Ein beispielloses Projekt - Rückblick auf zwei Jahrzehnte Star Trek-Relaunch (Litverse)

 

Die Trilogie Coda, erschienen im Jahr 2021, bildet den Abschluss einer langen Linie.

 

Nun, da wir das Ende von rund zwei Jahrzehnten eigenständiger Litverse-Erzählung mit den zusehends kombinierten Serienfortsetzungen von The Next Generation/Titan, Deep Space Nine und Voyager erreicht haben, ist es für mich an der Zeit, einen komprimierten Rückblick auf die Relaunches insgesamt zu wagen. Wie fällt die Bilanz aus?

 

Ich muss sagen, der Anfang war grandios und äußerst vielversprechend. Ich erinnere mich noch gut, als ich die allerersten Bücher des DS9-Relaunch – damals natürlich nur auf Englisch erhältlich – in die Finger bekommen und diese Pionierwerke (DS9 war die erste fortgesetzte Serie) regelrecht verschlungen hatte. Hiermit meine ich Romane wie Avatar Band eins und zwei, oder Abyss.

 

Der Gedanke, Star Trek in einem ganz anderen Medium, nämlich der Welt der Belletristik, fortzusetzen, war seinerzeit berauschend, und es war in dieser Weise nur möglich geworden, weil Star Trek im Fernsehen (ab 2001 für die Serien im 24. Jahrhundert, ab 2005 insgesamt) und kurz darauf auch im Kino (ab 2002/03) eine kreative Pause einlegte. Ohne diesen Umstand wäre es Simon & Schuster-Editoren wie Marco Palimieri, John Ordover und Margaret Clark nicht gelungen, die ST-Lizenzen von Paramount bzw. CBS zu erhalten. Wo bei Franchises normalerweise Tie-in-Novels an der Tagesordnung sind - also völlig unverbindliche und lediglich ergänzende Nebengeschichten -, gelangten die ST-Romane in die Rolle, für einige Jahre zu den zentralen Impulsgebern des Roddenberry-Universums zu werden. Dieser Ausflug in die Eigenständigkeit wurde letztlich 2021 beendet und die ST-Romane auf das Tie-in-Niveau zurückgestutzt, um nun die Kurtzman-Serien zu begleiten und zu ergänzen. (Bereits in den ersten Episoden von Star Trek: Picard war klar geworden, dass die Geschichte seit dem Ende von TNG dort anders verlaufen ist als in der literarischen Fortführung.)

 

Als damals das Projekt 'Star Trek-Relaunch' an den Start ging, war es voller Verheißungen. Es ging nicht nur darum, die Geschichte der Serien weiter zu spinnen. Das literarische Format bot vielmehr die Chance, die (produktionstechnischen) Limitationen der TV-Serien zu durchbrechen, sowohl mit Blick auf fantastische Abenteuer und Sci-Fi-Elemente als auch hinsichtlich politischer Allegorien sowie der Figurenentwicklung. Es gab nichts, das nicht möglich war.

 

Zugleich demonstrierten frühe Relaunch-Autor*innen wie S. D. Perry, Jeffrey Lang, Keith DeCandido, David R. George III, Michael A. Martin und andere, dass sie ein zum Teil bestechend feines Gespür für den Geist und die Seele der einzelnen Serien besaßen. Auf diese Weise gelangen höchst authentische Forterzählungen gerade für DS9, anfangs weniger für TNG oder VOY, wobei es auch dort hin und wieder glückte, den Spirit der Serienvorlage gekonnt einzufangen und in die Zukunft weiterzuspinnen. 

 

Ich glaube, die erste, ab dem Millennium begonnene Phase des DS9-Relaunch (insbesondere die sogenannte achte Staffel und deren Anhang) sticht gerade deshalb so fruchtbar mit Blick auf eine Serienfortsetzung heraus, weil DS9 einen unverwechselbaren Serienkanon besessen hatte: ein dichtes Setting – das trotz aller Düsterkeit trotzdem Star Trek war – mit unverwechselbaren Figuren und Handlungsbögen, die im Laufe der gesamten Show verfolgt worden waren. Eine ganze Reihe von Fragen war im TV-Finale offen geblieben, womit es sich geradezu anbot, die bestechende Epik der Serie in eine neue Zeit zu führen.

