Was ist das Besondere an Deep Space Nine?

 

An dieser Stelle möchte ich mir Allgemeinplätze und platte Lobeshymnen sparen, denn natürlich halte auch ich DS9 für eine herausragende, wenn nicht sogar die beste Star Trek-Serie von allen. Stattdessen möchte ich nun zum Wesentlichen vorstoßen und die Frage weiter verfolgen: Was macht DS9 eigentlich so besonders? Was hebt es bis heute so klar von den anderen Franchisevertreterinnen ab?

Zunächst würde ich schlicht festhalten: DS9 hatte den Mut, in vielerlei Hinsicht neue Wege zu gehen. Davon profitierte nicht nur das erzählerische Niveau, wenn es etwa um die moralische Fehlbarkeit einer Hauptfigur oder die Konflikte innerhalb der gemischten Besatzung ging, sondern auch die Vielfalt im Star Trek-Universum. Die Serie wurde so viel mehr zum direkten Spiegel unserer Gegenwart, ohne die moralisch-humanistische Erhabenheit des Kern-Treks aufzugeben. DS9 hat Star Trek in gewisser Weise ‚neu‘ erfunden und dem Franchise dadurch eine Frischzellenkur verpasst. Zugleich hat es aber immer in hohem Maße mit den Vorlagen TOS und TNG gearbeitet und eine organische Anschlussfähigkeit seiner Weiterentwicklungen sicherzustellen versucht.

Meiner Einschätzung nach lässt sich der Alleinstellungswert von DS9 drei groben Kategorien zuordnen, auf die ich mich im Folgenden konzentrieren will: Setting, Erzählung und Figuren.

 

Das Setting

 

  • Fester Schauplatz: DS9 hatte von vorneherein ein klar lokalisierbares Zentrum mit der im bajoranischen Heimatsystem stationierten namensgebenden Raumstation. Es hat zwar nicht darauf verzichtet, neue und wechselnde Handlungsorte einzuführen und fremde Welten zu besuchen, aber trotzdem gab es stets einen Rückbezug auf dieses Zentrum. Mit der festen Verortung der Serie ging die Möglichkeit einher, vertiefte Erzählungen zu schildern (man nehme z.B. die Bajor- und Cardassia-zentrierten Episoden) und sehr konkrete Entwicklungslinien zu verfolgen; alte Probleme kehrten manchmal in neuer Form zurück und beschäftigten Sisko und seine Crew weiter. Das für ST typische, manchmal etwas beliebige Alien-of-the-week-Prinzip wurde nachhaltig durchbrochen – auch nach der Einführung der U.S.S. Defiant als stärker mobiles Serienelement blieb das so.

 

  • Verlassen des utopischen Raums: DS9 hatte sich ein Setting gewählt, in dem es die Utopie (die hehre Föderationszivilisation) explizit nicht aufgeben muss, aber zugleich den Raum der Utopie mit dem bajoranischen Sektor als Hauptschauplatz verlässt. Dies gilt nicht nur für die äußeren Verhältnisse (neutraler Raum, Cardassianer und EMZ direkt ‚nebenan‘, Wurmloch als Tor ins buchstäbliche Unbekannte), sondern auch für das Innenleben auf der Station, wo eine ganze Reihe von Figuren vertreten sind, die nicht aus der Föderation kommen und dementsprechend auch nicht die deren Prinzipien vertreten und teilen müssen. Zur Umgebung außerhalb von Utopia zählt übrigens auch das Wirtschaftliche. Auf der Erde und den Kernwelten der Föderation gehört Geld bekanntermaßen der Vergangenheit an, aber auf DS9 – jenseits des Föderationsraums – ist das anders. Goldgepresstes Latinum ist hier das Bezahlmittel der Wahl, offenbar die beste und kompatibelste Universalwährung.

 

  • Vom Rand der Galaxis zum Zentrum allen Geschehens: Startete DS9 als eine Serie in einem entlegenen, eher verruchten Winkel der Galaxis (man denke an Dr. Bashirs Schwärmerei von der „Wildnis“ im Pilotfilm), mauserte das dynamische Setting sich durch die enorm politischen Konsequenzen (Entdeckung des Wurmlochs, Kontakt und Konflikt mit dem Dominion, DS9 als Vor- und Frontposten) spätestens in der vierten Staffel endgültig zum gefühlten Mittel- und Brennpunkt allen Geschehens. Auf DS9 gibt sich so das halbe Who-is-who des Quadrantengefüges im Laufe der Zeit die Klinke in die Hand. Obwohl diese Entwicklung zu Beginn der Serie nicht zwangsläufig war, erscheint sie doch organisch-konsequent, eröffnete die Möglichkeit für stärker pangalaktische Handlungsstränge und unterstreicht die Bedeutung der namensgebenden Station.

