum Anschlag taktierende und intrigierende Klingonen durchaus ein wenig gewöhnungsbedürftig sind, ist das mit Sicherheit viel versprechendste Volk in Vanguard jenes der Tholianer. Da über sie in TOS (siehe Episode Das Spinnennetz) und selbst in Enterprise kaum etwas bekannt wurde, gibt es hier ein großes Potential, diese rätselhafte Rasse mit eigenem Inhalt zu füllen, und Mack tut dies meisterhaft, ohne bereits zu viel zu verraten. So beschleicht den Leser durch das ganze Buch der latente Eindruck, dass die Tholianer viel mehr über die Geheimnisse der Taurus-Ausdehnung zu wissen scheinen als sie vorgeben und deshalb so paranoid auf die Vorstöße der Sternenflotte reagieren, weil sie in Wahrheit große Angst haben. Das macht gerade den Abschluss von Harbinger besonders spannend und Freude auf mehr.

 

Und trotz all dieser Vorschusslorbeeren für eine mit Sicherheit herausragende Buchreihe gibt es einen Makel an Vanguard, der nahezu eine Zwangsläufigkeit des Konzepts ist. Die Entstehungsgeschichte Projekts fällt in die Zeit einer US-Außenpolitik, die die Öffentlichkeit weitgehend im Unklaren gelassen oder gar belogen hat. Es ist unverkennbar, dass die Realität in Harbinger kritisch verarbeitet wird. Aber, wird manch ein Franchise-Liebhaber sagen, es ist in vielerlei Hinsicht eben zu viel Realität. Wo bleibt die positive Sicht auf die Zukunft, wo die utopische Schlussmoral, das, was Star Trek nun einmal ausmacht? Das ist jedoch Kritik auf sehr hohem Niveau.

 

 

Fazit

 

Vanguard funktioniert als perfekter Thriller, in denen Charaktere differenzierter denn je gezeichnet werden und die Medaille immer zwei Seiten hat. Es wird uns ein Star Trek der gelebten inneren Widersprüche vorgeführt, das darüber hinaus imstande ist, von Zeit zu Zeit selbst über sich zu schmunzeln. Die Umsetzung der Story ist fundiert und tadellos und übt ganz ohne Zweifel eine große Faszination auf den Leser aus, weil Vanguard als atmosphärisch dichter Spielplatz für neue Ideen und Herangehensweisen daherkommt. Das ist weißgott keine Selbstverständlichkeit in einem Science-Fiction-Kosmos, in dem wir schon vieles gesehen und viele Serien sich in Wiederaufbereitungen desselben geübt haben.

 

Nur: Das, was Gene Roddenberry als Vision hatte, findet hier nicht mehr recht statt. Es geht um Real- und Machtpolitik, um Spionage und um zuweilen harte und verhängnisvolle Entscheidungen - nicht um Lösungen à la Friede, Freude, Eierkuchen. Damit ist Vanguard am ehesten vergleichbar mit dem Remake von Battlestar Galactica, woran sich David Mack nach eigenem Bekennen auch orienitert hat. Nichts dagegen einzuwenden, aber nicht alle Star Trek-Fans werden dieser neuen Marschroute folgen können; wenigstens nicht auf Dauer. Diejenigen, die es tun, werden Vanguard jedoch als eine große Bereicherung für Star Trek zu schätzen lernen. Am besten war eine Idee immer noch, wenn sie provoziert - und Vanguard tut genau das.

 

10/10 Punkten.

7-2010