 

Das Ergebnis war ein unglaublicher Gewinn für DS9 als Charakterdrama und politischer Erzählung mit Gegenwartsbezug. VOY kam – ab 2003 – schwerer mit einem eigenen Relaunch in Fahrt, fand dann aber später in den ersten Werken von Kirsten Beyer seine alte-neue Form. Bei TNG, das ab 2005 die sogenannte Second Decade spendiert bekam, war man von vorneherein weit mehr monokausal auf dem Borg-Zug unterwegs. In gewisser Weise führte diese Zugfahrt zum Zwischenziel Destiny, einer Trilogie aus der Feder von David Mack, die die Milchstraße unter der Wucht einer Borg-Apokalypse sprichwörtlich in Schutt und Asche legte.

 

Kein Stein blieb mehr auf dem anderen. Ab da war der literarische Serienkosmos zwar vollends losgelöst von den TV-Vorlagen, aber hier begann das Litverse in meiner Sicht der Dinge auch sukzessive vom Weg abzukommen. Destiny war der erste Markstein, es folgten weitere, namentlich Reihen wie Typhon Pact, The Fall, die Auflösung der Section 31-Reihe (Disavowed, Control) und letztlich auch Coda.

 

All das waren ausgesprochen düstere, zuweilen auch grausame und brutale Erzählungen, die nicht mehr viel übrig ließen vom utopisch-idealistischen Narrativ, das TNG dereinst in den 1980er und 1990er Jahren begründet hatte.

 

Im Zuge von kybernetischen Vernichtungsfeldzügen, intergalaktischen Verschwörungen, neuen kalten Kriegen und gewissenlosen Staatsstreichen im Herzen der Föderation zeigten sich die Romangeschichten zwar inhaltlich-dramaturgisch (und auch mit Blick auf Canonreferenzen) auf deutlich höherem Niveau als die ab 2017 neu gestarteten Streaming-Serien (Discovery, Picard, Strange New Worlds), und schriftstellerisch stellte sich das teilweise packend und meisterhaft inszeniert dar (gerade wenn ich an die Romane von Mister Mack denke).

 

Doch inhaltlich passte das Gebotene immer weniger zum Kern von Roddenberrys Vision, ja es schien fast so, als sei Star Trek in ein anderes Franchise umgekippt. Ähnlich wie ich es auch in den neuen TV-Inkarnationen beobachte, kam ST der Optimismus abhanden, alles versank in einer finster-pessimistischen Grundstimmung, überall lauerten neue Gefahren, Weltuntergangsszenarien und durchtriebene Gestalten, und die Versuche, mit neuen Abenteuergeschichten à la TNG dagegen zu halten, waren eher halbherzig. Hängen blieb ein konstantes Gefühl der Bedrohung und des (moralischen) Niedergangs.

 

Hinzu kam nach Destiny eine immer übersteigertere, ja beinahe exzessive Tendenz, die alten Serienformate auf Teufel komm raus aufzulösen und möglichst Crossover-Geschichten im ST-Kosmos zu erzählen. Das war am Anfang erfrischend, zumal solche übergreifenden Stories in den ‚klassischen‘ Serien noch Mangelware gewesen waren. Aber langfristig lief es sich tot.

 

Mit der Zeit traten die negativen Seiten dieses Aufbrechens von Seriengrenzen immer mehr zum Vorschein: Durch die Crossover-Geschichten ging die individuelle Serienidentität und das spezifische Feeling verloren. Alles verschwamm irgendwie zu einem Einheitsbrei. Da schlug sich mal die Enterprise, mal bestimmte DS9-Figuren oder eine ganz wilde Mischung aus allen möglichen Serienvertretern einschließlich Spock und/oder Scotty mit Völkern des Typhon-Pakts herum oder versuchten, eine zum Himmel stinkende Intrige in den heiligen Hallen der Föderation zu vereiteln.

 

Hinzu kam noch etwas: Durch beständige Zeitsprünge verlor man das Band zu vielen Figuren; so ging es mir vor allem bei DS9, das spätestens nach Season neun keine organische Entwicklung mehr erlebte. Das Problem war, dass die Serien im 24. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeiten geendet hatten (DS9: Ende 2375, VOY: Anfang 2377, TNG nach Nemesis: 2379) und die Relaunches ursprünglich auch dort unmittelbar anschlossen.

 

Dann gab es mit dem Destiny-Erdrutsch und dem Crossover-Anspruch plötzlich das Bedürfnis, eine Handlungsparallelität zwischen den drei Relaunches zuzüglich Titan herzustellen. Und so jagte man mit Full Circle (VOY) mal eben ganze Jahre der Geschichte von Janeway und Co. durch den Zeitraffer oder würgte - noch schlimmer - bestimmte Handlungsbögen (wie bei DS9 nach The Soul Key) gänzlich ab. Das ging teils zu Lasten des Mitnehmens der Leser*innen.