 

  • Herausfordernde Gegner: DS9 ist deshalb so ungemein spannend, weil es nicht zuletzt mit bedrohlichen, dreidimensionalen Gegnern arbeitet. Sind es zunächst vor allem die Cardassianer (die wie die Bajoraner von TNG übernommen wurden), steigt ab der dritten Staffel das Dominion zum großen Kontrahenten auf. Das Dominion ist deshalb so gefährlich, weil es wie eine regelrechte Anti-Föderation erscheint und sich sehr gezielt den Mitteln von Tücke und Furcht bedient. Auch die Klingonen werden zeitweilig als entfesselte Bedrohung inszeniert, die in einer Zeit der Paranoia zu ihren aggressiven Wurzeln zurückkehrt, doch dann werden sie in der Not zu wertvollen Alliierten. Denken wir zudem an den Maquis: Die Rebellenbewegung und ihre Anführer sind im Sinne einer für die Sternenflotte schmerzlichen moralischen Zwickmühle ein interessanter Gegner, weil dieser ein Stück Gerechtigkeit stets auf seiner Seite hat. Lediglich die Romulaner kommen in der Serie zu kurz. Viele der gegnerischen Figuren sind nicht nur gut von den entsprechenden Schauspielern in Szene gesetzt, sondern ihre Motive sind oft nachvollziehbar, sodass sie plastischer und authentischer wirken. Ich denke hier an Charaktere wie Weyoun, Michael Eddington oder auch Gowron (die Liste ließe sich noch erheblich verlängern). Das in meinen Augen aber beste Beispiel für einen herausfordernden Gegner ist und bleibt Gul Dukat, welcher schon im Pilotfilm als Antagonist aufgebaut wird. Der ehemalige Präfekt von Bajor – der den Abzug von seinem alten Posten nie wirklich verwunden hat – ist nicht bloß ein rachsüchtiger, gewalttätiger Schurke, wie er selbst bei Star Trek viel zu oft präsentiert wird. Nein, Dukat ist facettenreich, und obwohl er einen sehr dunklen, boshaften Kern hat, tritt er nicht immer als offensichtlicher Feind auf – ganz im Gegenteil. Dukat ist ein hochintelligenter, gerissener Mann; er ist innerlich zerrissen, und aufgrund der sich rasch wandelnden politischen Umstände schlüpft er in verschiedene Rollen. So glaubt der Zuschauer zeitweilig, bei Dukat könnte eine Entwicklung zum Positiven eingesetzt haben (etwa wenn er vermeintlich selbstlos seine Tochter Ziyal aus einem Breen-Gefängnis befreit oder Siskos Besatzung bei mehreren Gelegenheiten hilft), ehe man mit Entsetzen feststellt, dass dies ein Trugschluss war (zum Beispiel als sich herausstellt, dass Dukat Geheimverhandlungen mit dem Dominion geschlossen und Cardassia an den neuen Feind ‚verkauft‘ hat). Dukats Bösartigkeit entspringt seiner Verletzlichkeit, seinem gekränkten Narzissmus, und mit Donald Trump haben wir auch in der Realität vorgeführt bekommen, wohin solche charakterlichen Grundkonstellationen ein ganzes Land und sogar die Welt führen können. Dukat interpretiert seine Rolle als Bajors Präfekt idealisiert und verklärt, obwohl er gemordet, gefoltert, versklavt hat. Er funktioniert als Kontrahent so gut, weil er Sisko in vielen Dingen gleicht und dennoch völlig anders ist. Wie Sisko ist Dukat einflussreicher Kommandant und Vater, Soldat und (später) religiöse Figur. Aber er interpretiert diese Rollen völlig im Gegensatz zu Sisko. Eine weitere Figur, deren persönliche Schwächen und innere Korrumpierbarkeit sich als sehr verhängnisvoll erweisen, ist Kai Winn Adami. Hinter der Fassade einer vermeintlichen Heiligkeit schlummert in der Kai eine abgründige, von Missgunst zerfressene Seele.