 

Was zudem in der zweiten Hälfte des ausgedehnten Relaunch-Projektes auffiel, war, dass immer weniger Autor*innen an den Romanen schrieben (vermutlich auch aus praktischen und vielleicht auch Kostengründen). Früher war es ein heterogenes Aufgebot von bis zu zwei Dutzend Schriftsteller*innen, und immer wieder wurde jemand Neues hinzugenommen, was neue Akzente und Schwerpunkte brachte.

 

Bezeichnenderweise setzte sich letztlich mit der Riege um David Mack, Dayton Ward, James Swallow und einigen anderen vor allem jene Fraktion durch, die eher nicht für eine friedlich-idealistische Version von Star Trek stehen, sondern das Franchise eher als Spielplatz für den harten Kampf gegen finstere und existenzielle Bedrohungen sahen. Im Zuge dessen wurde das Actionkino (im Kopf) und Battlestar Galactica- bzw. Game of Thrones-Trek immer mehr forciert. Man möchte fast sagen: über eine kritische Grenze getrieben.

 

Dann griff obendrein noch in den letzten Jahren eine ausgeprägte Ideenlosigkeit um sich, wie ich finde, die allzu gerne mit besagter Action kaschiert wurde. Viele abgelieferte Geschichten waren halbgar, wenig durchdacht und Neuaufgüsse bereits realisierter Ideen. Die Qualität der Romane ließ meines Erachtens spürbar nach.

 

Gerade der DS9-Relaunch wurde spätestens ab 2012 zu einem negativen Zerrbild von allem, was ihn einst ausgemacht hatte (im Prinzip alle Bücher ab Revelation and Dust bzw. Sacraments of Fire). Auch VOY und Titan zogen sich nach hinten raus manchmal nur noch dahin, und gerade die Abenteuer von Captain Riker und Co. enttäuschten dadurch, dass sie eben immer weniger die versprochene Back to the roots-Forschungsreise boten, mit der Titan eigentlich angetreten war. Ich muss sagen, wäre ich als jahrelanger Leser der Star Trek-Romane erstmals mit diesen Büchern in Berührung gekommen, ich hätte den Relaunch vermutlich nicht so intensiv verfolgt.

 

Nach wirklich vielen nicht überzeugenden Romanen und einem regelrecht in finstere Gefilde entgleisten ST-Litverse bin ich daher einigermaßen ermattet und nun froh, dass die Relaunches ihr Ende erreicht haben, wenn auch so gar nicht, wie ich es mir gewünscht hätte (Coda war bis zum Schluss jener düstere, existenzielle Kampf und eben kein optimistischer Schlussakkord). Dennoch blicke ich insgesamt versöhnlich auf die Serienfortsetzungen in Buchform zurück, und das liegt definitiv an der Phase zwischen 2000 und 2008, wo es gelang, insbesondere mit DS9 eine Serie neu zu beleben, die noch viel Potenzial besaß und dieses Vermögen auf Buchseiten teils sogar noch erheblich besser ausgespielt werden konnte.

 

In dieser Zeit entstanden auch noch andere großartige Reihen wie etwa Vanguard, womit allem voran David Mack eine unvergessliche Anthologie inmitten der raueren TOS-Ära schuf. Im Windschatten der Relaunches im 24. Jahrhundert und darüber hinaus (erwähnt werden muss natürlich auch die Fortsetzung von Enterprise) fuhren weitere Reihen, unter ihnen die leider nach vier Bänden eingestellte Klingonen-Reihe Gorkon/Klingon Empire, Starfleet Corps of Engineers und verschiedene weitere. Das Schöne war, dass all diese Reihen untereinander irgendwie in Verbindung standen. Und es gab einzelne Perlen, für sich stehende Stand-alone-Werke, allem voran Una McCormacks The Never-ending Sacrifice, die Kulturen wie die cardassianische in unglaublicher Tiefe und mit Feingefühl erforschten.

 

Für mich strahlt das Licht der Star Trek-Romane daher trotz der Enttäuschungen der letzten Jahre insgesamt hell, und das liegt vor allem daran, dass mit der mutigen Entlassung der TV-Serien in die Freiheit bewiesen werden konnte, welches Vermögen in einer solchen literarischen Fortführung liegt. Die lange Linie dieses sagenhaften Projekts ist ein bleibender Wert.

 

Danke dafür, Pocket Books und an alle beteiligten Autor*innen!!!

 

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