 

  • Religion und Mystik als authentische Elemente: Star Trek war immer sehr skeptisch in Bezug auf metaphysische Erscheinungen und Storyelemente. Entsprechend negativ bis lächerlich wurde Religion in den früheren Serien dargestellt, insbesondere in TOS. Roddenberry selbst gab zu Protokoll, dass Religion für ihn ein Teil des Problems heutiger Gesellschaften sei, da ihr Vorurteile, Obrigkeitsdenken und antiaufklärerische Einstellungen entsprängen. Der Franchise-Erschaffer betrachtete Religion als archaisches, spalterisches Element, das nicht zu seiner Vision einer rationalen, humanistischen Zukunft passt. DS9 schlug hier eine gänzlich andere Marschroute ein. Als bislang einziger ST-Serie gelang es ihr, spirituelle und mystische Bestandteile zu integrieren, ohne die Nase darüber zu rümpfen und zugleich die dezidiert rationale Star Trek-Perspektive niemals zu verlieren. Diese Anreicherung schafft mehr Nähe zu unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dass Religion auch eine Quelle positiver Energien sein kann, führen uns die Bajoraner vor Augen, von denen wir gleich zu Beginn lernen, dass es ihr Glaube an die Propheten war, der sie die lange und harte cardassianische Besatzung ihrer Welt ertragen und aufopferungsvoll gegen die Peiniger kämpfen ließ. Und in der Konsolidierungsphase ihres Planeten nach dem Abzug der Cardassianer ist es ebenfalls die Religion, die eine enorme und zentrale Integrationsfunktion unter den zersplitterten und zerstrittenen Bewohnern Bajors einnimmt. Gerade Kai Opaka und Vedek Bareil repräsentieren Werte wie Barmherzigkeit, Altruismus und moralische Festigkeit. Gleichwohl lernen wir auch die Schattenseiten von Religion bzw. Religiosität anhand von Figuren wie Winn oder später sogar Dukat kennen, wenn nämlich Egoismus, Machtgier und Hass im Spiel sind. Ähnliches gilt unter anderen Vorzeichen für die Gründer, die den Vorta und den Jem’Hadar zwecks optimaler Kontrolle eingepflanzt haben, sie als Götter zu verehren. Hier ist Religion ein klares Machtinstrument. Immer wieder gelingt es DS9, eine Doppelperspektive von Wissenschaft und religiöser Weltanschauung bewusst herzustellen, sodass säkulare und glaubensorientierte Weltsichten ihre Berechtigung haben und nebeneinander stehen können. Selbst für Siskos Pfad des Abgesandten, seine Visionen und die Wahrheit über seine Existenz, die er letztendlich herausfindet, gilt dies. Ob die von den Bajoranern angebeteten Propheten nun tatsächlich Götter oder schlicht außerhalb von Raum und Zeit lebende Wurmlochwesen sein mögen – es liegt am Betrachter selbst, sich ein Urteil zu bilden. Dass mit Kira Nerys eine primäre Hauptfigur der Serie selbst tief im bajoranischen Glauben verwurzelt ist, unterstreicht die tolerante Grundbotschaft der Serie. Wissenschaft und Religion mögen sich immer wieder aneinander reiben, doch es gibt keinen Grund, weshalb sie am langen Ende nicht miteinander vereinbart werden könnten. DS9 ist in diesem Zusammenhang nachdenklich und prinzipiell vorurteilsfrei.

 

Die (epische) Erzählung

 

  • Umarmung des Star Trek-Universums: Es gehört zu den Ironien des Franchise, dass DS9 von einem Teil des Fandoms bis heute vorgeworfen wird, kein ‚richtiges‘ Star Trek zu sein. Dabei hat keine andere Serie Star Trek in seiner Ganzheit je wieder derart umschlossen wie DS9 es getan hat. Verschiedene Versatzstücke sind im Laufe dieses Textes bereits angesprochen worden. DS9 baute in TNG etablierte Völker und Mächte (Cardassianer, Bajoraner, Ferengi, Trill, im weiteren Sinne auch die Klingonen, Maquis etc.) zu vollwertigen Kulturen in einem politischen Geflecht aus, transferierte bekannte Charaktere (O’Brien und seine Familie, Worf, Gowron, Thomas Riker, Lwaxana Troi etc.) in die eigene Serienwelt und entwickelte alles gemeinsam organisch weiter. Insoweit ist etwa das Erscheinen Worfs auf der Station in Der Weg des Kriegers kein Bruch, sondern die ziemlich konsequente Fortsetzung eines Trends, der bereits früh von den Serienmachern verfolgt worden war. Und DS9s Umarmung des ST-Kosmos geht noch darüber hinaus: Man denke beispielsweise an das wiederkehrende Spiegeluniversum oder an eine ikonische Zeitreise-Episode anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums von Roddenberrys Vision (Immer die Last mit den Tribbles). Man denke an die Versuche, der Menschheitsgeschichte im 20. und 21. Jahrhundert mehr Hintergrund zu verleihen (Gefangen in der Vergangenheit) oder an die mit Julian Bashirs ‚Enttarnung‘ zusammenhängende Thematisierung von genetischer Erweiterung (Dr. Bashirs Geheimnis, Statistische Wahrscheinlichkeiten), die bis zu Khan Noonien Singh zurückreicht. DS9 war insoweit immer Meta-Trek, und doch ruhte es sich nie auf all diesen Referenzen aus, sondern war klug genug, seinen ganz eigenen Storyweg einzuschlagen. Mehr kann man von einer kunstvollen und großen Franchise-Serie nicht erwarten.

 

  • Komplexe Storyarcs: Keine andere Serie führt in ihrem Pilotfilm derart viele Handlungsstränge und damit mögliche Entwicklungslinien für die kommenden Seasons ein wie DS9. Umso bemerkenswerter ist, wie viele dieser Stränge im Prinzip bis zum Schluss weiterverfolgt oder zumindest immer wieder aufgegriffen werden, wiewohl natürlich auch im Laufe der Serie neue Arcs geknüpft werden. Die Komplexität der Erzählung ist von vorneherein weit dichter und epischer als bei anderen ST-Serien, weil die Macher in DS9 neben den klassischen Einzelepisoden in regelrechten Storybögen denken, die schubweise – mal mehr, mal weniger stark – verfolgt werden und die Serie daher in Episodenpaketen betrachtet werden muss. Beispiele sind etwa die Folgen, die sich mit den (politischen) Wandlungsprozessen der bajoranischen Gesellschaft befassen, mit dem sich verstärkenden Maquis-Konflikt oder auch dem in Etappen vorbereiteten bzw. verlaufenden Krieg gegen das Dominion. Besonders herausragend sind in diesem Zusammenhang die in einem Stück erzählten Episoden rund um die Eroberung und Rückeroberung von DS9 zum Ende der fünften bzw. am Beginn der sechsten Staffel sowie die zehn zusammenhängenden Finalfolgen in der siebten Staffel. Man merkt deutlich, dass sich DS9 Zeit nimmt, die Geschichte langsam und sorgfältig zu entfalten; das ‚Pacing‘ ist dadurch von einer gänzlich anderen Sorte und Qualität. Die Macher bewiesen einen langen Atem und Geduld, gerade wenn man an die Entfaltung der Dominion-Bedrohung bis hin zum Kriegsausbruch denkt.

 

  • Politische Handlungen: TNG tat es bereits, wenn auch nur in einzelnen und abgeschlossenen Episoden – DS9 nimmt sich daran ein Beispiel und steigert sich enorm. Ein festes, verankertes Setting und die Möglichkeit zu zusammenhängenden Episoden, die Abschied nehmen von der berüchtigten ‚Roddenberry Box‘, eröffnen politische Handlungen, die DS9 von Anfang an weitestgehend gekonnt verfolgt. Zu nennen sind zunächst der Wiederaufbau und die schwierige Übergangszeit auf Bajor, die Konflikte mit Cardassia und dem Maquis (Entmilitarisierte Zone), das Säbelrasseln mit dem Dominion, die überaus dramatischen Umbrüche im Alpha- und Beta-Quadranten vor Ausbruch des Kriegs gegen die Macht von der anderen Seite der Galaxis und schließlich der Kriegsverlauf selbst mit all seinen Irrungen und Wirrungen. Dabei verzichtet DS9 auch nicht darauf, das Innenleben der Föderation stärker zu beleuchten und durchaus ihre Schwachpunkte und zweifelhaften Seiten zu zeigen – etwas, das andere Serien so gut wie vollständig unterließen. So brachte die Infiltration der Föderation durch die formwandelnden Gründer das innerstaatliche Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit auf das Tableau der Serie. Wenn man sich DS9 heute, über zwei Jahrzehnte nach der Ausstrahlung seiner Finalfolge, ansieht, so fällt auf, dass die Autoren einige politische und gesellschaftliche Entwicklungen in fast schon visionärer Voraussicht antizipiert haben. Einige Parallelen zur Gegenwart sind derart frappierend, dass es einem den Atem verschlägt. Nehmen wir nur das Zeitreiseabenteuer Gefangen in der Vergangenheit aus der dritten Staffel. In diesem begeben sich Sisko, Bashir und Dax zurück in das Jahr 2024. DS9 zeigt uns eine sozial und ökonomisch tief gespaltene und segregierte amerikanische Gesellschaft. Während eine reiche Oberschicht in Saus und Braus lebt, muss eine teils unverschuldet arm gewordene oder arm geborene Unterschicht in vom Staat geschaffenen Ghettos ein unwürdiges Leben fristen. Es sind Zonen, aus denen man kaum jemals wieder herauskommt.

 

  • Dilemmata und der Umgang mit ihnen: An verschiedenen neuralgischen Punkten der Seriengeschichte werden die Helden mit Problemen konfrontiert, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Wenn es hart auf hart kommt, sind es sogar schwerwiegende moralische Dilemmata – die berüchtigte Wahl zwischen zwei Übeln. Für manche der Figuren bedeutet die Auseinandersetzung mit solchen Fragen eine existenzielle Konfrontation: Wie weit ist man bereit, für ein höheres Gut zu gehen? Inwieweit stellt man dafür seine Moral zurück? Wo verlaufen rote Linien? Kann man mit solchen Entscheidungen, in deren Zuge die eigene Ethik kompromittiert werden musste, langfristig leben? Inwiefern wird man davon verfolgt? Die Begegnung mit Dilemma-Szenarien, mit moralischen Bürden, die die Charaktere zu tragen haben, ist zu einem echten Markenzeichen der Serie avanciert und verleiht ihr weit mehr Realismus, ja Authentizität. Zudem hält dies große Rückkopplungen für die Figurenentwicklung bereit. Die Drehbuchschreiber waren stets so klug, beides nicht voneinander zu trennen.

 

  • World Building: Star Trek entdeckte seit seiner Entstehung unzählige fremde Welten, aber nicht immer war es gut, wenn es um die glaubwürdige Darstellung von Kulturen ging. DS9 ragt gerade hier heraus. Das fest verortete Setting brachte die große Chance, bestimmte Völker bzw. Weltenbündnisse wie die Bajoraner, Cardassianer und das Dominion vertieft und facettenreich zu betrachten. Mit dem Einstieg des von TNG importierten Worf in der vierten Staffel wandte sich DS9 auch der konsequenten Weiterverfolgung der klingonischen Gesellschaft zu. Zudem ist es ausschließlich das Verdienst dieser Serie, dass die Ferengi von einer Ansammlung von Witzfiguren und Halunken zu einer spannenden, alternativen und trotzdem unterhaltsamen Kultur ausgebaut wurden, die eine Menge ironischer Anspielungen auf die Auswüchse des US-amerikanischen Kapitalismus bietet.

 

  • Überwinden von Tabus: DS9 segelte produktionsmäßig eher im Windschatten von TNG und VOY. Vielleicht ist das einer der wesentlichen Gründe, weshalb die Macher freier waren als bei anderen ST-Serien, die üblichen Restriktionen innerhalb des Franchise zu überwinden. Teilweise wurden kreative Lösungen gefunden, ohne in direkter Weise mit den seit Roddenberry geltenden Vorgaben zu brechen; manchmal war DS9 aber sogar durchaus radikaler. Es wurden immer wieder neue Dinge ausprobiert, ohne die Grundprinzipien der Funktionsweise einer modernen Star Trek-Serie auszuhebeln. Beispielsweise galt es seit Roddenberry-Zeiten als ungeschriebenes Gesetz, dass es innerhalb des Hauptcasts keinerlei Konflikte geben darf, weil eine moralisch geläuterte Menschheit präsentiert werden sollte – ein Umstand, unter dem die TNG-Autoren seinerzeit sehr gelitten hatten. Dieses Problem umgingen die Macher von DS9, indem sie besonders viele nicht-menschliche Vertreter in die Führungscrew einführten, die nicht der Sternenflotte angehörten und entsprechend auch nicht ihren Regeln und ihrer Ethik unterworfen waren. Auf ganz ähnliche Weise wurde auch eine Ökonomie an Bord der multikulturellen Station außerhalb des Föderationsraums eingeführt. Das Ergebnis war ein wirklichkeitsnäheres Setting, das dennoch problemlos Teil von ST bleiben konnte.

 

Die Figuren

 

  • Konsequente Charakterentwicklung: Weg vom Technobabble, hin zu den Figuren – das war von vorneherein der Anspruch von DS9, und tatsächlich merkt man es der dritten ST-Serie von Beginn an. Viele Charaktere haben regelrechte Entwicklungsbögen und -etappen, in denen sie in ganz verschiedene Situationen gebracht werden, etwas gravierend Neues über sich erfahren und intensive Wandlungsprozesse durchleben. Dies gilt beispielsweise für Kommandant Benjamin Sisko, der zu Beginn noch große Probleme damit hat, eine Doppelrolle zwischen Sternenflotten-Befehlshaber und Abgesandtem zu spielen und der genau diese Rollendualität am Ende umarmt. Kira Nerys wiederum entwickelt sich über die sieben Serienjahre von einer trotzigen Rebellin zu einer ausgeglichenen und verantwortungsvollen Offizierin, die lernt, ihren pauschalen Hass auf die Cardassianer und damit ihr Schwarz-Weiß-Denken zu überwinden. Genauso gelten fundamentale Entwicklungsprozesse aber auch für Odo, Bashir, Worf, Quark, Garak und Dukat. Hintergründe werden ausgeleuchtet, häppchenweise Informationen über Figuren hinzugefügt und dadurch ein beeindruckend komplexes Bild mancher Charaktere erstellt. DS9 ist zudem die ST-Serie der Eigenbrötler, Sonderlinge und Exoten (man denke an Figuren wie Odo, Worf oder Garak). Odo brachte selbst einmal auf den Punkt, was DS9 zu seinem Proprium gemacht hat: „Ein Außenseiter zu sein, ist gar nicht so schlecht. Es gibt einem eine einzigartige Perspektive.“ Eine auffällige Tendenz zur ‚Pärchenbildung‘ (z.B. Sisko-Dukat, Odo-Kira, Bashir-Garak, Odo-Quark, Worf-Dax, O’Brien-Bashir) verstärkt das Vermögen der Serie, Charaktere voneinander abzugrenzen und möglichst scharf zu zeichnen sowie auch glaubwürdige Freundschaften und (durchaus reibungsintensive) Beziehungen mit einer gewissen Chemie zu schildern.  

 

  • Riesiges, diverses Ensemble: Keine andere Serie versammelt ein so großes und diverses Aufgebot an Gastcharakteren wie DS9, insbesondere ab Staffel vier (man denke an Figuren wie Garak, Nog, Rom, Weyoun, Martok, Eddington, Brunt, Gowron, Ziyal, Vic Fontaine etc.). Dabei gelingt es der Serie oft meisterhaft, neue Nebenrollen zu integrieren, ohne die Weiterentwicklung des bestehenden Casts zu vernachlässigen. So entsteht gerade in der zweiten Hälfte der Show ein buntes, schillerndes Figurenensemble, das glaubhaft symbolisiert, wie groß der (soziopolitische) Bogen ist, den DS9 spannt. Die Serie wird zu einem echten Nexus der unterschiedlichsten Persönlichkeiten, mit einem besonderen Auge für ungewöhnliche Grenzgänger zwischen verschiedenen Kulturen (z.B. Odo, Garak, Worf, die Ferengi Quark, Nog und Rom).  

 

  • Charaktere im Graubereich: DS9 präsentiert nicht nur strahlende Helden, sondern ist stark darin, Figuren glaubhaft und tief auszuleuchten. Man denke, wie bereits angesprochen, an innerlich zerrissene Charaktere wie Garak oder Dukat, die sich dem klassischen Gut-Böse-Schema entziehen oder beispielsweise auch an Michael Eddington. Ebenfalls in diese Kategorie fällt Admiral Leyton, der es vielleicht gut mit der Erde meint, aber am Ende zum tragischen, fehlgeleiteten Putschisten wird. Trotz vieler dunklerer und schattierterer Figurenzeichnungen (die nicht zuletzt deshalb möglich wurden, weil die Macher in die Riege der Haupt- und Gastrollen viele Nicht-Föderationsfiguren geholt hatten) verliert DS9 zu keiner Zeit den grundsätzlichen Charakter einer Serie, die eine utopische Gesellschaft behandelt, die sich für den guten und richtigen Weg entscheidet. Charaktere im Graubereich zu zeigen, kann auch bedeuten, an und für sich gute Personen in hochproblematische Entscheidungssituationen zu bringen, in denen sie plötzlich vielleicht bereit sind, Abstriche bei ihren Vorstellungen von Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit zu machen. Da sind sie wieder, die bereits angesprochenen Dilemmata.

 

Hinweis: Sämtliches in diesem Artikel verwendetes Bildmaterial entstammt www.trekcore.com (öffentlich verfügbare Screencaps)

 

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